Freiwilligendienst

„Die haben einfach Power“

von | 24. Mai 2024

Jung, unengagiert und politikverdrossen? Ein Gespräch über politisches Engagement von jungen Leuten.

„Die Jugend” erscheint in den Augen Älterer manch einem*r als unengagiert und politikverdrossen. Doch zeichnet sie das wirklich aus? Ein Gespräch mit Peggy Stockhowe, der Programmleiterin des Freiwilligen Sozialen Jahres-Politik in Sachsen.

Peggy Stockhowe ist seit 2022 als Programmleiterin für das FSJ-Politik bei der Sächsischen Jugendstiftung tätig. Diese Form des Freiwilligendienstes bietet jungen Menschen von 16 bis 26 Jahren die Möglichkeit, an der Arbeit von politischen Akteur*innen teilzuhaben. Mögliche Einsatzstellen reichen von politischen Vereinen über Staatsministerien bis hin zu Bildungsinstitutionen. Im Gespräch mit medienMITTWEIDA erzählt Stockhowe von jugendlichem Engagement und der Unterstützung, die unsere Gesellschaft Ehrenamtlichen entgegenbringen sollte.

Was motiviert junge Menschen Ihrer Einschätzung nach, sich politisch zu engagieren?

Die jungen Menschen, die ich im FSJ-Politik erlebe, sind tatsächlich alle schon ein Stück weit politisch sozialisiert. Sie haben sich in ihrem Leben auf irgendeine Weise schon mal mit dem Thema auseinandergesetzt, manchmal durch das Elternhaus. Ganz oft ist es aber auch durch Lehrerinnen und Lehrer. Gar nicht mal unbedingt aus dem Fach Gesellschaftskunde, sondern auch andere – von Deutsch über Geschichte, ganz querbeet. Oft sind die jungen Menschen dort auf Personen getroffen, die sich tief mit politischen Themen auseinandergesetzt haben. Und das auch eher diskursiv, also nicht im Sinne von Wissensvermittlung. Stattdessen haben sie sich eher mit den jungen Menschen überhaupt über politische Themen unterhalten.

Aber es gibt noch junge Leute, die in bestehende politische Strukturen eher hineinstolpern. Das kann eine Position sein wie der*die Klassensprecher*in, das kann aber auch durch Vereinsstrukturen passieren. Nehmen wir mal den Sportverein – da kommt man auch nicht an politischen Themen vorbei. Dort geht es dann oft darum, eine Lobby für Sport zu haben – beziehungsweise, dass junge Menschen überhaupt Gehör finden. Das ist der eine Teil: Das Biografische.

Der andere ist tatsächlich die aktuelle politische Situation. Da erlebe ich die jungen Menschen einfach als besorgt. Ganz oft auch hilflos und auf der Suche nach dem, wie sie selbst aktiv werden können.

Ein heruntergerissenes Wahlplakat in Dresden. Foto: Alba Heidel

Sie haben gerade auch schon die politische Stimmung in Deutschland angesprochen. Diese hat sich vor allem in den letzten Wochen in Dresden nochmal verschärft. Das zeigen Angriffe auf Menschen, die Wahlplakate aufhängen. Wie nehmen Sie die Stimmung der diesjährigen FSJler*innen wahr? Herrscht dort Politikverdrossenheit und Aggressivität?

Aggressiv ist meine FSJ-Gruppe überhaupt nicht, sondern sehr interessiert an Diskussionen, Diskurs und wie die Diskurse geführt werden. Außerdem ist sie offen gegenüber anderen Dingen. Aber es ist auch psychologisch begründet, dass wir Menschen eine Tendenz haben, fremde Dinge von uns abzugrenzen. Das nehme ich auch wahr, aber in einem ganz normalen Maß, wie das okay ist. 

Politikverdrossen sind die jungen Menschen, die bei uns landen, definitiv nicht. Die haben wirklich Lust auf das Thema und haben super viele Fragen. Ich wundere mich immer, was die jungen Menschen alles nicht wissen, wenn sie bei uns landen. Und dass sie, wie soll ich sagen, so ein statisches Wissen über Politik haben. Also ganz oft können sie zum Beispiel super gut technisch herunter rattern, wie ein Gesetz entsteht. Aber sie kriegen das nicht mit realen Prozessen zusammen, also daraus abzuleiten, warum zum Beispiel Gesetzgebungsprozesse so lang dauern. Und da bleibt das Wissen, was sie über Politik ganz oft aus der Schule mitbringen, einfach ungenutzt – ohne konkrete Anbindung an die Realität. Ich denke tatsächlich, dass wir unsere jungen Menschen nicht gut auf das Thema vorbereiten. 

Eine Frage, die mich auch noch herumtreibt, ist, wie wir jungen Leuten Werte vermitteln. Wie kann es sein, dass Politiker*innen angegriffen werden mit körperlicher Gewalt – und es in der Gesellschaft auch noch so eine Bubble gibt, die das scheinbar anheizt und so etwas gut findet? Da brauchen wir einerseits das Wissen, wie Demokratie eigentlich funktioniert und andererseits einen Diskurs darum, wie wir miteinander umgehen und Diskussionen führen. Ist das in Ordnung, zuzuhauen? Nein, das ist natürlich nicht in Ordnung! Und wo lernen wir das? Im besten Fall natürlich, wenn wir jung sind und in der Schule.

Denken Sie, dass Ehrenamtliche und FSJler*innen durch politisch motivierte Gewalttaten eingeschüchtert werden?

Ich würde sagen, dass es definitiv dazu führt, dass junge Menschen – aber auch meine Kolleginnen und Kollegen in der politischen Bildung – durch solche Dinge verunsichert werden. Allerdings sind das in den letzten Tagen Beispiele gewesen, die groß durch die Medien gegangen sind.

Ich bin aber der Meinung, dass es diese Aggressivität auch schon länger gegeben hat. Das ist nicht erst ein Phänomen von heute, sondern das gibt es schon viel länger. Ich glaube, es hat immer ein bisschen an der Oberfläche gebrodelt und ich habe das Gefühl, seitdem einige soziale Medien ein solches Gewicht bekommen haben, ist es ausgebrochen wie ein Vulkan.

Es hat vielleicht auch zu lang gedauert, bis die Politik sich dem angenommen hat und nun versucht, Regelungen dafür zu finden. Wie ich finde hat es zum Beispiel ziemlich lang gedauert zu sagen, dass Beleidigungen (auch in sozialen Netzwerken) strafbar sind. Das ist aber auch am Ende ein relativ normaler Mechanismus – den muss man aber trotzdem nicht gut finden.

In der Hinsicht denke ich, dass zumindest Träger und Vereine in der politischen Bildung mit dem Thema schon länger befasst sind. Dass es mehr und bedrohlicher wird, sehe ich jedoch auf alle Fälle auch. Und damit wird es natürlich gefährlicher für die Leute, die ehrenamtlich in diesem Bereich tätig sind.

Welche Maßnahmen halten Sie für effektiv, um gegen politische Gewalt vorzugehen?

Ich glaube, ganz unterschiedliche: Gerade bei jungen Leuten, die vielleicht irgendeiner Gesinnung nachhängen, wissen wir aus der Wissenschaft, dass es nicht sinnvoll ist, die Strafen noch größer und schlimmer zu machen. Dass ein Handeln eine Konsequenz braucht, ist ohne Frage. Wenn eine Straftat passiert, muss es eine Konsequenz geben. Und ich glaube, auch unser Rechtssystem könnte da manchmal ein bisschen fixer sein – also dass die Tat mit der Konsequenz auch noch in Verbindung gebracht werden kann. Da denke ich, könnte man schon vielleicht was machen.

Aber ich glaube, der wichtigere Baustein liegt tatsächlich in allem, was präventiv ist. Also: Wie kommen wir überhaupt dahin, dass junge Menschen gar nicht erst zuschlagen müssen? Denken sie, dass das normales Handeln und somit okay ist? Und ich glaube, da ist alles, was präventiv ist, wichtig: Schule und außerschulische Bildung braucht es da – das ganze Repertoire sozusagen.

In einer aktuellen MDR-Umfrage hat sich eine deutliche Mehrheit für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgesprochen. Die CDU hat auf ihrem Parteitag Anfang Mai ebenso für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr gestimmt. Was halten Sie von so einem Vorhaben? 

Ich glaube, dass alles so seine Vor- und Nachteile hat. Einfach nur zu sagen, ein Pflichtjahr ist völlig Quatsch – ich glaube, so einfach ist es nicht. Und ich glaube, das ist wieder so eine ganz komplexe Sache. Es war viele Jahre so, dass wir in einem sehr friedlichen Umfeld leben konnten. Jetzt hat sich diese Sache ein Stück weit gewendet – das lässt alles wieder in ganz neuem Licht erscheinen. […] Ob die Verpflichtung eine gute Idee ist? Da würde ich mich jetzt gerade nicht festlegen wollen. Denn will jemand das nicht aus eigener Lust machen – wie sinnvoll ist dann das, was dabei herauskommt? 

Was mich an dieser Diskussion ein bisschen stört, ist dieser Fokus auf der Jugend. Ich fände es eigentlich ganz schön, wenn man sagen würde, dass es für alle verpflichtend ist, und auch die Bevölkerung, die jetzt vielleicht um die 40 Jahre alt ist, das machen muss. Das würde sich für mich gerechter anfühlen. Zu sagen: „Die Jugend muss es für uns rausreißen”, finde ich dagegen schwierig. Es sollte eher für alle Generationen gedacht werden. Man könnte zum Beispiel sagen, dass es bis zu einem Alter von XY abgeleistet werden muss. 

Die Frage ist, wie wir es schaffen, dass Menschen sich auch wieder mehr ins Gemeinwesen einbringen. Ob da jetzt die Pflicht das geeignete Mittel ist – da kann ich mich gerade nicht so richtig festlegen. Aber ich finde es auf alle Fälle spannend darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn wir das grundsätzlich mehr verankern und alle etwas für die Gemeinschaft tun. Vielleicht müssen wir das zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen.

Was zeichnet in Ihren Augen die junge Generation aus? 

Ich tue mich ein bisschen schwer mit diesen Verallgemeinerungen, weil „die Jugend“ gibt es nicht. Die Jugendlichen, die bei uns landen, können nicht für alle Jugendlichen aussagen. Ich kann nur von dieser Gruppe erzählen, die ich wahrnehme, und diese Gruppe ist sehr offen und sehr interessiert. Sie haben super viele Fragen, wo ich immer denke: Hat dir noch nie jemand diese Themen beantwortet? 

Es gibt super viel Lust, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, gestalten zu wollen und die Gesellschaft am Ende besser zu machen. Ich denke mir da aber manchmal auch: So düster, wie das jetzt gezeichnet wird, muss man immer ein bisschen aufpassen, dass man sich nicht vom Medienstrudel mitziehen lässt. Aber sie sind da schon sehr idealistisch und die haben einfach Power. Demgegenüber steht aber tatsächlich, und das will ich auch nicht verschweigen, oft Hilflosigkeit und manchmal auch Wut. Wütend sind sie auch.

Kurzkommentar der Autorin

Das wertvollste Jahr meines Lebens – aber bitte nicht auf Zwang

Als ehemalige FSJlerin komme ich regelmäßig in Bedrängnis, das FSJ-Politik erklären zu müssen. Während Freiwilligendienste im Krankenhaus oder ein Jahr im Kindergarten nach dem Schulabschluss geläufig sind, scheint kaum eine*r den politischen Ableger dessen zu kennen. Doch in der Unbekanntheit steckte für mich damals der Reiz – und so bewarb ich mich auf einen Platz und sammelte innerhalb eines Jahres die wertvollsten und einzigartigsten Erfahrungen meines Lebens. Keine andere Lebensetappe bis jetzt hat meine Persönlichkeitsentwicklung so sehr gefördert wie dieser Freiwilligendienst. Bin ich deshalb für eine Verpflichtung? Auf keinen Fall!

Versteht mich bitte nicht falsch, als Teil unserer Gesellschaft sehe ich es als Aufgabe, dieser etwas zurückzugeben – egal ob im politischen, ökologischen, kulturellen oder sozialen Bereich. Dennoch halte ich eine Zwangslösung als falschen Weg. Wer nicht selbst ein Minimum an Motivation mitbringt, sich engagieren zu wollen, wird kaum einen sinnvollen Beitrag leisten. Vielmehr sollte über Möglichkeiten des sozialen Engagements umfassend aufgeklärt werden – und das unbedingt auch im Rahmen von Schulveranstaltungen. Daneben müssen Anreize gesetzt werden, sich ehrenamtlich einzubringen. Natürlich muss über eine angemessene Aufwandsentschädigung nachgedacht werden, aber viel mehr darüber, wie der persönliche Mehrwert eines Freiwilligendienstes ausgedrückt werden kann. Und den gibt es sicherlich nicht nur für „die Jugend“.

Text und Fotos: Alba Heidel

<h3>Alba Heidel</h3>

Alba Heidel

ist 23 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Chefredakteurin seit dem Sommersemester 2024.