Zwischen einem Lebensmittelladen und einem Baumarkt in Zwickau befindet sich eine unscheinbare Glastür, an der die meisten Menschen achtlos vorbeigehen. Jonas, 24, bleibt davor stehen, holt tief Luft und tritt ein. Drinnen sieht es aus wie eine Mischung aus Arztpraxis und Wartezimmer – hell, ruhig, neutral. Wer hierherkommt, nimmt sich Zeit für etwas, das für andere lebensentscheidend sein kann: Plasmaspenden.
Was ist Plasma?
Plasma ist der flüssige Teil des Blutes, den unser Körper schnell nachbilden kann. Es macht etwa 55 % des Blutes aus und besteht vor allem aus Wasser, Nährstoffen, Hormonen und über 100 wichtigen Proteinen. Diese Proteine helfen, Blut zu gerinnen, Infektionen zu bekämpfen, Nährstoffe zu transportieren und den pH-Wert zu stabilisieren.
Aus gespendetem Plasma werden Medikamente hergestellt, die Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Problemen bei der Blutgerinnung helfen. Nur wenige Menschen spenden regelmäßig.
Wer spenden darf – Voraussetzungen und Kontrolle
Bevor Jonas überhaupt zur Spende zugelassen wird, muss er einige Bedingungen erfüllen. Wer Plasma spenden möchte, muss gesund und volljährig sein, mindestens 50 Kilogramm wiegen und sich in insgesamt guter körperlicher Verfassung befinden. Krankheiten oder bestimmte Medikamente können zur vorübergehenden oder dauerhaften Ablehnung führen. Auch frische Tattoos oder Auslandsaufenthalte spielen eine Rolle, weil Infektionsrisiken vermieden werden müssen. Auf der Webseite von Haema, einem großen privaten Blut- und Plasmaspendedienst in Deutschland, kann man zum Beispiel vorab genau nachlesen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welche Arzneimittel problemlos erlaubt sind oder ausgeschlossen werden können. Wer unsicher ist, kann sogar eine spezielle E-Mail-Adresse nutzen, um Fragen zu persönlichen Vorerkrankungen oder Medikamenten im Voraus abzuklären. So kommt es vor Ort nicht zu unangenehmen Überraschungen.
Jonas wird als Erstes gewogen – jedes Mal, denn das Körpergewicht ist ausschlaggebend für die Menge an Plasma, die entnommen werden darf. Danach bekommt er am Empfang einen dicken Gesundheitsfragebogen ausgehändigt. Die Fragen sind stets dieselben, denn jeder Termin ist eine eigene Sicherheitsprüfung. Jonas kennt die Antworten inzwischen auswendig, aber er nimmt den Vorgang dennoch ernst. Erst nachdem der Bogen geprüft wurde, darf Jonas weiter zu den Ärzt:innen.
Der Arzt misst Blutdruck und Puls, hört kurz die Lunge ab und prüft die Körpertemperatur. „Wir kontrollieren jedes Detail“, erklärt er. „Unsere Patientinnen und Patienten können sich nicht selbst schützen, also tun wir es.“ Dazu gehört auch, dass Jonas vorher genug gegessen und ausreichend getrunken haben muss, am besten leichte Kost und nichts zu Fettiges, damit die Werte stabil bleiben. Erst wenn alles passt und er grünes Licht bekommt, darf er in den Spenderaum.
Gesundheitsfragebogen des DRK, Foto: Fabienne Meitz
Wo Spenden zur täglichen Routine werden
Im Spenderaum liegen bereits mehrere Menschen entspannt auf den blauen Liegen. Es wirkt ruhig hier, fast wie ein Lesesaal. Die meisten sind zwischen 30 und Mitte 50 Jahren, viele kommen in ihrer Mittagspause oder nach der Arbeit vorbei. Sie nicken sich manchmal nur kurz zu, als würden sie sich seit Jahren kennen, ohne jemals miteinander ein Wort gewechselt zu haben. Dazwischen sitzen ein paar junge Erwachsene mit Kopfhörern in den Ohren, einige scrollen auf ihren Smartphones durch Nachrichten, andere versinken in Serien.
Jonas beobachtet gerne, wer hier mit ihm liegt. „Viele denken, Plasma spenden nur Studierende oder Leute, die dringend Geld brauchen“, meint er. „Aber das stimmt nicht. Hier spenden die unterschiedlichsten Menschen. Von Erzieher:innen über IT-Fachkräfte bis hin zu Rentner:innen, die einfach etwas Gutes tun wollen.“ Für ihn hat jede Person hier ihre eigene Geschichte und ihren ganz persönlichen Grund, heute zu kommen.
Wer regelmäßig spendet, bekommt je nach Blutspendedienst eine Stempelkarte. Bei jeder Spende gibt es einen Stempel und beim zehnten Mal eine kleine Bonuszahlung, meist zehn Euro extra zu der üblichen Aufwandsentschädigung dazu. Je nachdem, wie oft man kommt, kann das im Monat schon ein netter Nebenverdienst sein. „Wenn man jede Woche geht, kommt schon was zusammen“, sagt Jonas und lächelt kurz. Es ist eine Mischung aus Anerkennung und Anreiz, die funktioniert. Viele liegen hier zwei- bis dreimal im Monat.
Stempelkarte und Geld, Foto: Fabienne Meitz
Vor der Spende macht Jonas meist noch kurz Halt im Aufenthaltsbereich. Dort liegen Obst, Müsliriegel und Joghurt bereit, dazu kostenloses Wasser, Saft oder sogar heißer Kakao aus einem Automaten. Nach der Plasmaspende kommt er hier wieder vorbei, trinkt in Ruhe etwas und wartet, bis sich sein Kreislauf erholt hat. „Man fühlt sich gut aufgehoben“, erzählt Jonas. „Man merkt, dass hier Wert darauf gelegt wird, dass es einem wirklich gut geht und dass man gerne wiederkommt.“
Getränkeautomaten für Spender:innen, Foto: Fabienne Meitz
Termine können flexibel vereinbart werden: telefonisch, direkt vor Ort oder ganz einfach online über ein Buchungstool. Für Jonas ist das praktisch, weil er die Spende somit gut in seinen Alltag integrieren kann. „Man kann sich spontan entscheiden oder schon Wochen vorher planen“, berichtet er. „Das macht es leichter, dranzubleiben.“
Während er wartet, schaut er sich das Personal an. Sie wirken routiniert und freundlich, und in kleinen Gesprächen entsteht eine ungezwungene Vertrautheit. Von großen Worten hält hier niemand etwas, alle machen einfach ihre Arbeit.
Raum, in dem Plasma gespendet wird, Foto: Fabienne Meitz
Spende für Spende: Sicherheit und Routine vereint
Zuerst legt Jonas den Arm frei. Bevor es losgeht, darf er selbst entscheiden, welcher Arm gestochen wird. Manche Venen sind einfach besser zugänglich oder fühlen sich weniger empfindlich an. Eine Fachangestellte tastet kurz nach der stärksten Vene, legt ihm ein kleines Kissen unter den Arm, damit er beim Pumpen entspannter bleiben kann, und sticht dann mit einem schnellen, routinierten Handgriff mit einer sterilen Nadel in die Vene. Der Schlauch beginnt sich zu füllen. Die Maschine trennt das Plasma ab und führt die übrigen Blutbestandteile später in Intervallen wieder zurück.
Jonas beschreibt das Gefühl als „leicht kribbelnd“ und manchmal sogar ein bisschen kalt, weil die zurückfließende Flüssigkeit auf Körpertemperatur gebracht werden muss. „Man merkt einfach, dass der Körper gerade arbeitet“, sagt er. Wenn er sich einmal nicht ganz fit fühlt, wird sofort reagiert: Wasser und Traubenzucker stehen bereit, um den Kreislauf zu stabilisieren. Das Pflegepersonal läuft regelmäßig an den Liegen vorbei, fragt nach, ob alles in Ordnung ist, und behält jede Person im Blick. „Wenn du merkst, dass dir schwindelig wird, sag sofort Bescheid. Dafür sind wir da“, berichtet eine von ihnen. „Wir haben immer ein Auge auf euch.“
Aufmerksam schaut sich Jonas im Raum um. Manche dösen vor sich hin, andere lesen oder hören Musik. Die Stimmung ist überraschend entspannt. „Wenn man hier öfter ist, fühlt es sich irgendwann fast normal an“, erzählt er. Die Spende dauert meistens zwischen 45 und 90 Minuten, je nachdem, wie gut die Vene hergibt. Nach der Entnahme bekommt Jonas eine Binde um den Arm und soll sich noch mindestens 30 Minuten im Aufenthaltsbereich ausruhen, etwas trinken und essen, bevor er geht. Auch den restlichen Tag soll er auf schwere körperliche Tätigkeiten verzichten. „Man nimmt sich diese Zeit einfach“, meint er. „Es ist nur fair, der Körper hat gerade etwas geleistet.“
Verbundener Arm, Foto: Fabienne Meitz
Wie oft darf man spenden?
In einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heißt es: Im Gegensatz zur Blutspende, die nur wenige Male im Jahr möglich ist, kann man Plasma deutlich öfter spenden. In Deutschland sind bis zu 60 Plasmaspenden pro Jahr erlaubt. Da Plasma sehr schnell nachgebildet wird, ist die Belastung für gesunde Erwachsene gut verträglich. Zwischen zwei Spenden müssen mindestens zwei Kalendertage liegen, damit sich der Körper vollständig erholen kann.
Trotzdem ist es individuell verschieden, wie gut jemand die Spenden verträgt. Manche Menschen können häufiger spenden, andere seltener, weil ihr Körper länger für die Regeneration braucht oder bestimmte Blutwerte schneller absinken. Wird ein Wert zu niedrig, wird man vorübergehend zum Schutz vor Überlastung gesperrt.
Jonas kommt etwa alle zwei Wochen. Für ihn ist es eine feste Routine geworden, eine Routine, die ihm Monat für Monat etwas finanziellen Spielraum verschafft und trotzdem gut zu seinem körperlichen Befinden passt.
Zwischen Solidarität und Einkommen
Jonas sieht beide Seiten: Er unterstützt ein wichtiges medizinisches System und bekommt dafür Geld. Für viele, die hier spenden, ist diese Aufwandsentschädigung kein „Taschengeld“, sondern ein fester Bestandteil des Monatsbudgets. Alles, vom teurer werdenden Alltag über Mieten bis zu Mensaessen, macht es zunehmend schwieriger, mit BAföG oder einem normalen Einkommen über die Runden zu kommen. Jonas spricht offen darüber: „Ganz ehrlich: Ohne die 20 bis 40 Euro pro Spende wäre das hier für viele keine Option“, sagt er. „Aber wenn etwas Gutes tun und Geld verdienen zusammenfallen – warum sollte man dann nicht gehen?“
Andere Spender:innen berichten Ähnliches: Für manche ersetzt die Spende einen Nebenjob, den sie zeitlich nicht stemmen können. Für andere ist sie ein verlässlicher Zusatzverdienst, der jeden Monat etwas Druck nimmt. Gleichzeitig gibt es Menschen, die überhaupt keinen finanziellen Anreiz benötigen – sie spenden aus Überzeugung, aus Solidarität oder einfach, weil sie helfen möchten. Plasmaspende wird so zu einem zweifachen Gewinn: Man hilft einem fremden Menschen und sich selbst dabei, den eigenen Alltag zu bewältigen.
Doch die Realität zeigt: Ein guter Zweck allein reicht selten aus, um genügend Spender:innen zu gewinnen. Viele kommen zunächst wegen des finanziellen Anreizes – bleiben dann aber, weil sie wissen, dass ihr Beitrag Leben rettet. Besonders attraktiv sind dabei Aufwandsentschädigungen in Form von Geld, gefolgt von bezahlten freien Tagen oder Gutscheinen; Snacks und kleine Geschenke spielen ebenfalls eine Rolle. Genau diese Kombination aus altruistischer Motivation und wirtschaftlicher Notwendigkeit macht das System gleichzeitig erfolgreich und verletzlich. Solidarität funktioniert hier also nur, wenn sie einen Preis hat oder durch andere Anreize ergänzt wird, und sorgt dafür, dass viele regelmäßig wiederkommen.
Ein lebensrettendes System auf wackeligen Beinen
Nach der Spende wird das Plasma im Labor untersucht, für mindestens vier Monate gelagert und erst nach erneut unauffälligen Tests freigegeben. Es kann außerdem tiefgefroren bis zu drei Jahre gelagert werden. Und genau hier wird deutlich, welchen Unterschied eine einzelne Spende machen kann. Die Bedeutung dieser Abläufe wird klar, wenn man auf den Einsatz der gewonnenen Präparate schaut.
Wie das Bundesministerium für Gesundheit betont, sind viele Menschen auf diese Medikamente angewiesen – etwa bei schweren Verletzungen, Immundefekten oder Blutgerinnungsstörungen. Dabei handelt es sich um Präparate wie Gerinnungsfaktoren, die das Blut stillen lassen, oder Eiweißstoffe, die das Immunsystem stärken, die alle aus Plasma gewonnen werden. Schon eine einzige Spende kann mehreren Patient:innen helfen. Pro Jahr werden laut plasma-spenden.de zum Beispiel rund 1.200 Spenden für Menschen mit Hämophilie, etwa 130 für Betroffene mit Immundefekt und rund 900 für Menschen mit Alpha-1-Antitrypsinmangel benötigt.
Jonas weiß, dass er mit jedem Termin hilft, auch wenn er die Menschen, die von seinem Plasma profitieren, nie kennenlernen wird. Die Verbindung bleibt abstrakt, aber sie ist real und für andere existenziell. Er wird Teil eines medizinischen Kreislaufs, der im Hintergrund läuft und doch von zentraler Bedeutung ist.
Gleichzeitig ist dieses System fragil. „Die Patientinnen und Patienten kennen uns nicht, aber sie verlassen sich auf uns“, sagt eine Ärztin leise. „Ohne Plasma gibt es für sie keine Medikamente, Punkt.“ Die Medizin ist darauf angewiesen, dass Menschen regelmäßig spenden. Doch wie sr.de berichtet, gehen die Plasmaspenden zurück, während der Bedarf an lebenswichtigen Arzneimitteln weiter steigt.
Viele spenden wegen der Aufwandsentschädigung, aus Überzeugung oder um die Gesellschaft zu unterstützen. Die Versorgung hängt also von einer Mischung aus Solidarität, finanziellen Anreizen und intrinsischer Motivation ab. Ohne Menschen wie Jonas würden Therapien ausfallen und ohne eine faire Entschädigung kämen viele von ihnen vermutlich nicht. Es ist eine stille Abhängigkeit, die aber jeden Tag Leben sichert.
Immer noch haben wir viel zu wenig Spender; jeder gesunde Mensch ab 18 sollte sich überlegen, ob nicht auch er zum Lebensretter werden und zur Plasmaspende gehen will. Schließlich könnte auch er einmal auf solche Medikamente oder als Unfallopfer auf Fremdplasma angewiesen sein.
Ein blauer Fleck, der Leben rettet
Als Jonas die Straße wieder betritt, wirkt alles wie zuvor. Passant:innen schlendern aneinander vorbei, die Tür schließt sich hinter ihm und seine Spende verschwindet wieder in der Anonymität des Alltags. In seiner Armbeuge sitzt nun eine frische Binde, darunter zeichnet sich schon ein kleiner blauer Fleck ab. Beides erinnert daran, dass er gerade etwas Bedeutsames getan hat. Ohne großes Aufsehen, aber von großer Bedeutung. Jonas weiß, dass er übernächste Woche wiederkommen wird. Weil es den Menschen hilft, die er nie kennenlernen wird. Weil er das Gefühl hat, Teil von etwas Größerem zu sein. Weil es ihm hilft, sein Leben zu finanzieren.
Plasmaspende ist ein leises Versprechen: Einer gibt, was er kann, damit ein anderer behält, was er braucht. Manche tun es aus Solidarität, andere aus Routine, wieder andere aus dem Bedürfnis, etwas Gutes zu tun und viele spüren dabei, dass jeder Tropfen zählt. Schade ist nur, dass viele Menschen ohne finanzielle oder andere Anreize nicht zum Spenden kommen – das zeigt, wie verletzlich das System ist und wie sehr lebensrettende Hilfe von Motivation und Rahmenbedingungen abhängt.
Wenn du gesund bist und ein wenig Zeit hast, kannst auch du Teil dieses Versprechens werden und Menschen unterstützen, die dringend darauf angewiesen sind. Jede Spende macht einen Unterschied – auch deine. Tropfen für Tropfen.
Text und Bilder: Fabienne Meitz, Grafik: Recommendations Report