Schwarz, also Gothic – oder?

von | 4. Februar 2010

Sie tragen Weinrot, Weiß, Königsblau und vor allem Schwarz, viel Schmuck und haben einen ganz besonderen Musikgeschmack. Sie sollten aber nicht mit Metal oder Emo verwechselt werden: die Gothics.

Der Journalist Mick Mercer versuchte im Musikmagazin „Zillo“ Gothic zu erklären: „Heutzutage ist offensichtlich, weshalb Gothic intelligente Menschen anspricht, und weshalb es als Szene weiterhin blüht, weil Leute auch durch andere Dinge als nur durch Musik auf diese Bewegung stoßen können. Filme, Literatur, Kunst, Dichtung, Mode spielen alle ihre Rolle beim Anlocken der Menschen.“

Das von der Romantik geprägte Bürgertum fühlte sich um 1800 von der Vergangenheit angezogen. Nicht rationale Aspekte führten zu dieser Bewegung, sondern emotionale. Während der romantischen Zeit wurde Gothic mit der Dunkelheit verbunden. Viele Symbole und Themen von damals haben bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der gegenwärtigen Gothic-Bewegung – wie die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Tod. Das heutige Gothic entstand als eine Art Auflehnung gegen den Punk, die Anhänger ziehen sich aus Empörung und Provokation zurück.

Die aus der Bewegung entstehende Musik feiert die Dunkelheit, die schattenhafte Seite des Lebens. Daraus entstand eine deutliche Faszination für das Thema Tod. Aufgrund dieser intensiven Auseinandersetzung werden Gothic-Anhänger oft mit Satanisten gleichgestellt. Natürlich beschäftigen sich einige von ihnen auch mit der schwarzen Kunst, aber die meisten Gothic-Anhänger gehören überwiegend der Szene an, weil sie die Musik und deren Themen und die Beschäftigung mit Leben und Tod – zusammengefasst die Einstellung und den Lifestyle – mögen. Sie wollen sich von der durchschnittlichen, täglichen Welt unterscheiden.

Zwischen Pöbelei und Faszination

Die Medienstudentin Stefanie Klawitter verkörpert seit ihrem 13. Lebensjahr Gothic. Damals fing ihre beste Freundin an, „HIM“ und ähnliche Bands zu hören. Und wie es bei besten Freundinnen so ist, begann auch Stefanie sich für dieses Musikgenre zu interessieren. Durch das Internet traf sie Gleichgesinnte und lebte sich in die Gothic-Szene ein. Foren sind für Gothic-Anhänger besonders wichtig, um über Veranstaltungen „up to date“ zu sein. Stefanie möchte sich als Gothic von der Masse abheben, denn: „Ich bin nicht jeder. Ich finde, die meisten Menschen sind sehr oberflächlich. Die Gothic-Szene beschäftigt sich sehr mit dem Leben und der Gemeinschaft. Ich empfinde die Szene als mein Zuhause.“ Sie fühlt sich in ihren schwarzen Klamotten, betont mit viel Schmuck und Symbolen wohl, sodass sie abstoßende oder neugierige Blicke nicht als belästigend empfindet.

„Ich wurde schon oft angepöbelt. In einer Bahn wurden drei Jugendliche handgreiflich und bezeichneten mich als ‚Satansschlampe‘ und rissen Witze, dass ich sie gleich verfluchen würde. Da muss man darüber stehen.“ Es gibt aber auch Bürger, die wegen ihrem Aussehen interessiert auf sie zukommen. „Mich sprach einmal ein älterer Mann an. Zuerst dachte ich, er will mich belehren, dass ich dem Satan absprechen soll. Aber letztendlich fand er nur mein umgedrehtes Kreuz schön. So hatten wir eine interessante Diskussion über die Kirche und christliche Gebote.“

Gothic hat viele Gesichter

Gothic kann laut Stefanie mit Selbstinszenierung übersetzt werden, „denn darum geht es im größten Teil. Jeder möchte sich von jedem hervorheben, vor allem durch seinen Kleidungsstil.“ Einige Gothics tragen romantische Kleidung, wie Korsett und Reifenrock. Andere bevorzugen einen Fetisch-Look mit Lack und Latex. Wieder andere prägen ihren Kleidungsstil mit Wave-Elementen, wie eine übermäßig große Schweißerbrille um den Hals. Allein deswegen splittert sich die Gothic-Szene in viele Subkulturen, denn „jeder Gothic will individuell sein, diese Szene ist voller Individualisten, die sich oftmals scheuen, wenn man sie definieren will, weil alle einen besonderen Wert auf Einzigartigkeit legen.“

Das ist besonders beim jährlichen Wave-Gothic-Treffen in Leipzig spürbar – das absolute Highlight für Szene-Anhänger. Gothics reisen dafür von überall her. Das Festival ist zum Teil ein großer Laufsteg. Daher müssen die „Kostüme“ jeden Tag anders und ausgefallener sein, denn beim Gothic-Treffen geht es darum, sich von der Menge abzuheben und alle Blicke auf sich zu ziehen. Alle Stilrichtungen sind unterwegs: Fetisch, Industrial, Romantik oder einfach nur der simple schwarzes-T-Shirt-Look – die Szene hat viele Gesichter. Natürlich steht auch die Musik im Vordergrund, denn sie ist unter anderem das wichtigste Basiselement. Einige Anhänger springen im Rhythmus der Musik. Viele aber haben beim „Hin-und-her-taumeln“ eher einen traurigen Tanzstil. „Den Tanzstil muss man einfach in einer Gothic-Disko gesehen haben“, meint Stefanie. „Je nach den eigenen Vorlieben und dem gerade laufenden Musikstil gibt es Gothics, die sich sehr langsam und mit fließenden Bewegungen zur Musik bewegen und dabei mehr auf Schönheit achten. Andere bewegen sich einfach irgendwie im Takt oder sportlich im Tecktonik-Stil.“

Zudem lebt Gothic unter den Einfluss anderer Szenen, „denn nichts ist in sich geschlossen. Die Metal-Szene ist für sich genommen schon riesig, kann aber auch in Gothic gezählt werden. Zumindest gibt es viele Überschneidungen. Ich kenne viel Gothics, die Metal lieben. So ist es mit vielen Szenen, die sich teilweise mit Gothic überschneiden.“ Dazu gehört auch Gothic Lolita, ein Unterstil des aus Japan stammenden Visual Kei, der sich aus dem westlichen Punk und Gothic entwickelte.

Viele Vorurteile

Gothic leidet stark unter Klischees – wie „alle Gothics sind Satanisten“, „Gothic ist etwas für Deprimierte, die Blut trinken“ oder „Gothics sind Grabschänder und Friedhofs-Vandalen“. Viele dieser Klischees sind jedoch falsch und einfach nur Vorurteile. Wenn Gothics auf Friedhöfen zu finden sind, dann nicht, um die „Schwarze Kunst“ auszuüben. Das macht nur ein geringer Teil der Anhänger, denn der Großteil der Gothics hat „den größten Respekt vor den Toten und dem Tod.“ Für viele Gothics ist der Friedhofbesuch wichtig, um sich intensiv mit Leben, Tod und dem Leben danach zu beschäftigen und sich darüber bewusst zu werden. Auch Stefanie war oft auf Friedhöfen spazieren, „aber in den letzten zehn Jahren habe ich dort ganz selten Gothics getroffen. Im Urlaub gehe ich selbst gerne auf Friedhöfe – einfach, weil ich die Statuen liebe.“

Doch wie lange bleibt man der Gothic-Szene treu? „Ich kann mir nicht vorstellen, plötzlich in Röhrenjeans und Tunika oder später im braunen Rock und weißer Bluse als reifere Frau herumzulaufen. So lange, wie ich mich, so wie ich bin, wohl fühle, werde ich Gothic bleiben und das auch mit Schmuck, schwarzen Klamotten und Stiefeln nach außen tragen.“

<h3>Sarah Korzeniewski</h3>

Sarah Korzeniewski