Sons of Anarchy
„Hamlet“ und seine Harley
Throninhaber oder Thronfolger – wer stirbt zuerst? Foto: Lena von Heydebreck
Dieses Stück liefert großartigen Erzählstoff: Ein junger Prinz erfährt, dass seine Mutter und sein Stiefvater den König ermordeten und nun gemeinsam das Reich regieren. Er begibt sich auf einen Rachefeldzug. Der Rest ist Schweigen. Soweit zu William Shakespeares Drama Hamlet, an das sich Regisseur Kurt Sutter bei seiner FX-Serie anlehnt: Sons of Anarchy hangelt sich an diesem Handlungsfaden entlang und ist doch viel mehr als die bloße Übersetzung eines Klassikers in ein neues Setting. „SOA“ erzählt eine abschreckende, brutale und unausweichliche Geschichte von Bruderschaft, Treue, Liebe und Verrat – und ist eine der unterschätztesten Serien der vergangenen Jahre.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Jackson „Jax“ Teller (Charlie Hunnam), der als Vize-Präsident zum örtlichen „Chapter“ des Outlaw-Clubs Sons of Anarchy im fiktiven kalifornischen Ort Charming gehört, das einst sein Vater gründete, bevor er bei einem mysteriösen Motorradunfall starb. Regiert wird der Club, der sein Geld mit Waffen- und Drogenhandel verdient, von Jaxs rücksichtslosem Stiefvater Clay Morrow (Ron Perlman) und seiner Mutter Gemma (Katey Sagal), eine der faszinierendsten weiblichen Hauptrollen der jüngeren Seriengeschichte.
Das Leitmotiv ist Jaxs verzweifelter Versuch, den Club auf den richtigen Weg zu führen und gleichzeitig seine Familie vor den Gewaltexzessen zu beschützen. Dieser innere Kampf, den der „Prinz“ nach außen mit zunehmender Brutalität führt, bringt jedoch beide – Club und Familie – immer näher an den Abgrund: Jede Entscheidung mündet in einem neuen Dilemma, Verbündete wenden sich ab, neue Feinde rotten sich zusammen. Die Rocker – ein ziemlich trauriger Haufen aus weißen Unterschicht-Proleten – prügeln und schießen sich von einer misslichen Lage in die nächste: Sie legen sich mit Nazis ebenso an wie mit mexikanischen Kartellen und chinesischen Drogendealern. Unter der sengenden Sonne Kaliforniens reiten die „Sons“, untermalt von Country und Rock ’n‘ Roll, in ihren unweigerlichen Untergang.
Sons of Anarchy, in deren Cast sich sogar einige frühere Mitglieder der realen Rocker-Gruppe „Hell’s Angels“ als Schauspieler verdingen, glorifiziert Gewalt, Bruderschaft und Treue. Das kann manchmal stumpf oder gar kitschig wirken, letztlich erzählt die Serie aber ganz ähnlich wie Breaking Bad eine großartige Geschichte darüber, wie aufrichtige Ziele in einer brutalen Umgebung zerrieben werden, bis nichts mehr übrig ist. Shakespeare hätte das vielleicht sogar gefallen.
Text: Janis Brinkmann, Foto: Lena von Heydebreck