Das ZDF versuchte sich in diesem Jahr am ersten Spielfilm mit Second-Screen-Technologie. Der Thriller „APP“ sorgte für ein völlig neues Fernseherlebnis. Doch wie funktioniert das und sind transmediale Erweiterungen für Filme bald Standard?
Das interaktive Fernsehen boomt. Shows wie „Quizduell“ und „Keep Your Light Shining“ setzen auf die Beteiligung der Zuschauer auf der Couch zuhause mit der dazugehörigen App. Die zusätzliche Verwendung des Smartphones oder Tablets (zweiter Bildschirm = second screen) ermöglicht es ihnen, in das Geschehen am Fernsehbildschirm einzugreifen – zum Beispiel, indem sie für einen Castingkandidaten abstimmen.
Ein neuer Ansatz ist die Übertragung auf fiktionale Formate. Der niederländische Thriller „APP“ macht den Anfang in Europa, lief beim ZDF Ende Mai und sorgte damit für gute Quoten: 2,12 Millionen Zuschauer schalteten ein – das entspricht einer Sehbeteiligung von 10,5 Prozent. In dem Film geht es um eine Studentin, die plötzlich eine mysteriöse App auf ihrem Handy findet. Getarnt als künstliche Intelligenz, entwickelt diese ein Eigenleben.
Während des Films sorgt die dazugehörige App für extra Nervenkitzel: Sie sieht nicht nur so aus wie die Horror-App aus dem Film, sondern benimmt sich ähnlich merkwürdig. So werden plötzlich zusätzliche Filmsequenzen und Chatverläufe eingeblendet, die neue Fragen aufwerfen. ZDF-Redakteur Frank Baloch erklärt: „Der Film enthält in der Tonspur versteckt eine Reihe von für uns Menschen nicht hörbaren Signalen, ein so genanntes digitales Wasserzeichen. Während der Film läuft, ‚hört‘ die App über das Mikrofon im Smartphone oder Tablet mit und entschlüsselt diese Signale. So weiß die App immer, an welcher Stelle des Films wir uns gerade befinden.“ „APP“ wird somit zu einem ganz besonderen Erlebnis für junge Zuschauer, die ihr Smartphone ohnehin immer griffbereit haben.
Der Zuschauer als Tatortermittler
Auch mit dem etablierten „Tatort“ wagte die ARD im Jahr 2012 ein transmediales Experiment mit der Folge „Der Wald steht schwarz und schweiget“. Produziert wird die Folge vom Südwestrundfunk. Darin müssen es die Ludwigshafener Ermittler Lena Odenthal und Mario Kopper mit einer Jugendgang aufnehmen. Nach der Ausstrahlung konnten die Zuschauer den Mörder in dem Online-Spiel „Tatort+“ ermitteln. Melanie Wolber von der SWR-Tatort-Redaktion wollte damit die netzaffinen Zuschauer begeistern: „Ich wusste, dass wir eine sehr große Fan-Gemeinde im Netz haben. Das Projekt sollte sich an diese Fans richten, egal welchen Alters, denn auch ältere Menschen bewegen sich im Netz. Hinzu kommt, dass der Tatort auch im Fernsehen ein sehr gemischtes, das heißt junges und älteres Publikum hat.“
Da „Tatort+“ sehr gut ankam, folgte 2013 eine weitere Tatortfolge mit multimedialem Zusatzangebot: Bei „Spiel auf Zeit“ konnten die Zuschauer bereits eine Woche vor Ausstrahlung anfangen, zu ermitteln. Wie auch bei „Der Wald steht schwarz und schweiget“ erwies sich die Entwicklung jedoch als sehr aufwändig. Wolber berichtet: „Die Herausforderung bestand bisher vor allem darin, eine gute Geschichte für den Online-Teil zu entwickeln, der zu dem bestehenden Film passt. Bei einer parallelen Entwicklung besteht das größte Problem darin, dass der Fernsehfilm immer alleinstehend verständlich sein muss.“ Denn der Tatort wird in erster Linie für das Fernsehen produziert – und das soll auch so bleiben: „TV ist unser primäres Medium, daher gilt der Spruch ‘TV comes first‘, der Film muss also als eigenständiges Erlebnis bestehen bleiben.“
Sind multimediale Filme der Trend für die Zukunft?
Aufgrund des großen Erfolgs der ersten beiden „Tatort+“-Folgen plant die SWR-Tatort-Redaktion derzeit bereits einen weiteren: Zum 60. Fall der Tatortkommissarin Lena Odenthal wird es wieder ein Online-Spiel geben – zeitgleich zur Fernsehausstrahlung Ende Oktober.
Auf weitere Second-Screen-Filme im Sinne von paralleler Nutzung von Film und App müssen sich die Zuschauer jedoch wohl noch ein bisschen gedulden. Noch soll das Angebot nicht groß erweitert werden. Laut ZDF-Redakteur Frank Baloch liegt die Ursache in der Dramaturgie: „Zwar besitzen bereits die meisten von uns ein Smartphone oder Tablet, aber trotzdem muss der Film sowohl mit als auch ohne Second-Screen-App funktionieren. Und was will ich dem Second-Screen-Publikum zusätzlich zeigen? Ist es interessant genug, um die ganze Zeit einen zweiten Bildschirm in der Nähe zu haben? Aber wenn es so interessant ist, gehört es dann nicht in den eigentlichen Film?“ Außerdem spielen auch die Kosten für die Entwicklung der App oder der Website eine Rolle – ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dennoch können sich Fans von „APP“ freuen: Regisseur Bobby Boermans verriet in einem Interview, dass sich Hollywood für das Konzept interessiert. Man darf also gespannt sein.
Text: Ann-Kathrin Bertenrath. Grafik: Thomas Kraftschenko.