Seit über zwei Jahren hält der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mittlerweile an. Der eskalierte Konflikt, welcher auf europäischem Boden seit dem Jugoslawien-Krieg die meisten Opfer gefordert hat, hat die Menschen zutiefst erschüttert und der verhältnismäßig langen Zeit des Friedens in Europa ein Ende bereitet. Die Eskalation des Russland-Ukraine Konflikts hat die weltpolitische Gesamtlage in vielen Facetten maßgeblich verändert.
Insbesondere die Verhältnisse in der Wirtschaft wurden grundlegend umgestaltet. Der Ukraine-Krieg ist maßgeblicher Verstärker für die Inflation im Energie- und Versorgungssektor, in der Lebensmittelindustrie und diversen weiteren Wirtschaftszweigen. Die Inflation bereitet dabei vielen Menschen große Sorgen. Die Gesellschaft sehnt sich zurück nach Sicherheit.
Im direkten Kontrast dazu hat eine Branche in Deutschland Rekordgewinne zu verzeichnen. Der deutschen Rüstungsindustrie geht es im Moment so gut wie nie zuvor. Die Friedensdividende existiert nicht mehr, die Fronten haben sich erneut verschärft und Deutschlands Verteidigungsausgaben wachsen stetig. Besonders die Rheinmetall AG ist im Börsengeschehen gerade in aller Munde. Rüstungsanlagen stellen in einer politisch, aber auch in einer ökonomisch so herausfordernden Zeit eine verlockende Aussicht auf vermeintliche Sicherheit dar, sowohl finanziell als auch im weltpolitischen Kontext. Privatinvestoren riechen Blut – und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Mit Wandlungen der Weltpolitik haben die Debatten um die ethische Vertretbarkeit einer Investition in ein Unternehmen mit einem möglicherweise moralisch verwerflichen Geschäftsmodell erneut Fahrt aufgenommen. Ein Einblick.
Ausgangslage
Bundeskanzler Scholz und Bundesverteidigungsminister Pistorius waren am 12. Februar 2024 zu Besuch im niedersächsischen Unterlüß. Grund dafür war der Spatenstich einer hier entstehenden Munitionsfabrik von Rheinmetall. Der Staat hat 300 Millionen Euro investiert.
9.April 2024, Rheinmetall bekommt einen Auftrag zur Lieferung von 20 neuen Marder- Schützenpanzern an die Ukraine, Auftragswert im mittleren zweistelligen Millionenbereich.
24. April 2024, ein neuer Rahmenvertrag mit der Bundeswehr zur Produktion von neuen „Sprechsätzen mit Gehörschutzfunktion“, mögliches Auftragsvolumen bis zu 400 Millionen Euro.
Dies sind einige der Schlagzeilen rund um Rheinmetall aus den letzten Monaten. Sie alle zeigen deutlich auf, dass der Staat aktuell große Summen für die Verteidigung ausgibt, und der Cash-Flow durch die Rheinmetall AG gerade gewaltig ist. Der aktuelle Auftragsbestand von Rheinmetall liegt dementsprechend bei 38 Milliarden Euro. Die Ansichten zu den Rekordgewinnen der Rheinmetall AG und den Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik sind gespalten. Um die weitere Diskussion zu verstehen, muss man betrachten, was die Rheinmetall AG genau ist.
Was ist Rheinmetall? – Ein Überblick auf die Unternehmensgeschichte
Die Rheinmetall AG wurde im April 1889 als Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Actiengesellschaft gegründet, um für das stark militaristisch geprägte Deutsche Kaiserreich Munition herzustellen. Seitdem hat sich das in Düsseldorf ansässige Unternehmen im Laufe seiner Geschichte als einer der wichtigsten Player im Bereich Rüstung und Automobilzulieferung etabliert. Dabei war das Unternehmen stets an der Börse gelistet. Zudem hat Rheinmetall immer eng mit dem deutschen Staat zusammengearbeitet, was auch in den düstersten Kapiteln der deutschen Geschichte als Teil der Reichswerke Hermann Göring der Fall war. Neben Munition stellt das Unternehmen inzwischen fast alles her, was sich auch nur grob unter dem Rahmen der Wehrtechnik zusammenfassen lässt. Gepanzerte Kettenfahrzeuge, ABC- Schutzsysteme, FLAK-Systeme aber auch mobile Kliniken und Cyber-Security Anwendungen lassen sich heutzutage im Sortiment der Rheinmetall AG finden.
Aktuell ist die Rheinmetall AG einer der umsatzstärksten und bedeutendsten Rüstungskonzerne der Welt. Im Jahr 2023 lag der Gesamtumsatz des Unternehmens bei 7,176 Milliarden Euro.
Mit einer international immer angespannter werdenden Lage bleibt die Tendenz dabei rasant steigend.
Krisengebiete als Umsatzgarant
Denn die Ukraine ist nicht die einzige Krisenregion, welche in naher Zukunft potenziell militärischer Unterstützung bedarf. Aktuell spalten Kampfhandlungen im Rahmen des Nahostkonflikts die westliche Gesellschaft wie kaum eine Krise zuvor. Auch Israel wird im Kampf gegen die Hamas bereits mit deutscher Militärtechnik unterstützt. Abgesehen davon werden Sorgen vor einer potenziellen Invasion von Taiwan durch die Volksrepublik China immer lauter. Hier könnte ebenfalls bald deutsche Militärtechnik zum Einsatz kommen.
Damit scheint es so, als wäre der Kauf von Anteilen von Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall aus rein finanzieller Sicht eine sehr zukunftssichere Investition.
Wem gehört Rheinmetall?
Die Rheinmetall AG ist zu 66 Prozent in den Händen von institutionellen Anlegern. Die meisten Stimmenrechtsanteile besitzen demnach aktuell BlackRock Inc. mit 5,57 Prozent der Gesamtstimmenrechte, The Capital Group Companies Inc. mit 4,99 Prozent und die Fidelity Investment Trust mit 3,00 Prozent (Stand 21.05.2024).
Doch auch immer mehr Privatanleger investieren seit Beginn der russischen Offensive gegen die Ukraine in die Rheinmetall AG. Hauptgrund für eine Investition in ein Wertpapier ist immer primär die Absicht zur Vermehrung von Kapital. Die deutsche Wirtschaft befindet sich gerade in einem Moment der relativen Stagnation und viele Investoren befürchten eine wirtschaftliche Rezession in den nächsten Jahren. Eine Anlage in der Rüstungsindustrie, welche im Rahmen der aktuellen politischen Situation als einer der vielversprechendsten Industriezweige wahrgenommen wird, erscheint im Kontext der langfristigen Gewinnmaximierung als sehr sichere Investition für die nahe Zukunft.
Bereicherung durch das Leid Anderer – ein ethisches Dilemma
Aus einer ethischen Perspektive wurden Investitionen in Hersteller, Entwickler und Vertreiber von Waffentechnik von vielen Anlegern höchstgradig verachtet. Rüstungsunternehmen waren lange Zeit bei Investoren auf der Liste der sogenannten Sin Stocks (Sündhafte Anlagen) – einer Liste der Branchen, welche gesellschaftlich geächtet sind. Dazu zählen neben Rüstung beispielsweise auch Tabak, Pornografie und Alkohol. Rüstung wollte niemand in seinem Portfolio haben, der auf seinen Ruf geachtet hat. Der Ukraine-Krieg war hierbei einer Vielzahl von Menschen Auslöser für einen Sinneswandel.
In der Reddit-Community r/wallstreetbets, einem der größten Online- Foren zum Thema Aktien, positionieren sich Nutzer meist positiv gegenüber Rüstungsinvestitionen.
Ein Nutzer argumentiert:
„Wenn man sich anschaut, was Russland gerade so treibt, ist es nicht nur vertretbar, sondern eine moralische Pflicht für die Demokratie, in Rheinmetall zu investieren, als Russland seine Truppen damals mobilisiert hat, war für mich eines meiner besten Investments; ethisch als auch finanziell.“
Mit diesen Worten fängt der Nutzer den aktuellen Zeitgeist vieler Menschen ein, welcher sich auch am Marktgeschehen abzeichnet. Die Solidarität mit einer Kriegspartei sei einer der maßgeblichen Faktoren, der zur Akzeptanz von Rüstungsinvestitionen geführt habe. Gerade wenn es, wie im Fall der Ukraine, allgemein gesellschaftlich erwünscht sei und sich mit den Interessen der demokratisch gewählten Regierung decke.
Für andere Nutzer ist der Diskurs um Ethik im Aktienhandel von geringer Bedeutung:
„Mit meinen [US-amerikanischen] Steuern wurden Bomben gebaut, die viele Kinder getötet haben. Mein Geld fließt so oder so in die Rüstungsindustrie, ob ich das möchte oder nicht. Es gibt keinen Platz für Moral, wenn es um Geld geht.“
„Krieg ist menschliche Natur. Er wird immer geschehen. Wieso also nicht daran profitieren?“
Dennoch gibt es auch heute noch viele Menschen, welche die Anlage in einen Rüstungskonzern vehement ablehnen. Es sei demnach immer eine kapitalistische Perversion, aktiv an der Tötungsindustrie zu verdienen, denn Krieg sei nie ein gerechtfertigtes Mittel zur Durchsetzung von Interessen.
Die Initiative „Rheinmetall entwaffnen“, welche genau diese Meinung vertritt, ist entschiedener Gegner der Rüstungsindustrie. Die Gruppe setzt sich seit Jahren für Frieden und gegen die gesellschaftliche Normalisierung von Krieg ein und fordert den sofortigen Stopp der Produktion von Rüstungsgütern durch Rheinmetall. Immer wieder fällt sie durch Protestcamps, Besetzungsaktionen und andere Kampagnen auf, um öffentliche Aufmerksamkeit auf die negativen Auswirkungen von Rüstungsgeschäften und Militärtechnologie zu lenken.
Einen anderen Ansatz zum Protest verfolgen sogenannte Stimmrechtsvertreter.
Wenn man das unethische Verhalten einer Firma ändern will, ist der Kauf von Anteilen eines Unternehmens das effektivste Mittel. Schon eine einzige Aktie gewährt Rederecht auf der alljährlichen Hauptversammlung, wo andere Aktionäre und Unternehmensführung an die Anhörung der Aktionäre gebunden sind. Diese Situation machen sich Stimmrechtsvertreterkollektive, wie der Dachverband Kritischer Aktionäre oder Shareholders for Change, zu Nutzen. Dabei treten unternehmenskritische Aktionäre ihre Stimmrechte auf einen Vertreter ab, um so den gemeinsamen Forderungen stärkeres Gehör zu verschaffen. Ehrlicherweise haben diese Kollektive trotzdem kaum einen nennenswerten Anteil an Stimmrechten, um bei großen Abstimmungen wirklich etwas zu ändern. Auf der diesjährigen Hauptversammlung von Rheinmetall am 14. Mai wurden vor allem die fragwürdigen Expansionspläne in Krisen- und Konfliktregionen angeprangert – insbesondere der neue Produktionsstandort Ungarn, dessen Status als funktionierender demokratischer Staat stark in Frage steht. Außerdem wurden fehlende Standards beim Umgang mit autonomen Waffensystemen kritisiert.
Kurzkommentar des Autors
Es bleibt eine Frage der Perspektive
Wie man persönlich zu der Thematik steht, bleibt jedem selbst überlassen. Es gibt einige – mehr als gerechtfertigte – Kritikpunkte an der Rheinmetall AG und an Rüstungskonzernen im Allgemeinen, welche einer eigenen Investition in ein solches Unternehmen eventuell im Weg stehen könnten.
Dennoch ist es traurige Realität, dass die „Zeitenwende“, wie Kanzler Scholz sie nennt, herangebrochen ist. Wir leben leider nicht mehr in Zeiten des Friedens – das sollte jedem bewusst werden.
Gerade jetzt ist es ausgesprochen wichtig, dass Europa standhaft bleibt, um als ernstzunehmende Kraft am Weltgeschehen wahrgenommen zu werden. Es bleibt eine Idealvorstellung, dass sich alle Probleme der Welt durch Diplomatie und Diskurs lösen lassen. Die Rüstungsindustrie ist ein notwendiges Übel, um Demokratie gegen die Bedrohung durch Unrechtssysteme zu schützen.
Sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen, aber gleichzeitig die Produktion von militärischer Unterstützung für diese zu kritisieren, ist pure Doppelmoral.
Aktien von Rheinmetall sind im Moment nicht nur finanziell lukrativ, sondern auch von großen Teilen der Gesellschaft geduldet.
Dass man sich allerdings mit einer Investition in Rüstung direkt am Tod anderer Menschen bereichert, bleibt eine Tatsache, welcher man sich nicht entziehen kann, egal wie moralisch vertretbar die Unternehmenspraktiken gerade zu sein scheinen.
Wer in Rheinmetall investiert, sollte sich dessen bewusst sein.
Text, Titelbild: Florian Schröder