Wahlkampf im Netz

Wie politische Werbung Facebook und Co. fordert

von | 22. November 2019

Geld, Meinungsfreiheit, Fake News – Wahlwerbung spaltet die Ansichten der Social-Media-Giganten.

 „Daten sind heute mehr wert als Öl. Sie sind die wertvollste Ressource der Welt“, sagt Brittany Kaiser, ehemalige Mitarbeiterin bei Cambridge Analytica, in der Netflix-DokumentationCambridge Analyticas großer Hack“. Darin liege der Grund, wieso Facebook, Google und Co. die mächtigsten Unternehmen der Welt seien. Auch aktuell steht ihr Einfluss auf Politik und demokratische Prozesse wieder im Fokus der Öffentlichkeit: Twitter verbietet politische Werbung. 

Seit dem Skandal rund um Cambridge Analytica im Frühjahr 2018 ist vielen Menschen bewusst, dass sich stark zielgruppenspezifische politische Werbeinhalte auf sozialen Netzwerken wie Facebook und das damit verbundene Risiko der Verbreitung von Fake News auf Wahlen auswirken können. Gerade wenn man die US-Präsidentschaftswahlen 2020 und die näher rückenden Neuwahlen in Großbritannien berücksichtigt, steht die Frage im Raum: Wie muss mit solchen werblichen Inhalten umgegangen werden?

Twitter stoppt politische Werbung

„Wir haben die Entscheidung getroffen, weltweit alle politische Werbung auf Twitter einzustellen“, verkündete Jack Dorsey am 30. Oktober auf seiner Plattform. Die neue Richtlinie tritt am 22. November 2019 in Kraft. Unter diesem Tweet erklärt der CEO von Twitter, wieso. „Eine politische Botschaft verdient Reichweite, wenn sich Leute entschließen, diese zu teilen oder einem Account zu folgen“, heißt es dort unter anderem. „Für Reichweite zu zahlen, nimmt ihnen diese Entscheidung und zwingt ihnen hochoptimierte und gezielte politische Botschaften auf.“

https://twitter.com/jack/status/1189634360472829952?s=12

Laut Dorsey sei es unglaubwürdig, gegen den Missbrauch ihres Netzwerks zur Verbreitung von irreführenden Informationen zu kämpfen, Werbetreibenden gegen Geld aber zu erlauben, ihrer Zielgruppe zu sagen, was auch immer sie wollen. Damit spielt er auf aktuelle Kritik gegen Facebook-Gründer und CEO Mark Zuckerberg an. Dieser war am 23. Oktober die zentrale Figur einer Anhörung vor dem United States House Committee on Financial Services. Also dem Ausschuss, der sich um die Aufsicht der Finanzdienstleistungsbranche kümmert. Dabei sollte es um Facebooks geplante Kryptowährung Libra gehen. Im Zuge dessen stellte sich Zuckerberg unter anderem einer Befragung der demokratischen Repräsentantin Alexandria Ocasio-Cortez. „Damit wir Entscheidungen über Libra treffen können, müssen wir, denke ich, Ihr und Facebooks vergangenes Verhalten in Bezug auf unsere Demokratie unter die Lupe nehmen“, so Ocasio-Cortez zu Beginn.

Die Kongress-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez stellt Facebook-CEO Mark Zuckerberg Fragen zu Cambridge Analytica und Fact-Checking politischer Werbung. Quelle: YouTube/Global News

Ocasio-Cortez konfrontiert Zuckerberg dabei mit einigen Beispielen, ob und wie sie Facebooks Entscheidung, politische Werbung nicht zu fact-checken, nutzen könne, um falsche Inhalte zu verbreiten. Zuckerbergs Aussagen bleiben vage. Lügen sei schlecht, Werbung müsse sich außerdem an die Gemeinschaftsrichtlinien halten. Stimmberechtigte zu unterdrücken oder zu Gewalt aufzurufen, sei also nicht möglich. Zuckerbergs letzter Auftritt vor dem US-Kongress fand im April 2018 statt – damals ging es um Cambridge Analytica und auch in dieser Befragung kommt das Thema wieder auf, als Ocasio-Cortez Zuckerberg direkt in der ersten Frage darauf anspricht.

Cambridge Analytica und der Datenskandal

Alles begann 2014 mit der App „thisisyourdigitallife“ der Firma Global Science Research (GSR), mit der FacebookNutzer anhand eines Persönlichkeitstests Informationen freiwillig zur Verfügung stellten. Was diese nicht wussten: Die Daten ihrer Facebook-Kontakte wurden gleich mitgesammelt, sodass die App bereits anhand einer Person sehr große Mengen an Daten gewinnen konnte. Aleksandr Kogan, Gründer der Firma und gleichzeitig Dozent im Bereich Psychologie an der Cambridge University, gab laut Facebook an, die Daten zu wissenschaftlichen Zwecken nutzen zu wollen. Diese gab er dann verbotenerweise an Dritte weiter, nämlich die Strategic Communication Laboratories (SCL) beziehungsweise deren Tochterfirma Cambridge Analytica. So sollen die Daten von bis zu 87 Millionen Menschen betroffen gewesen sein.

Die Netflix-Dokumentation „Cambridge Analyticas großer Hack“ beschäftigt sich mit dem Skandal rund um Facebook und Cambridge Analytica. Quelle: YouTube/Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Bei den Daten handelt es sich laut netzpolitik.org um Informationen zu Likes, Aktivitäten, Kontakten, aber auch um sensible Daten wie die sexuelle Orientierung oder politische Überzeugung. Auch unbewusst preisgegebene Daten, die aus dem Onlineverhalten der Personen geschlossen, gehören dazu. Basierend auf diesen Daten können psychologische Profile erstellt werden, die schließlich auch auf Personen anwendbar sind, die den betroffenen Nutzern ähneln. Mithilfe dieser Profile soll Cambridge Analytica nun kleinste Zielgruppensegmente auf Facebook identifiziert haben. An diese hat die Firma gezielte Werbebotschaften ausgespielt, unter anderem der Trump-Kampagne 2016 sowie im Vorfeld des Brexit-Referendums, um das Wahlverhalten zu beeinflussen. Durch Facebooks „Custom Audiences“- und anderen Funktionen ist Microtargeting allerdings auch auf legalem Wege möglich.

Von Microtargeting, Big Data und Persuadables

Microtargeting bezeichnet Marketingstrategien, die die Identifikation und Ansprache kleinster Zielgruppensegmente erlauben. Dabei werden den Nutzern passgenaue Werbebotschaften gesendet. Voraussetzung für Microtargeting ist die Ansammlung großer Datenmengen über Nutzer, auch Big Data genannt, wie es beispielsweise bei Cambridge Analytica geschehen ist. Dort wurden den sogenannten Persuadables, also als besonders beeinflussbar identifizierten Personen, gezielt politische Botschaften gesendet, die diese zu einem bestimmten Wahlverhalten überzeugen sollten.

„Es ist sehr umstritten, wie wirksam diese zielgruppenspezifische politische Werbung ist“, sagt Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig, gegenüber medienMITTWEIDA. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der politischen Kommunikation. „Nach der Wahl Donald Trumps und der Brexit-Entscheidung gab es große Sorgen vor der Macht gezielter Desinformation. Die Forschung ist hier aber noch zu keinem belastbaren Ergebnis gekommen.“

Was darf politische Werbung?

Anfang Oktober hatte die Trump-Kampagne unter anderem auf Facebook eine Werbung geschaltet, die darstellt, wie der ehemalige Vize-Präsident Joe Biden ukrainischen Offiziellen eine Milliarde Dollar dafür bietet, eine Anklage gegen seinen Sohn fallenzulassen. Die Biden-Kampagne versuchte vergeblich, Facebook die Werbung entfernen zu lassen. Die Begründung von Katie Harbath, Facebooks Public Policy Director, war laut dem New Yorker folgende: „Unsere Herangehensweise liegt begründet in Facebooks Grundüberzeugung von der Redefreiheit, Respekt für demokratische Prozesse und dem Glauben, dass in vollentwickelten Demokratien politische Rede bereits die am meisten hinterfragte ist.“ Wenn ein Politiker etwas poste oder Werbung schalte, würden diese Inhalte nicht an dritte Fact-Checker gesendet. 

Die Anzeige verletzte Facebooks Richtlinien also nicht. Wie kommt so eine Werbung überhaupt online? Wer auf Facebook oder Instagram politische Werbeinhalte senden will, muss zunächst seine Identität bestätigen und einen sogenannten Disclaimer angeben. Dieser gibt Auskunft darüber, wer die Anzeige bezahlt. Stellt Facebook allerdings fest, dass sich eine Anzeige ohne Disclaimer um Wahlwerbung handelt, wird diese abgelehnt. Generell kann also alles gepostet werden, das nicht gegen diese Vorgaben oder die Gemeinschaftsrichtlinien verstößt. „Es obliegt jedoch dir als Werbetreibendem, alle für Wahlen und Werbung geltenden Gesetze und Vorschriften einzuhalten“, heißt es auf der Informationsseite Facebooks. Außerdem wird Werbung mit entsprechenden politischen Inhalten bis zu sieben Jahre in Facebooks Werbebibliothek gespeichert. Diese ist für jeden einsehbar und beinhaltet alle eingegangenen Inhalte, auch wenn diese abgelehnt wurden, soll so für mehr Transparenz sorgen. Ähnliche Bibliotheken gibt es auch bei Twitter oder Google.

Wahlwerbung als Geschäftsmodell?

Laut Christian Hoffmann von der Uni Leipzig sei politische Werbung für Twitter im Vergleich zu Facebook ein relativ unbedeutendes, politisch heikles Geschäft, das Verbot also ein einfacher Ausweg. Dorseys Seitenhieb spielt darauf an, dass Facebook gegen Geld auch Lügen an Zielgruppen politischer Werbung verbreitet. Doch geht es wirklich um Geld? Nach eigenen Angaben Zuckerbergs im letzten Earnings Call im Oktober wird Facebook im kommenden Jahr nur etwa 0,5 Prozent des Umsatzes durch entsprechende Anzeigen machen.

Konkrete Zahlen zu den Einnahmen sind im Facebook-Werbebericht nachzulesen. Beispielsweise wurden in den USA seit Mai 2018 über 898 Millionen Dollar für Wahlwerbung ausgegeben. Laut Googles Transparenzbericht sind es im Vergleich dazu im selben Zeitraum hier nur 127 Millionen Dollar. Nachverfolgen lässt sich auf Facebook außerdem, für welche Kampagnen der Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2020 am meisten ausgegeben wird. Hier steht die offizielle Seite Donald Trumps mit 15,4 Millionen Dollar seit Jahresbeginn an erster Stelle. Seit März dieses Jahres kann man außerdem die Daten für Deutschland nachvollziehen. Hier wurden seitdem nur etwas über acht Millionen Euro für politische Werbung auf Facebook ausgegeben. Am meisten ausgegeben hat dabei das Europäische Parlament mit 768.000 Euro gefolgt von Greenpeace, Allianz Deutschland, der CDU und der SPD (alle Zahlen Stand: 17. November 2019).

Zuckerberg gibt im letzten Earnings Call ebenfalls Gründe an, wieso sich Facebook anders als Twitter gegen ein generelles Verbot politischer Werbung entschieden hat: „Manche Leute werfen uns vor, dass wir diese Rede nur erlauben, weil es uns ums Geld geht. Das ist falsch.“ Facebook sei politische Meinungsäußerung wichtig und sie stünden weiterhin für Meinungsfreiheit ein. „Politische Werbung beinhaltet oft Forderungen, Wertungen oder auch Provokationen“, sagt Hoffmann. „Häufig ist die Faktizität von Werbebotschaft also streitbar.“ Wenn Facebook als privates Unternehmen politischen Akteuren die Verbreitung von solchen Botschaften untersage, werde die Meinungsfreiheit fast unvermeidlich berührt.

Menschen, die Social-Media-Plattformen nutzen, geben Informationen über sich preis, anhand derer sie auf sie zugeschnittene Werbeinhalte zu sehen bekommen. Foto: Anton Baranenko

Kleine Bewegungen schützen

Politische Werbung bezieht sich nicht nur auf Äußerungen von Politikern. So genannte Issue Advocacy Ads, worunter Wahlwerbung fällt, beinhalten auch Anzeigen von gesellschaftlichen Bewegungen. „Werbung kann ein wichtiger Teil der Mitsprache sein, vor allem für Kandidaten und Gruppen, die in den Medien sonst nicht abgebildet werden“, sagte Zuckerberg dazu im Earnings Call. Als Beispiel führte er die Frauenrechts- und Klimabewegung an. Damit liegt er nach Hoffmann nicht unbedingt falsch. „Experten sind der Ansicht, dass das totale Verbot politischer Werbung vor allem die etablierten Kräfte stärkt“, sagt er. Es seien eher die kleinen, neuen und oppositionellen politischen Kräfte, die sich durch Werbung in den sozialen Medien Einfluss verschafften. Dorsey hebt in seinem Thread jedenfalls hervor, dass viele soziale Bewegungen auch ohne politische Werbungen gewachsen seien und er darauf vertraue, dass sie das auch weiterhin würden.

Trotz dieser Beteuerung hat Twitter in den am 15. November aktualisierten Richtlinien eine Ausnahme dafür eingebaut. Demnach erlaubt die Plattform weiterhin Werbung, die auf einen Zweck aufmerksam macht, also über Themen aufklärt wie soziale Gerechtigkeit, ziviles Engagement oder Umweltschutz – solange diese bestimmte Vorgaben erfüllt. Diese beinhalten, dass Werbetreibende, wenn sie Zielgruppen ansprechen, kein Microtargeting benutzen. Verwendete Keywords dürfen zudem keine politischen Begriffe enthalten und auch nicht direkt auf Seiten von Personen verlinken, die unter das Werbeverbot fallen. Außerdem gibt es eine Ausnahme für Zeitungsverlage, wenn diese über politische Themen berichten. Auch diese müssen gewisse Kriterien erfüllen und dürfen sich nicht klar zu beworbenen Inhalten positionieren.

„Wichtig und wirksam ist der öffentliche Diskurs“

Wie im Falle der Werbung über Joe Biden rechtfertigt sich Facebook damit, dass politische Werbung generell stärker im Blick stehe und daher falsche Inhalte in Form eines öffentlichen Korrektivs sowieso richtig gestellt würden. Ein Problem bei diesem Ansatz ist allerdings die extreme Zielgruppengenauigkeit, die soziale Netzwerke ermöglichen. „Das ‚Microtargeting‘ ist mit einem erhöhten Risiko der Verbreitung von Desinformation verbunden, weil sie eben nicht öffentlich ist“, so Hoffmann dazu. Da diese Werbung zum Teil relativ wenigen Menschen individuell gezeigt werde, entfalle ein wichtiges Korrektiv in Form der öffentlichen Debatte. „Wenn womöglich kaum jemand mitbekommt, dass sehr gezielt an wenige Menschen Unwahrheiten gesendet werden, ist es schwierig, diese richtigzustellen.“

Hoffmann hält eine Regulierung politischer Kampagnen für weitestgehend aussichtslos. „Es gibt auch Forderungen, die Personalisierbarkeit politischer Werbung einzuschränken, also nur basierend auf wenigen Faktoren wie Wohnort, Bildung oder Geschlecht gezielt Anzeigen schalten zu können. Eine solche Einschränkung der Personalisierung würde aber natürlich unmittelbar in das Geschäftsmodell der Plattformen eingreifen.“ Die Einschränkung von Microtargeting ist also eine mögliche Lösung, die den Netzwerken gleichzeitig jedoch den Marktvorteil nimmt, dass sie Zielgruppen sehr genau abgrenzen können. Eine ideale Lösung scheint es nicht zu geben. „Wichtig und wirksam ist letztlich der öffentliche Diskurs, in dem die Aussagen der politischen Akteure problematisiert und gegebenenfalls richtiggestellt werden“, schlussfolgert Hoffmann. „Das setzt aber voraus, dass diese Aussagen transparent, also überhaupt bekannt sind.“

Text: Julia Walter; Titelbild und Foto: Anton Baranenko; Videos: YouTube-Kanäle Global News sowie Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

Meinung des Autors

Jeder Klick ein Treffer

Dass das Onlineverhalten viel oder fast alles über Menschen preisgibt, was große Firmen wissen wollen, ist nichts Neues. Dabei geht es nicht mehr nur um die freiwilligen Angaben, die Menschen in ihre Profile schreiben – jeder Klick, jede Gefällt-mir-Angabe gibt Auskunft darüber, wo und wie man jemanden am besten mit einer Werbebotschaft erreicht. Microtargeting und Big Data klingen vielleicht nach einem futuristischen Szenario, sind aber in Wirtschaft und Politik längst angekommen. Dabei flimmern vor Wahlen nicht mehr die immer selben Wahlwerbespots auf dem Fernseher auf, über die sich die Familie gemeinsam austauscht. Stattdessen bekommt jeder ständig eng auf ihn zugeschnittene Werbung serviert, die Vorurteile oder Unsicherheiten nur noch verstärken und nicht dazu animieren, sich differenziert mit Inhalten auseinanderzusetzen. Es ist schon erschreckend, wenn als manipulierbar geltende Menschen mit Fake News und irreführenden Informationen überflutet werden, bis sie so wählen, wie große Marketingfirmen es von ihnen wollen. Wenn nicht mehr transparent ist, mit welchen Mitteln der Wahlkampf bestritten wird, dann haben wir ein grundsätzliches Problem. Politische Werbung wie auf Twitter komplett zu verbieten, ist sicher keine perfekte Lösung und muss noch erprobt werden. Aber es ist auch nicht notwendig, dass Politiker und Parteien ausgewählten Zielgruppen den lieben langen Tag erzählen dürfen, was sie wollen, selbst bereits enttarnte Lügen, und dabei auch noch den öffentlichen Diskurs umgehen.

<h3>Julia Walter</h3>

Julia Walter

geb. 1997 hat ihren Bachelor in Medienmanagement an der Hochschule Mittweida absolviert. Aktuell studiert sie im Master "Media and Communication Studies" und ist nach drei Semestern als Redaktionsmitglied nun als studentische Hilfskraft bei medienMITTWEIDA tätig.