Der Live-Streaming-Dienst Periscope erobert die Medienlandschaft und auch Journalisten können sich nicht mehr entziehen. Doch dieser Trend scheint aus dem Ruder zu laufen. So hat jüngst der Drang, die Geschehnisse vor Ort unmittelbar der Öffentlichkeit zu präsentieren, einen „STERN“-Reporter in akute Lebensgefahr gebracht. Ein Kommentar von Tina Georgi.
Im vergangenen Jahr war Periscope noch eine Art Underground-App. Lediglich iOS-Nutzer kamen in den Genuss, ihre täglichen Erlebnisse via Smartphone einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Anfang des Jahres wurde die App dann von dem Kurznachrichtendienst Twitter gekauft. Seitdem gibt es die Anwendung auch für das Betriebssystem Android. Damit hat sich Periscope allmählich zu einem wahren Must-Have entwickelt. Der Nutzen und die Vorteile dahinter sind klar: Jeder hat die Möglichkeit, individuelle Perspektiven fremder Personen in den unterschiedlichsten Situationen zu erfahren. Fragen oder Anmerkungen können ohne Weiteres dem „Streamer“ mitgeteilt und von ihm beantwortet werden. Unmittelbar, schnell und anpassungsfähig – alles Merkmale, von denen auch Nachrichtenmagazine profitieren können und scheinbar auch verstärkt wollen. So stiegen auch zahlreiche Journalisten in den Periscope-Strudel ein und wir können hautnah dabei sein. Längst geht es es nicht mehr nur um die schlichte Übertragung interner Redaktionsmeetings, wie es „BILD“-Chefredakteur Kai Diekmann seit einiger Zeit vormacht.
Direktübertragung auf Kosten von Qualität und Rechten
Dort, wo die eine sofortige Live-Berichterstattung aus den verschiedensten Gründen nicht möglich ist – sei es durch fehlende Reporter vor Ort oder eine verwirrende Informationslage – kann plötzlich Periscope punkten. Durch die Echtzeitaufnahmen kann sich jeder Zuschauer selbst ein Bild vom aktuellen Geschehen machen. Dabei muss man jedoch mit einer deutlich minderwertigen Qualität, hervorgerufen durch die Handytechnik und zahlreichen, oftmals nicht veränderbaren Umwelteinflüssen, rechnen. Ebenso problematisch ist das grundsätzliche Filmen im öffentlichen Raum. Gerade bei Veranstaltungen und Versammlungen ist das aufgrund von Urheber- und Persönlichkeitsrechten laut Gesetz und der Benutzerordnung der App verboten, wird aber bereits konsequent missachtet. Von einer Ausweitung dessen ist weiter auszugehen.
Die Sucht, der Erste sein zu wollen
Doch all diese Faktoren scheinen Sender und Empfänger egal zu sein. Wichtig ist nur die Live-Schaltung und Informationsverbreitung. Man möchte der Erste sein, der von einem bestimmten Ereignis berichtet und mehr weiß als alle Anderen. So ist es beim Abbruch des diesjährigen „Germany’s Next Topmodel“-Finales durch eine Bombendrohung geschehen. Da berichtete „BILD“- Reporter Daniel Cremer direkt aus Mannheim. Zwar hielt er sich noch in der Nähe der Arena auf, befand sich aber trotzdem in einer sicheren Umgebung. Dennoch deutete dieses Verhalten, im Nachhinein betrachtet, bereits auf eine äußerst gefährliche Entwicklung hin, die wiederum mit „STERN“-Reporter Philipp Weber ein Paradebeispiel liefert. Besonders erschreckend war seine Live-Übertragung vom Anti-Terroreinsatz in Saint-Denis.
Auch wenn sich die zunächst äußerst heikel erscheinende Situation nach circa vier Minuten als harmlos herausstellte, wird einem dabei die neue Dimension, auch anhand der zahlreichen anderen Journalisten und Kamerateams, die die Polizisten regelrecht verfolgt haben, sehr gut ersichtlich. Die Lage war unglaublich angespannt, unberechenbar und somit einfach extrem gefährlich. Es hätte auch etwas Schlimmes passieren können, doch das wurde scheinbar aus Sensationsgier schlichtweg ausgeblendet. Genauso schien die Tatsache, dass Pressevertreter mit ihrer Verfolgungsjagd die Beamten in ihrer Arbeit behindern könnten, nicht wichtig zu sein. Periscope, schön und gut, wenn aber die eigene und die Sicherheit Anderer plötzlich in den Hintergrund treten, dann läuft etwas gewaltig falsch. Das sollte den Sendern, vor allem nach dieser Aktion, mehr als deutlich geworden sein. Nun bleibt jedoch abzuwarten, ob dem auch wirklich so ist oder ob vor einem entsprechenden Umdenken wieder etwas Schreckliches passieren muss.
Text: Tina Georgi. Beitragsbild: Periscope event © Giorgio Minguzzi unter CC BY-SA 2.0. Bearbeitung: Christin Sperling.