Zukunft oder Gegenwart?
Trotz ihrer Abneigung gegen Roboter scheint Mai gleich zu Beginn fasziniert von 7723 zu sein. Foto: Netflix
Der Animationsfilm Next Gen (dt. Das Mädchen und ihr Roboter – Die nächste Generation) zeichnet die Geschichte der zwölfjährigen Mai, die in einer futuristischen Science-Fiction-Welt neben der Rettung der Welt auch ganz alltägliche Probleme einer jungen Heranwachsenden bewältigen muss. Genau da zeigt sich bereits die sowohl größte Schwäche als auch Stärke des Films.
Der eigentliche Kinderfilm verfolgt in einem simplen Handlungsstrang, wie Mai Bekanntschaft mit einem Roboter macht, der geschaffen wurde, um den Bösewicht aufzuhalten und die Menschheit zu retten – plump, vorhersehbar und wenig innovativ. Doch der eigentliche Kern der Geschichte liegt vielmehr in Mais Charakter, Entwicklung und der Bewältigung von Problemen, die nicht erst in einem actionreichen Sci-Fi-Abenteuer auftreten können, sondern im Leben eines jeden Zuschauers. Der Verlust ihres Vaters und die fehlende Beachtung ihrer Mutter, die ihren Kummer in ihrer Begeisterung für Roboter erstickt, haben aus Mai eine wütende, Roboter hassende Rebellin gemacht. Von Mobbing, Zurückweisung und Einsamkeit geplagt, sieht sie im Roboter 7723 nach anfänglicher Abneigung eine Chance, sich selbst Luft zu machen und Rache an Robotern sowie Mitschülern zu üben, die sie so sehr verabscheut.
Künstliche Intelligenz als menschlicher Ersatz
Wie viele futuristische Filme, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, hinterfragt der Film kritisch die Art und Weise, wie mit technischer Entwicklung umgegangen wird und bereitet das Thema auch für Kinder verständlich auf. Besonders der Hype für neue Technologien und deren Entwickler Justin Pin legt nahe, wie wenig potentielle Risiken reflektiert werden. Technik eröffnet die Möglichkeit, menschliche Defizite auszugleichen, sodass Erwachsene im Film sich mehr für ihre Roboter interessieren, als für menschliche Interaktion. Denn Roboter haben weniger Potential, Verlust oder Enttäuschung hervorzurufen: Ein Streben nach Perfektion, um negative Erfahrungen zu minimieren, das auch der Film mit den beiläufigen Worten des Roboter-Entwicklers kritisch hinterfragt:
„You’re not perfect but then perfect is the enemy of good.”
Menschlichkeit steht klar im Vordergrund. Der Film lässt die künstliche Intelligenz 7723, an den die Worte des Entwicklers gerichtet waren, innerhalb weniger Minuten menschlicher wirken als Mais desinteressierte, technikbesessene Mutter. Spätestens als Mai herausfindet, dass 7723 aufgrund eines Defekts nicht genug Speicherkapazität hat, um alle Erinnerungen zu speichern, ist die emotionale Bindung des Zuschauers zu/an? Mai und ihrem Roboter vollbracht. Denn 7723 möchte eigentlich alle Erinnerungen an Mai und ihre gemeinsame Zeit aufbewahren. Seine Worte „The more memories I make, the harder it is to choose what to forget” gehen direkt ins Herz. Gleichzeitig erinnert die Situation an den eigenen, menschlichen Verstand, der im Laufe des Lebens nicht alle Erinnerung behalten kann, und schafft damit eine weitere emotionalisierende Wirkung.
Nicht nur optisch an Pixar angelehnt?
Technisch kann sich Next Gen ebenfalls sehen lassen. Eine optisch ansprechende, aufwendig aussehende Animation erweckt zwischendurch immer wieder das Gefühl, man würde einen Pixar-Animationsfilm schauen. Nicht nur optisch lassen sich Parallelen zum großen Walt Disney Konzern herstellen. Der 2014 erschienene Animationsfilm Baymax – Riesiges Robowabohu ähnelt auch in Zügen seiner Geschichte dem Netflix-Animationsfilm. Auch dort kompensiert der Hauptcharakter seinen Verlust in einem Roboter und rettet gemeinsam mit ihm die Welt. Dennoch kann sich Next Gen in seinem Handlungsverlauf klar abheben und hat mit Mai einen spannenden Charakter entwickelt, auch wenn sie dem Zuschauer gelegentlich ein leicht genervter Seufzen entlocken kann.
Insgesamt versucht Next Gen sowohl inhaltlich als auch visuell viel zu sagen und verrennt sich darin. Zurück bleibt ein Gefühl von leicht chaotischer Übersättigung. Dennoch schafft der Film es, allen Bereichen soweit gerecht zu werden, dass der Zuschauer auf keiner Ebene enttäuscht wird. Allein die Beziehung zwischen Mai und 7723 verzaubert derart, dass kleinere Mankos und die Tatsache, dass es sich bei 7723 um eine eigentlich emotionslose Maschine handelt, schnell vergessen werden. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Film primär eine jüngere Zielgruppe anspricht und dahingehend Abstriche in Komplexität machen musste. Nichtsdestotrotz gelingt es dem Film, eine starke emotionale Bindung aufzubauen und unterschwellig Themen anzusprechen, die auch ein erwachseneres Publikum zum Nachdenken anregen können.
Text: Lena von Heydebreck, Foto: Netflix