Versteckt unter dem Panzer

von | 31. Mai 2012

Die Filmemacherin Pary El-Qalqili verfilmte die Suche nach der tragischen Geschichte ihres Vaters. Die Doppelrolle als Regisseurin und Protagonistin mache verletzlich, sagt sie.

Die junge Filmemacherin Pary El-Qalqili ist in "Schildkrötenwut" auf der Suche nach der Geschichte ihres Vaters

Die junge Filmemacherin Pary El-Qalqili ist in „Schildkrötenwut“ auf der Suche nach der Geschichte ihres Vaters.

Die Filmemacherin Pary El-Qalqili verfilmte die Suche nach der tragischen Geschichte ihres Vaters. Die Doppelrolle als Regisseurin und Protagonistin mache verletzlich, sagt sie.

Filme mit Geschichten über Immigranten haben spätestens seit den Erfolgen des Regisseurs Fatih Akın einen festen Platz in der deutschen Filmszene. Oftmals sind solche Werke aber reine Fiktion. Mit ihrem neuen Film „Schildkrötenwut“, der zur Zeit in ausgewählten Kinos läuft, geht die 1982 geborene Jungregisseurin Pary El-Qalqili jedoch einen ganz anderen Weg.

El-Qalqilis Vater entschied sich vor knapp 20 Jahren dazu, wieder in seine Heimat Palästina zurückzukehren. Er wollte dort für sein Land kämpfen und eine Existenz gründen. Doch sein Plan scheiterte. Er wurde von den Israelis ausgewiesen und musste zu seiner Familie nach Berlin zurückkehren. Seitdem ist das Familienverhältnis zerrüttet, der Vater lebt zurückgezogen im Keller. Getrieben von Unwissenheit und der Verschwiegenheit ihres Vaters ging El-Qalqili ein Risiko ein: Sie entschied sich dazu, ihre Suche nach Antworten mit der Kamera zu begleiten. „Es war eine sehr große Herausforderung für mich, mich selbst und meinen Vater so nackt vor der Kamera zu zeigen“, gesteht die Filmemacherin medienMITTWEIDA.

Ein Film über die Geschichte von Vater und Tochter

Eine Besonderheit des Films ist seine Entstehung. El-Qalqili musste zu ihrem Vater in den Keller, um ihn mit ihren Fragen zu konfrontieren: Der Handlungsort ist also ein kalt wirkender Raum mit herunterhängender Glühbirne. „Mein Vater hat gespürt, dass meine Fragen unausweichlich waren“, sagt die Regisseurin. Obwohl der Protagonist ihr eigener Vater ist, waren mehrere Anläufe nötig, um das nötige Vertrauen aufzubauen und das Schweigen zu brechen.

Für die Interviews erwartete die Regisseurin ihren Vater immer in einem gesonderten Kellerraum. „Er kam immer wieder. Vielleicht aus Liebe zu mir als Tochter. Vielleicht wollte er sich aber auch seiner Geschichte stellen“, erzählt El-Qalqili. Sie konzentriert sich in dem Werk bewusst ganz auf ihre zwischenmenschliche Beziehung: „Die Dynamik zwischen Vater und Tochter und das Nicht-Verstehen zwischen den Generationen, von dem Leben im Exil und der Geschichte meines Vaters sollten im Vordergrund stehen.“

„Ich wollte unter seinen Panzer schauen“

Dabei scheute die Regisseurin keinesfalls vor intimen Aufnahmen zurück. Als die Filmemacherin ihren Vater zurück in sein Heimatland Palästina nahm, entstand so zum Beispiel ein sehr privater Moment: El-Qalqilis Vater liegt in einer Szene nur mit einer Unterhose bekleidet auf einem Bett – und denkt nach. „Ich wollte eine intime Situation schaffen, ich wollte unter seinen Panzer schauen, an die verborgenen Schichten seiner Seele wollte ich heran“, erklärt El-Qalqili ihre Beweggründe.

Ihr war stets bewusst, wie angreifbar sie sich und ihre Familie durch die Dokumentation dieser persönlichen Geschichte machen würde. Doch das alles sei notwendig, sagt sie. „Nur so konnte ich zu den empfindlichen, dunklen Stellen in der Geschichte vordringen“, beschreibt die Dokumentarfilmerin. Dass sie ihren Eltern und auch sich selbst mit den gezeigten Bildern einiges abverlangen würde, wurde der Jungregisseurin dann vor allem beim Dreh bewusst: „Ich habe gelernt, was ich da eigentlich von meinen Protagonisten verlange.“

Suche nach Antworten verbessert die Beziehung

Die veröffentlichte Dokumentation und die Diskussion darüber habe beiden zu einem besseren Verhältnis geholfen. „Ich habe den Eindruck, dass mein Vater nach dem Film gelöster und offener geworden ist. Es tut ihm gut, dass auf einmal so viele Menschen auf Festivals und im Kino seiner Geschichte zuhören.“ Im Gegensatz dazu reagiert ihre Mutter, die nur am Rande des Films auftaucht, sehr viel verhaltener. Sie könne sich damit nicht identifizieren: „Sie meint, die filmische Erzählung sei meine Perspektive und meine Version der Geschichte, hätte jedoch mit dem Kern ihres Lebens nicht viel zu tun.“

Text: Stefan Graf, Bild: Quelle: mecfilm.de, Fotograf: mecfilm.de, Bearbeitung: Nicole Schaum

<h3>Stefan Graf</h3>

Stefan Graf