Die düsteren Monate haben begonnen. Draußen wird es kälter und viele ziehen sich in ihre Wohnungen oder Zimmer zurück. Die nächste Prüfungsphase steht an, der Stress steigt. Gerade jetzt fehlt oft der Kontakt zu Mitmenschen, genau dann, wenn man jemanden zum Reden bräuchte. Aber mit wem?
Die Temperatur sinkt. Der erste Frost kündigt sich an. Die Sonne verschwindet immer zeitiger am Horizont. Bei vielen Menschen trübt die kalte Jahreszeit die Stimmung und kann im schlimmsten Fall sogar zu einer saisonal bedingten Depression führen, auch bekannt als Winterdepression. Antriebslosigkeit oder aber auch soziale Isolation sind oftmals die Folgen. Persönliche Probleme wie etwa Prüfungsstress oder Mangel an Freizeit führen ebenfalls häufig dazu, dass sich die Betroffenen zurückziehen, anstatt offen darüber zu reden. Dabei wäre genau das eine Lösung: Reden. Die Seelsorge bietet in dieser Hinsicht Unterstützung und vor allem eins: ein offenes Ohr.
Vom Beichtstuhl zum Therapieplatz: Seelsorge im Wandel
Seelsorge beschreibt eine Handlung, die meist innerhalb einer christlichen Institution in einem geschützten Rahmen stattfindet, bei der sich ein Mensch einer Bezugsperson anvertraut, welche der Schweigepflicht untersteht. Der Ursprung der Seelsorge liegt im Mittelalter, wo Menschen einen Priester aufsuchten, um über Ängste, Sünden und Buße zu reden. Oftmals beschäftigte sie dabei das Fegefeuer sowie das ewige Leben. Die Ängste haben sich mit der Zeit gewandelt, doch das Bedürfnis, sich an zu vertrauen, ist geblieben. Heutzutage liegt der Fokus bei den eigenen Sorgen, den Wendepunkten des Lebens oder allgemeinen Lebensfragen. Für manche ist es aber auch wichtig, über den Glauben zu sprechen. Es gibt inzwischen verschiedene Möglichkeiten, Seelsorge in Anspruch zu nehmen: per Chat, Anruf oder Email oder ganz klassisch per Stift und Block. Die wohl gängigste Form ist aber immer noch das persönliche Gespräch. Ob nun unter vier Augen oder in der Gruppe – beide Varianten finden Anklang.
Glaube oder kein Glaube: alle sind Willkommen
Obwohl die Seelsorge auf der christlichen Sichtweise eines Menschen beruht, kann jede Person unabhängig des Glaubens davon Gebrauch machen. Pfarrer bieten jedoch als Seelsorger ihre Hilfe an und unterstützen die Betroffenen in einem persönlichen Gespräch bei der Bewältigung ihrer Anliegen. Nina-Maria Mixtacki ist als Pfarrerin in Mittweida tätig und somit auch Ansprechpartnerin für Studierende der Hochschule Mittweida. Auf dem Campus ist sie daher kein unbekanntes Gesicht: Unter anderem empfängt sie die Erstsemester bei der Immatrikulationsfeier und verabschiedet die Absolventen bei der Exmatrikulationsfeier in der Mittweidaer Stadtkirche. Studierende können sich somit bei alltäglichen oder studentischen Problemen an sie wenden. Die Treffen werden je nach Person individuell gestaltet und unterliegen keinen festen Abläufen oder Vorgaben. Da sie nicht verpflichtend sind, sondern stets freiwillig, können sie sowohl einmalig als auch regelmäßig über einen längeren Zeitraum stattfinden. Frau Mixtacki betont dabei gegenüber medienMITTWEIDA, dass jeder Mensch willkommen sei, unabhängig des Glaubens oder der Herkunft. Weitere Seelsorgeangebote in Mittweida werden von Pfarrer Sander angeboten, ebenso von der Römisch Katholischen Kirche St. Laurentius sowie der evangelischen Freikirche Mittweida.
Stadtkirche Mittweida „Unsere Lieben Frauen“, Foto: Niclas Schymik
In der Seele verbunden
Neben dem persönlichen Gespräch unter vier Augen im christlichen Kontext gibt es auch weitere nicht-religiöse Möglichkeiten in Mittweida, um etwas Gutes für die eigene Seele zu tun. Die psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle in Mittweida (KOBS) bietet verschiedene Angebote an. Vom gemeinsamen Kochen und Essen, über Ausflüge zu Vorträgen über psychische Krankheiten bis hin zu Selbsthilfegruppen für Erkrankte, Betroffene oder Angehörige. Hierbei gibt es ebenfalls keine Einschränkungen, wer kommen darf. Unabhängig vom Alter als auch Eltern mit Kind ist jeder willkommen und darf die Dienstleistungen der KOBS in Anspruch nehmen. Im Allgemeinen wird eine sogenannte “Tagesstruktur” angeboten. Menschen kommen zusammen, tauschen sich aus, kochen und essen gemeinsam. Es gibt Lesungen aus der Zeitung oder das Spielen von Gemeinschaftsspiele. Zudem bietet die KOBS auch Gartenarbeit an. Die Besonderheit der Kontaktstelle sind jedoch die Selbsthilfegruppen zu unterschiedlichsten Themen, wie beispielsweise „Raus aus der Depression“ oder „Gemeinsam statt einsam“. Es gibt zudem auch eine eigene Selbsthilfegruppe für Männer und Frauen. Auch für Angehörige gibt es eigene Treffen, in denen diese geschult werden, wie sie mit psychisch erkrankten oder dementen Familienmitgliedern umgehen können. Hierzu gibt es auch regelmäßige Einheiten über Psychoedukation, in denen Informationen über psychische Krankheitsbilder und deren Umgang vermittelt werden.
Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle „Sonnenblume“, Foto: Niclas Schymik
Sachsen fördert mentale Gesundheit
Manchmal fällt es einem nicht leicht, sich unter vier Augen zu öffnen, gerade bei schweren Schicksalsschlägen braucht es Zeit zum Verdauen. Doch die Emotionen alleine zu bewältigen kann sich auf Dauer auf die mentale Gesundheit auswirken. Es gibt auch abseits von vier Augen-Gesprächen und Selbsthilfegruppen Möglichkeiten, über seine Probleme zu reden und sich das Herz auszuschütten, und zwar von Zuhause aus. Das enhance Projekt bietet genau das: Es gibt hierbei vier Optionen, bei denen Angebote in Anspruch genommen werden können – über eine Mental-Health App, per E-Mail, oder per Chat bzw. per Videoanruf. Die Beratungen sind kostenlos und anonym und werden von Psychologen durchgeführt. Das enhance Projekt richtet sich an Studierende und deren psychische Gesundheit und wird vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft gefördert sowie von der Universität Leipzig im Rahmen einer Studie als Forschungsprojekt durchgeführt. Die Angebote sind ausschließlich online. Wer also Schwierigkeiten hat, sich in fremden Umgebungen zu öffnen, könnte das enhance Projekt als nahezu kontaktlose Alternative in Betracht ziehen.
Selbsttherapie – die kontaktlose Seelsorge
Falls einem der Mut fehlt oder sich im Austausch über intime Angelegenheiten unwohl fühlt, gibt es auch eine einfache Möglichkeit, Seelsorge kontaktlos zu praktizieren. Bei der Selbsttherapie geht es darum, sich vermehrt mit sich selbst zu beschäftigen. Hierbei ist es wichtig, sich von außen zu beobachten und zu lernen, sich nicht selbst mit dem Gefühl, das einen beschäftigt zu identifizieren. Sondern als Mensch, der die Gefühle wahrnimmt. Eine Methodik hierzu wäre ein Journal, in das regelmäßig aufgeschrieben wird, wie es einem geht, was einen bewegt und wo es gerade Hilfe benötigt wird. Durch das Schreiben lässt sich so die Gedankenspirale unterbrechen, indem man bewusst den Fokus auf sich setzt und alles, was einem einfällt, einfach von der Seele schreibt. Der Vorteil der Selbsttherapie: Der Anwender muss nur vor sich selbst ehrlich sein und braucht keine Institution oder Seelsorger, wobei das eine das andere nicht ausschließt.
Sich zu öffnen ist keine Schwäche
Es gibt Zeiten, da fühlt sich alles zu viel an. Jeder Mensch ist unterschiedlich und jeder hat ganz eigene Grenzen und das ist okay. Wichtig ist, dass man seelische Belastungen nicht unterdrückt, sondern lernt, damit offen umzugehen, um so an Lösungen zu arbeiten. Ob in der Seelsorge, in Selbsthilfegruppen, in Beratungsstellen oder in der Selbsttherapie. Schon ein Gespräch unter vier Augen kann helfen, sich nicht mehr verloren zu fühlen, wenn jemand sich an einem geschützten Ort öffnen kann. Auch Selbsthilfegruppen können hilfreich sein, da die Teilnehmer sich zum einen öffnen, aber auch von den Erkenntnissen der anderen profitieren können. Für manche Menschen sitzt der Schock eines Traumas noch zu tief, um sich in Person vor Ort zu öffnen. Für diese könnte das nahezu komplett kontaktlose, enhance Projekt eine Variante sein beziehungsweise ein Journal um die Gedanken aus dem Kopf zu schreiben. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Mut.
Text und Fotos: Niclas Schymik
