„Ich bin ganz gern unprominent“, sagt Stefan Sichermann über sich selbst. Der Gründer der Satire-Seite „Der Postillon“ gibt eigentlich kaum Interviews. Für die medienMITTWEIDA-Redakteurin Sandra Winnik machte er jedoch eine Ausnahme und sprach mit ihr über satirisches Schreiben, Blogs und sein Erfolgsrezept.
Vom Hobbyblog …
„Linie übertreten: Rekordsprung aus 39 Kilometern Höhe für ungültig erklärt“ – so lautete der Titel des Artikels über den Rekordsprung des Österreichers Felix Baumgartner zur Erde, der Stefan Sichermanns Satire-Blog „Der Postillon“ im Oktober 2012 zum endgültigen Durchbruch verhalf. Dabei fing 2008 alles eher harmlos an: „Ich wollte das Bloggen versuchen, wollte dabei aber nichts Privates schreiben“, so der Postillon-Gründer. Inhaltlich orientierte sich Sichermann an der amerikanischen Satire-Seite „The Onion“. Doch auch „Der Postillon“ fand anfänglich für seine Beiträge erst einmal keine große Leserschaft im Netz: „Es dauerte lange, bis ich 100 oder 1000 Leser pro Beitrag hatte“, erzählt der Satiriker. Mittlerweile erreichen seine Artikel das nur in wenigen Minuten.
… zum Beruf
Über 1,8 Millionen Leser besuchen die Seite jeden Monat. „Der Postillon“ ist nun Sichermanns Beruf geworden: Seit April 2011 lebt er von seiner Satire. Die Haupteinnahmen erzielt er dabei aus Werbung, wobei er Wert darauf legt, nichts auf seiner Seite zu bringen, das „die Leser nervt“. Einen geringen Prozentsatz der Einnahmen erzielt er aber auch aus Spenden, wie zum Beispiel über „flattr“: „Das ist aber eher noch ein Bonus und total schmeichelhaft“, so Sichermann. Aktiv Werbung für seine Seite macht er, im Gegensatz zu seinen Anfangszeiten, jedoch kaum noch. Das Meiste schaltet er über soziale Netzwerke: „Jetzt ist die Facebook-Seite das Wichtigste“, meint der Postillon-Gründer. Dass sie gut funktioniert, zeigen nicht zuletzt über 250.000 Fans, die die Seite mittlerweile hat.
Gute Satire muss geübt sein
Die Artikel schreibt Stefan Sichermann weitgehend allein. „Es gibt mittlerweile ein paar freie Journalisten, die für mich schreiben. Denn wenn mir jemand einen guten Artikel oder eine gute Idee schickt, dann veröffentliche ich das auch“, erklärt Sichermann. Die Newsticker-Beiträge wiederum werden komplett von den Lesern erstellt. In den Kommentaren der einzelnen Artikel hat sich mittlerweile eine lebhafte Diskussionskultur entwickelt, in der auch die Newsticker-Beiträge der Leser gepostet werden. Jeder kann sich also im Prinzip aktiv satirisch beteiligen.
Ein gewisses Talent für Satire braucht es allerdings schon, ebenso wie für das Schreiben: „Die wenigsten können das auf Anhieb“, so Sichermann, und gibt zu, dass auch er dies anfangs noch lernen musste. „Das das so getroffen und satirisch so funktioniert hat, das muss man sich antrainieren.“ Auch die richtigen Geschichten zu finden und zu schreiben, nahm viel Zeit in Anspruch. Dabei erweist sich gerade das satirische Schreiben als weniger spontan, als vielleicht gedacht: „Ich setze mich aktiv hin, lese viele Nachrichten, denke dann darüber nach und versuche einen Winkel zu finden, wie es auch anders aufgenommen werden kann“, beschreibt Sichermann seinen Arbeitsprozess.
Blogs als Konzept mit Zukunft?
Für Stefan Sichermann ist seine Arbeit „eigentlich ein schöner Job“: „Es ist nichts anderes, als ein freier Journalist zu sein“, meint der Satiriker. Der Unterschied liege nur darin, dass man seine Inhalte selber veröffentlicht – ein Konzept, in dem er die Zukunft des Journalismus sieht. „Mittelfristig ist das die einzige Möglichkeit. Ich denke, dass die Zahl der Journalisten zwangsläufig zurückgeht, aber für die, die bleiben, ist das eigenständige Publizieren eine der wenigen Möglichkeiten“, erklärt er weiter.
Ein eigener Blog biete immerhin auch die Chance, sich einen Namen zu machen und Dinge zu veröffentlichen, die in anderen Medien keinen Platz finden würden. „Ich wundere mich eher, dass die meisten Journalisten nichts dergleichen machen. Geschrieben wird ja immerhin auch, um zu berichten, zu publizieren, um seine Meinung kundzutun“, so Sichermann.
Quereinstieg in die Medienbranche
Dabei ist Stefan Sichermann selbst kein ausgebildeter Journalist: Stattdessen studierte er neben „alte Geschichte“ auch englische Linguistik und arbeitete danach in einer Werbeagentur. Für Journalismus hat er sich allerdings nicht erst nach seinem Praktikum bei den „Lübecker Nachrichten“ interessiert. Neben seiner Tätigkeit in der Werbebranche schrieb er auch für den BILDblog und würde dies vermutlich heute noch immer tun, gäbe es den Postillon nicht, der eben seine Zeit in Anspruch nimmt.
Beharrlichkeit zahlt sich aus
Auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept, antwortet Sichermann kurz: „Kontinuierliche Arbeit“. Der Postillon-Gründer hat in der vergangenen Zeit bereits viele ähnliche Satire-Seiten beobachtet: „Diese Seiten haben eine Weile stark Content abgeliefert, doch haben sie anscheinend nach zwei Monaten den Genuss zur Satire wieder verloren. Vielleicht hatten sie auch das Gefühl, der Erfolg kommt nicht schnell genug und haben sich dann wieder aus dem Netz verabschiedet“, vermutet der hingegen erfolgreiche Satiriker, Stefan Sichermann. Er selbst hat stattdessen nicht aufgegeben und unter seiner Motivation „Ich will, dass mir dazu etwas einfällt!“ seine Satire-Seite stets inhaltlich weiterentwickelt. Genau diese Beharrlichkeit ist es nicht zuletzt, die ihm 2013 den Grimme Online Award in der Kategorie „Information“ völlig zurecht einbrachte.
Interview: Sandra Winnik, Text: Theres Grieger, Bild: Christine Simon