Jellyfication

„Quallenfischen ist der Hit”

von | 24. Juni 2021

Tschau Poseidon, hallo Glibbertier – Wer übernimmt die neue Herrschaft der Meere?

Kein Hirn, kein Herz nur ein schlichtes Nervensystem und ganz viel Schleim. Ob schirmartig, kugelig oder würfelförmig, Quallen bevölkern die Ozeane in diversen Variationen. Aber warum profitieren diese Tiere vom Einfluss der Menschen, obwohl sich das Meer zu einem immer ungemütlicheren Lebensraum entwickelt?

Älter als die Dinosaurier, so nahrhaft wie grüner Tee

Seit über 500 Millionen Jahren schweben sie durch unsere Meere und galten lange Zeit als unwichtige Salzwassersäcke. Was wir im alltäglichen Sprachgebrauch als Qualle bezeichnen, wird in der Biologie Meduse genannt und ist ein Lebensstadium des gelatinösen Zooplanktons. Rund um den Globus sind über 2.500 verschiedene Arten bekannt, jedoch existieren weiterhin viele kryptische Artgenossen, welche sich noch nicht genau zuordnen lassen. Bisher wurden diese Wesen nur wenig erforscht und die Dokumentation gestaltet sich als äußerst schwierig. Denn in den Mägen ihrer Fressfeinde lassen sie sich nur schwer wiederfinden, da sie zum größten Teil aus Wasser bestehen und dadurch zeitnah verdaut werden. Auch in Fangnetzen zerreißen die Meerestiere sehr schnell. Hat man endlich ein Exemplar für das Labor fangen können, treibt es ohne den richtigen Wasserstrom meist so lange gegen die Glasscheiben des Aquariums, bis der empfindliche Körper reißt. Greift der Mensch dann nicht ein, führt das rasch zum Tod. Trotz ihrer fragilen Natur sind sie ein bedeutsamer Teil des marinen Nahrungsnetzes, obwohl sie mit knapp 1,7 Kalorien pro 100 Gramm nur geringfügig nährreicher sind als grüner Tee. Außerdem übernehmen sie eine fundamentale Aufgabe im Meer, denn sie tragen zur Gewässerreinigung bei. Diese Filterfähigkeit spielt eine entscheidende Rolle dabei, dass Mikroplastik aus dem Meer in die Nahrungskette gelangt.

In diesem Video wird auf weitere Fakten von Quallen eingegangen:

An Orten wo die meisten Meereslebewesen um ihr Leben kämpfen müssen, fühlen sich Quallen wohl und vermehren sich. Sogenannte Jellyfish Blooms beziehungsweise Quallenblüten, beschreiben Medusen, welche sich in Gruppen zusammenfinden. Immer häufiger spricht man von “Quallen Plage” oder “Quallen Invasion” aber nimmt die Population wirklich zu? Diese Frage ist über die letzten Jahrzehnte immer mehr in den Fokus einiger Wissenschaftler gerückt. 

Üppiges Schildkrötenfutter nur wo sind die Schildkröten?

Auffällig oft landen Quallen in Fischernetzen, vermiesen Touristen den Urlaub am Strand und schafften es in der Vergangenheit sogar mehrmals Atomkraftwerke lahm zu legen. Vor allem durch ihre Blütezeiten sorgen die Tiere für Aufsehen. Viele Forscher befürchten eine Jellyfication der Meere, also eine Verquallung. Bisher konnten bereits bestimmte Quallen-Hotspots ausgemacht werden, darunter zählt beispielsweise die Küste Dänemarks. Noch ist aber nicht nachweisbar, ob die Population global zunimmt, denn um Vergleiche ziehen zu können fehlen langfristige Datensätze. Es ist jedoch sehr gut zu beobachten, dass sich mehrere invasive Arten neue Lebensräume erschließen. So wie die Feuerqualle (Pelagia noctiluca), denn die eigentliche Hochseequalle findet man nun auch in Küstengewässern, wo sie oftmals Schäden hinterlässt.

“We’re all busy looking up at the top of the food chain, but it’s the stuff that fills the bucket and looks like jelly snot that is actually really important in terms of the planet and the way food chains operate.”

„Wir schauen alle viel zu sehr auf das obere Ende der Nahrungskette. Es ist aber dieses Zeug hier, dieser Schnodder in den Kübeln, der wichtig ist für die Funktionsweise der Nahrungsketten und für unseren ganzen Planeten überhaupt.”

Andrew Jeffs

Meeresbiologe, University of Auckland in Neuseeland

Einige Forscher vermuten sogar, dass Quallen einen Indikator für den Zustand unseres marinen Ökosystems darstellen können. Denn es gibt mehrere Faktoren, die nachweislich dazu beitragen, dass sich Quallen immer wohler fühlen. Wir Menschen beeinflussen diese sehr stark. Zum einen ist da die steigende Meerestemperatur, denn in wärmeren Gewässern können Quallen im Polypenstadium einfacher überwintern und mehr Medusen bilden. Zum anderen ist es die Überfischung, denn dadurch wird ein Großteil ihrer natürlichen Fressfeinde, beispielsweise Thunfische, reduziert. Sogar die Oberflächen des Plastikmülls bieten den Quallen neue Möglichkeiten ihre Polypen anzusiedeln. Dieser Müll wird auch einem weiteren Fressfeind zum Verhängnis – der Meeresschildkröte. Denn sie hat sich bei der Nahrungsaufnahme teilweise auf Quallen spezialisiert, nun fällt es ihr immer schwerer das Futter von Plastik zu unterscheiden, weshalb ihr Überleben immer beschwerlicher wird. Aber auch der Einsatz von Düngemitteln aus der Landwirtschaft findet irgendwann den Weg ins Meer. Als direkte Folge vermehren sich häufiger Mikroalgen, wovon sich Quallen besser ernähren können. Je besser Quallen also florieren, desto schlechter geht es dem marinen Ökosystem. Auf diese Weise kann der Mensch regelrechte Quallenfarmen erschaffen.

Das Meer verändert sich, Zeit kreativ zu werden

Die Ideen, wie man mit den Meerestieren umgehen sollte, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die wohl radikalste Lösung für das Problem der Quallenverstopfung bietet der Shredder von JEROS. Dafür werden die Quallen mit einem Roboter-Trio und trichterförmigen Netzen zu rotierenden Klingen geführt. Dadurch kann verhindert werden, dass Quallen beispielsweise Kühlsysteme blockieren. Jedoch tötet dieses System die Tiere sofort. Das europäische Forschungsprojekt GoJelly versucht dagegen innovative Möglichkeiten aufzugreifen und forscht intensiv an Quallenblütenzyklen, um die allgemeinen Kenntnisstände zu erweitern. So wollen sie ungewollte Quallenbeifänge oder angespülte Quallenblüten durch verschiedene Ansätze nutzbar machen. Unter anderem hat sich das Team von den Essgewohnheiten in Asien inspirieren lassen. Dort stehen Quallen schon sehr lange auf dem Speiseplan. In Europa ist das aber aufgrund der Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit komplizierter zu verwirklichen. Deshalb forscht ein Teil des Teams in Italien daran, wie man die Tiere sicher verspeisen könnte.

„Wir wissen aber noch zu wenig über die Bedeutung von Quallen in marinen Ökosystemen. Deshalb muss man diese Art von Forschung vorsichtig betreiben und nicht blind die Quallen aus dem System entfernen.“
Jamileh Javidpour

Meeresbiologin, GoJelly

Auch hier in Deutschland, an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, wird innerhalb des GoJelly Projektes für die Landwirtschaft geforscht. Denn Quallen nehmen sehr leicht Phosphat und Stickstoff auf, was als Dünger verwendet werden könnte. Hier stellt man sich die Frage, welche Methodik bei der Anwendung am effektivsten wäre. Denn man könnte die Tiere sofort auf dem Feld auslegen oder in eine Art Granulat umwandeln, um sie als Dünger zu nutzen. Der wohl vielversprechendste Teil des GoJelly Projektes ist jedoch der Mikroplastikfilter. Ende 2021 soll ein Prototyp fertig gestellt werden, welcher die Grundlage dafür schaffen soll, Quallenschleim als Material für den Bau von Mikroplastikfiltern in Kläranlagen zu nutzen. Auch in der Medizin entwickeln sich Ansätze hierzu. Das Unternehmen Jellagen beschäftigt sich damit, wie man das Kollagen, welches in Quallen enthalten ist, verwenden kann. Wissenschaftler könnten nämlich das Kollagen gebrauchen, um Stamm- und Krebszellen heran zu züchten, damit neue Heilmethoden und Medikamente daran getestet werden können.

Mit all diesen Ansätzen, könnten zukünftig viele Probleme angegangen und bewältigt werden. Jedoch liegt die eigentliche Schwierigkeit im bereits schwankendem Balanceakt des ökologischen Gleichgewichts.  

„If we adapt to fishing for jellyfish as sort of the new normal, then we might lose sight of what our ultimate goal is to potentially restore ecosystems, marine areas to what they potentially could be. […] It might give us an excuse to continue to do those things which which obviously isn’t good.”

„Wenn wir uns an das Fischen von Quallen gewöhnen, dann verlieren wir möglicherweise aus den Augen, was unser ultimatives Ziel ist, nämlich Ökosysteme und Meeresgebiete potenziell wiederherzustellen. […] Das könnte uns eine Entschuldigung geben, weiterhin Dinge zu tun, die offensichtlich nicht gut sind.“

Lucas Brotz

Meeresbiologe, University of British Columbia

Text: Valerie Haß, Titelbild: David Yu/CC0, Titelzitat: Spongebob Schwammkopf, Video: Youtube/Nat Geo Wild
<h3>Valerie Haß</h3>

Valerie Haß

studiert im vierten Semester Medienmanagement mit der Vertiefung Production. Sie kommt aus der Bärenstadt Torgau und verbringt ihre Freizeit am liebsten in Kinosälen oder Buchläden.