Queer in Chemnitz

Warum ich Chemnitz liebe

von | 19. Januar 2024

Eine Reise durch Liebe, Kunst und Identität in Chemnitz. Ein Interview.

Leander* ist 25 Jahre alt und wohnt seit inzwischen 15 Jahren fast durchgängig in Chemnitz. Zu seinen Leidenschaften gehören Fotografieren und Schminken. Der gebürtige Pole ist aktuell in einer Beziehung mit einem Mann. Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt er, wie es für ihn war, in Chemnitz aufzuwachsen und mit welchen Problemen er regelmäßig aufgrund seiner Sexualität konfrontiert ist. 

medienMITTWEIDA: Wie hast du dir Deutschland vorgestellt?

Leander: Meine Eltern wollten schon lange nach Deutschland. Das war keine Entscheidung von heute auf morgen. Es ist eine große Umstellung, weit weg von Familie und Freunden zu ziehen und sein soziales Umfeld zu verlassen. Sie haben mir immer erzählt, dass in Deutschland die Welt noch in Ordnung ist. Meine Eltern haben von einem Haus auf dem Land geträumt. Ein Ziel war auch ein Job, der uns finanziell frei macht. Finanziell frei bedeutete damals, dass wir genügend Geld haben, um uns ausreichend Essen und Klamotten zu kaufen. Ich glaube, so haben sich meine Eltern auch Deutschland vorgestellt. Sie dachten, man kann hier einfach so herziehen, bekommt einen guten Job und hat genügend Geld. Niemand hatte ihnen erzählt, dass häufig die Abschlüsse nicht anerkannt werden. Irgendwie dachte ich auch, dass ich dieselbe Sprache wie die Kinder hier spreche. Natürlich war das nicht so, sondern alle um mich haben Deutsch – für mich eine Fremdsprache, gesprochen. In meiner Vorstellung waren Familien in Deutschland alle glücklich. Als Kind dachte ich, dass nur in Polen Streit in den Familien herrscht.

Inwieweit hat sich die Realität in Deutschland von deinen Vorstellungen unterschieden?

Meine Mutter war Lehrerin, aber den Job konnte sie wegen der Sprachbarriere in Deutschland nie ausüben. Sie hat schon alle möglichen Jobs durch. Aktuell arbeitet sie als Verkäuferin in einem Brillenladen in Chemnitz. Mein Vater arbeitet hier als Maler. Es hat uns zumindest nicht mehr an Essen gemangelt, aber für mehr als das Lebensnotwendige war nie Geld da. Natürlich haben wir auch nie in einem Haus gewohnt und so glücklich wie ich dachte, sind die Menschen auch hier nicht. Klar, hier in Deutschland ging es uns besser, aber der große Luxus ist dann doch nicht ausgebrochen.

Du kommst ja aus Polen, wo zum Teil sehr konservative Ansichten herrschen, haben deine Eltern besonders auf deine Liebe zu Männern reagiert und wie haben sie es erfahren? 

Spätestens wenn du in Chemnitz mit einem Partner durch die Stadt läufst, spricht sich das herum. Irgendwo sieht dich immer jemand, den du kennst. In meinem Fall war ich gerade im Partyoutfit mit bauchfreiem T-Shirt auf dem Weg zum Feiern und habe Freunde meiner Eltern getroffen. Daraus haben sie damals interpretiert, dass ich schwul sein könnte. Meine Eltern haben aber schnell verstanden, dass es nicht schlimm ist, wenn der Sohn schwul ist. Sie hätten sich vermutlich einen Sohn gewünscht, der Hetero ist. Dennoch hatten sie nie ein Problem mit meiner Sexualität. Einige polnische Freunde meiner Eltern konnten das nie verstehen. Für sie ist das ein richtiger Skandal. Viele in meinem Umfeld denken immer noch, dass Männer immer eine Frau, Kinder und ein Haus brauchen.

Du schminkst dich sehr auffällig, willst du damit ein Statement setzen?

In erster Linie mache ich das für mich. Ich liebe es, mich oder Freunde auffällig zu schminken. Mit meinen Make-ups kann ich in einen anderen offenen, extrovertierten Charakter springen. Immer wenn ich geschminkt bin, fühle ich mich wie ein anderer Mensch. Dabei lasse ich alles Negative zurück und versuche einfach nur Spaß zu haben. Allerdings gehe ich mit diesen Outfits nur sehr selten raus. Mit Make-up gehe ich nur zu speziellen Events oder wenn ich in einer Gruppe unterwegs bin. Geschminkt rauszugehen, bringt mich einfach oft in unangenehme Situationen. Es gibt leider noch zu viele, die sich dadurch getriggert fühlen. Freunde von mir wurden wegen Schminke schon zusammengeschlagen.

Hast du in Chemnitz Erfahrungen mit Anfeindungen machen müssen?

Körperliche Gewalt habe ich zum Glück noch nicht erlebt. Aber mir wurden schon verschiedene Beleidigungen hinterhergerufen. Da war alles dabei, von „Tunte“ bis zu „Schwu***el“. Immer wieder rufen mir vor allem junge Männergruppen hinterher, dass ich Glück habe, heute nicht allein unterwegs zu sein. Daraus interpretiere ich, dass sie mir sonst körperliche Gewalt zufügen wollen würden. Solche Sprüche bekomme ich leider auch in anderen Städten zu hören.

Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Da habe ich auch noch keinen richtigen Weg für mich gefunden. Oft denke ich darüber nach, wie Menschen so sein können. Ich versuche, solche Situationen zu verdrängen und so wenig wie möglich daran zu denken. Zum Glück erlebe ich sowas nicht täglich. Wenn ich allein rausgehe, versuche ich dabei so unauffällig wie nur möglich zu sein.

Du hast dich entschieden, dieses Interview nur anonym zu machen. Warum?

Es gibt immer noch viel Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland. Das ist auch kein spezielles Problem in Chemnitz, sondern das hat man überall. Immer wieder werden Freunde von mir körperlich angegriffen. Wenn ich mich in die Öffentlichkeit stelle, hat das auch Auswirkungen auf meine Familie. Das möchte ich vermeiden. Es gibt auch immer noch Bekannte und Angehörige, bei denen es besser ist, dass sie nichts über meine sexuelle Orientierung wissen.

Du wohnst seitdem du 10 Jahre alt bist in Chemnitz. Hast du jemals überlegt, wegzuziehen?

Ja, ich bin sogar mit 17 Jahren nach Leipzig gezogen. Ich wollte raus aus meinem Elternhaus und aus dieser Stadt. Es war mir hier alles zu eng und zu klein. Egal in welche Bar oder Club ich gehe, treffe ich oft Bekannte oder Freunde. In Leipzig habe ich mir mehr Anonymität erhofft. Dort wollte ich ein neues Leben beginnen. Schon nach einem Jahr bin ich wieder zurück nach Chemnitz gezogen. Alles, was mich davor an Chemnitz störte, habe ich auf einmal schätzen gelernt. Ich habe hier viele Freunde, die mir immer zur Seite stehen und es wird hier nie langweilig. Inzwischen liebe ich es, dass man ständig Freunde trifft. Egal ob beim Einkaufen, auf dem Weihnachtsmarkt oder beim Feiern. Natürlich kannst du in Chemnitz nicht so viele verschiedene Sachen machen wie in Leipzig. Für mich ist das aber der Grund, wieso in dieser Stadt so viel Kunst entsteht. Ich selber fotografiere hauptsächlich mit Polaroid. Viele meiner Freunde sind DJs, Mitglieder einer Band, machen Digital Art oder arbeiten mit Keramik. Ich glaube, dass es in keiner Stadt so viel Kunst auf so wenig Raum gibt wie in Chemnitz.  Das liegt bestimmt auch an den günstigen Mieten. Viele Kunstschaffende können sich hier Ateliers oder Übungsstudios leisten. Aber es gibt auch viele Kunstveranstaltungen, bei denen man neue Künstler kennenlernen kann. Das ist auch sehr hilfreich.  

Was macht Chemnitz besonders für dich?

Sind wir ehrlich: Es gibt viele Städte, die schöner sind und die mehr zu bieten haben. Für mich ist es der verfügbare Raum und die Menschen, die Chemnitz zu dieser besonderen Stadt machen. Das Projekt „Kreativachse“ stellt beispielsweise Freiraum für 2–4€ den Quadratmeter zur Verfügung. Aber auch sonst gibt es hier Platz für Gemeinschaftsgärten in zentraler Lage oder günstige Ateliers. Wer in Chemnitz aktiv ist und regelmäßig auf Veranstaltungen geht, findet in der Stadt auch schnell Anschluss. Nach meinem Jahr in Leipzig habe ich mich schnell wieder in der Stadt eingelebt und viele neue Leute kennengelernt. Natürlich kann das auch daran liegen, dass ich meine ganze Jugend hier verbracht habe und schon viele Freunde hier hatte. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Leute hier offener als in Städten wie Leipzig oder Berlin gegenüber neuen Gesichtern sind. Auch in meiner Freundesgruppe kommen immer wieder neue Menschen dazu, die hier für ihr Studium hergezogen sind.

Möchtest du auch in der Zukunft hierbleiben?

Ich bin ein spontaner Mensch, der sich wenig Pläne macht. Mal für zwei bis drei Jahre in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Land zu wohnen, kann ich mir gut vorstellen. Aber langfristig möchte ich auf jeden Fall in Chemnitz wohnen. Hier habe ich einfach meine Ruhe und wenn ich doch mal mehr Action brauche, kann ich übers Wochenende schnell mal nach Leipzig, Berlin oder Prag fahren. Inzwischen habe ich auch viele gute Freunde hier, die ich sonst sehr vermissen würde. Natürlich muss ich mich da auch nach meinem Partner richten, der in Chemnitz bleiben möchte.

 

* Name geändert

Text, Titelbild: Theo Himmelsbach
<h3>Theo Himmelsbach</h3>

Theo Himmelsbach

Theo Himmelsbach ist 20 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2023 engagiert er sich als Mitarbeiter des Resorts Campus bei medienMITTWEIDA.