Was gibt es nach der hektischen Prüfungsphase entspannenderes, als mit einem guten Buch in der Sonne zu faulenzen? In unserem neuen Format Seiteneinblick stellen wir euch im Redakteurinnen-Doppelpack insgesamt vier Romane vor, die zum Schmökern einladen. Von nostalgischem Coming-of-Age bis hin zu dystopischem Sci-Fi, sollte für jeden etwas dabei sein. Schnappt euch also ein Kaltgetränk eurer Wahl und vergesst die Sonnencreme nicht, denn diese Bücher werdet ihr so schnell nicht weglegen können.
Seiteneinblick
Mit unserem „Seiteneinblick” bieten wir eine Ergänzung zu unseren etablierten Formaten „Nacho-Time” und „Couch-Kritik”: Statt Filmen und Serien rezensieren wir hier für euch Werke aus der Welt der Literatur, die sich anhand eines thematischen Aufhängers miteinander vergleichen lassen.
Aber was ist Sommerlektüre überhaupt? Zwei Autorinnen, zwei Meinungen:
Kira: Für mich gibt es im Sommer genau zwei Arten von Büchern, die ich lesen will. Einerseits feine, melancholische Literatur. Wenn ich wochenlang in der heißen Sommersonne brate, will ich durch alle fünf Phasen der Trauer gehen. Andererseits das genaue Gegenteil: Einmal genug von der friedlichen und ruhigen Sommerlandschaft, brauche ich Gänsehaut, und zwar bitte nicht vom kalten Wetter. Ob Horror, Thriller oder Fantasy – Hauptsache ein blutiger Adrenalinkick.
Anni: Gänsehaut bekomme ich sowieso beim deutschen Sommerwetter. Dann lieber belletristische Schmöker, die mich die Seeluft schmecken und auch bei Regenwetter die Sonnenstrahlen auf der Haut spüren lassen. Die Geschichte darf ruhig in die Tiefe gehen und sich träge entfalten, viel Spannung braucht es hier nicht. Ein bisschen entspannte poetische Lektüre für malerische Sommertage.
Kira: August Blue
Sehnsucht, Einsamkeit, Leidenschaft. Elsa M. Anderson ist Mitte dreißig und steckt in einer Sinnkrise. Als Klaviervirtuosin gefeiert, steht sie schon seit ihrer Kindheit im Rampenlicht. Doch nach Jahren des Ruhms spielt sie im zweiten Klavierkonzert von Rachmaninov plötzlich zwei Minuten eine eigene Komposition, um kurz darauf von der Bühne zu verschwinden. Mit der Corona-Pandemie steht ihr Leben still. Weil sie keine Engagements bekommt, fängt Elsa an, Klavierunterricht in ganz Europa zu geben. Ihre Reisen werden immer mehr zu einer Reise zu sich selbst, als nur zu unbekannten Orten.
Deborah Levy’s Roman August Blue erschien im Mai 2023 bei Penguin Publishing House. Derzeit ist er nur auf Englisch erhältlich. Als Hamish Hamilton Buch gekennzeichnet, verspricht es ein hochwertiges Leseerlebnis zu werden.
Foto: Anni Lehmann
Seeigel und Rachmaninov
Deborah Levy spielt mit der Idee und der Sehnsucht, die Wahrheit über einen selbst zu finden und sich selbst zu verwirklichen. Denn die Protagonistin hat keine Ahnung, wer sie ist, außer der Person, die sie von frühester Kindheit an eingetrichtert bekommen hat zu sein. Zentraler Punkt der Geschichte ist die Beziehung zwischen ihr und ihrem Adoptivvater, welcher gleichzeitig ihr Mentor ist. Elsa M. Anderson wird gezwungen, sich der verschlossenen Kiste ihrer Identität zu stellen, die sie bis zuletzt eigentlich nie öffnen wollte.
Levy fängt das benommene Wiedererwachen der Menschen in der Zeit nach den Lockdowns ein. Erstaunlich nachempfindbar und aktuell, schreibt sie über die Lage der Welt. Damit ist es einer der ersten, doch sicherlich nicht der letzte Roman, welcher die Pandemie-Situation nicht nur benennt, sondern versucht zu verarbeiten.
Der Schreibstil Levys hat scharfe Kanten und kreist um die großen Fragen von Macht, Vergebung und Geschlechtsidentität. Ihre Prosa ist schnell, schlicht und schon fast schroff. In wenigen, präzisen Sätzen skizziert sie starke emotionale Szenen und pendelt ständig zwischen Komik und Düsternis.
Ihr Text ist gespickt mit Metaphern, die einem teilweise erst nach einigen Seiten auffallen. Um die Geschichte wirklich zu verstehen, muss der Leser sich auf eine tiefere Sinnebene, begeben. Es ähnelt schon fast dem Interpretieren eines Schultextes. Was für den einen angenehm ist, birgt für den anderen ein Problem. Wer den Text einfach nur stupide liest, erhält das blanke Chaos. Verschachtelte Gedankengänge und Querverweise ziehen sich durch die Seiten und geben ihm damit seine Einzigartigkeit. Alles scheint eine Metapher für etwas anderes zu sein. Die Stücke und Komponisten stehen zum Beispiel für Elsas Gefühle. Deswegen findet man wahrscheinlich auch nur einen Bruchteil von dem, was Levy hinterlassen hat. Doch genau das macht die Geschichte zu dem, was sie ist: unterhaltsam, trotz tiefer Sentimentalität gegenüber dem Leben.
Elsas Gemütszustand wird verdeutlicht durch die Gespräche, die sie in ihrem Kopf mit ihrer Doppelgängerin führt, was dem ganzen einen schon hysterischen Touch verleiht. Dennoch hat ihr Heilungsprozess etwas zu Geradliniges. Ohne große Rückschläge und Durchbrüche watet sie hindurch, um irgendwo einen gewissen Frieden mit allem zu finden – was schon fast unrealistisch erscheint. Ihre Entwicklung ist eigen und nicht vorhersehbar, immer eine Gratwanderung zwischen Heilung und Absturz. Auch mit den anderen, nur am Rande erwähnten Personen kann man sympathisieren und lachen. Levys direkte und unverblümte Art Personen zu beschreiben, lässt der Fantasie des Lesers genug Raum.
Wer im Koffer nur Platz für ein Buch hat, sollte definitiv dieses mitnehmen, denn es kann prima mehrmals gelesen werden. All die Emotionen, die Wehmut und Sehnsucht sind genau die richtige Gesellschaft, wenn man selbst in der Augusthitze brät.
„Love was the adrenalin, the addiction, it was like a slot machine, you put the coins in and a poet of twentieth-century music was the jackpot.”
Elsa M. Anderson
Anni: Der große Sommer
Es sind die letzten zwei Schulwochen vor den Sommerferien 1981, als Friedrich Büchner die Bestätigung seiner Vermutungen erhält: Fünf in Mathe, Sechs in Latein, seine Versetzung kann er knicken. Es sei denn, Frieder schafft die Nachprüfung. Statt Freibad, Tagträumerei und endloser Freiheit heißt es für den Fünfzehnjährigen nun büffeln. Und zwar bei niemand geringerem, als seinem Großvater, dem unnahbaren Professor für Bakteriologie, den er bis zu seinem zehnten Lebensjahr siezen musste. Doch wider Frieders Erwartung bekommt er die Nachmittage frei. Gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Alma und seinem besten Freund Johann bildet er eine zeittypische Jugendclique. Sie verbringen die Nachmittage im Freibad und ihre Abende auf der alten Stadtmauer, trinken billigen Alkohol, heben zum Gruß die linke Faust und rufen „Rotfront“. Es ist ihr Versuch, dem Phlegma ihrer süddeutschen Kleinstadt zu entkommen.
Foto: Kira Lange
Große Bilder – kleine Momente
Der 2021 erschienene Coming-of-Age Roman „Der große Sommer” von Ewald Arenz ist die klischeehaft unaufgeregte Zeichnung eines Sommers, von dem man meint, jeder habe ihn in seiner Jugend erlebt. Doch meistens hat man das nicht. Es sei denn man tut das, was man in nostalgischer Verklärtheit immer gern tut und destilliert diese fünf oder sechs Sommer der Jugend auf einen einzigen. Genau das macht Arenz in seinem Roman. Denn dem Protagonisten und zugleich Ich-Erzähler Frieder passiert innerhalb von wenigen Monaten alles, was er an jugendlicher Entwicklung zu erleben hat. Er trifft im Freibad auf seine erste große Liebe: Beate, „das Mädchen im flaschengrünen Badeanzug“, fügt sich schnell in die Freundesgruppe ein.
Es ist angenehm zu lesen, wie zugegeben realistisch „jugendlich” sich die Charaktere verhalten und entwickeln. Auch wenn Frieders Gedanken manchmal sehr geschwollen für einen Sechzehnjährigen sind, nur um im nächsten Moment recht banal zu klingen. Doch jeder Charakter ist durchdacht, hat seinen ganz eigenen Charme und seine Fehler. Über so manchen Wortlaut lässt sich auch mal laut loslachen, wenn sich die Freunde am Erwachsenwerden ausprobieren.
Große Liebe, Jugendsünden, Tod und echte Freundschaft: Es sind die klassischen großen Bilder, derer sich Arenz für seinen belletristisch-unaufgeregten Sommerroman bedient. Doch er beweist Gespür, lässt die feine Geschichte nie in Kitsch abdriften. Es sind viele kleinere Momente, die sich aus den einzelnen Ferientagen zu einer großen Erzählung zusammenfügen. Dem Plot hätte ein wenig mehr Tempo an der ein oder anderen Stelle dennoch gutgetan. So eignet sich das Buch zwar zum entspannten Schmökern in der Sonne, aber irgendwann muss man dann doch aufpassen, dass einem vor wohliger Trivialität nicht die Augen zufallen. Sollte es aber doch passieren, kann man den Faden mit Leichtigkeit wieder aufnehmen, denn es gibt keine versteckten Hinweise, keine kleinen Details, auf die es zu achten gilt. Nein, das Einzige, worauf es sich zu konzentrieren lohnt, ist die wirklich schöne Schriftsprache des Autors. Sie zeichnet jene überbelichteten Bilder mit viel zu hohem Kontrast, wie sie nur an hitzigen Hochsommertagen entstehen können.
Schwer aber tut sich die Geschichte mit Reflexionen. Die geheimnisvolle Distanziertheit des Großvaters bleibt bis zum Ende irgendwie undurchsichtig. Man wartet auf die große Auflösung in diesem Erzählstrang, aber sie kommt nicht. Es bleibt ein zugegeben interessantes, aber unscharfes Gebilde von lateinischen Zitaten und bedeutungsschwangeren Alltagsgesprächen.
Insgesamt ein Sommerroman, der nicht das ist, was man vielleicht im ersten Moment vermutet. Wer sich in einem wortgewaltigem Schreibstil, mit warmen Bildern und unaufgeregtem wie ungewöhnlichen Plot verlieren will, sollte sich der „Der große Sommer“ nicht entgehen lassen.
„Verliebtheit ist eine temporäre Hormonvergiftung. Meist heilt sie von selbst wieder ab.”
Der Großvater
Kira: The Ferryman
„Du bist nicht… du. Alles ist Oranios.” sind die letzten Worte, die Proctor Bennett von seinem Vater zu hören bekommt. Auf einmal scheint nichts mehr Sinn zu ergeben und ehe er sich versieht, steht sein Leben auf dem Kopf. Seine Gesundheit verschlechtert sich auf einmal drastisch und seine Ehe geht in die Brüche. Die Kunsthändlerin Thea scheint als einzige die Welt genauso zu empfinden wie er. Und was hat es mit diesem merkwürdigen Mädchen auf sich, das nur er zu kennen scheint? In einem Wirrwarr aus Realität und Träumen versucht Proctor, die Wahrheit zu finden. Doch Vorsicht – nichts ist so, wie es scheint, und doch ist es wahr.
The Ferryman, der neueste Roman von Justin Cronin, erschien im Mai 2023 unter der Random House Group. Derzeit ist es nur auf Englisch erhältlich.
Foto: Anni Lehmann
Vom Schwimmen im Sternenmeer und lebloser Kunst
Mit Prospera hat Cronin mal wieder eine neue Welt erschaffen, die grundlegend anders als unsere zu sein scheint. Doch mit Soja-Latte und Yogaunterricht leben die Bewohner dieser Zukunftsvision erschreckend ähnlich zum 21. Jahrhundert.
„The Ferryman” wird zwar als Utopie bezeichnet, ist im Grunde gesehen aber eine klassische Dystopie. Auch Cronin scheint sich daran orientiert zu haben, denn man kann Parallelen zu „Schöne neue Welt” von Aldous Huxley ziehen. Von der gesellschaftlichen Struktur, bis zum Fortpflanzungsprozess – die Laborbabys lassen grüßen – immer wieder tauchen Motive mit erstaunlicher Ähnlichkeit zum 90 Jahre alten Klassiker von Huxley auf. Man kann argumentieren, dass dies klassische Elemente einer jeden Dystopie sind, aber etwas mehr Originalität hätte dem Roman auf keinen Fall geschadet. Und auch Shakespeare scheint es Cronin angetan zu haben: ungewöhnliche Sturmböen, eine verzauberte Insel, namens Prospera, das gab es doch schon mal? Auch die Idee eines gottgleichen Designers ist Shakespeares Werk „Der Sturm” nicht fremd.
Bekannt für seinen detaillierten und langatmigen Schreibstil, ist Cronins Prosa größtenteils klar und durchdacht. Doch fällt er diesmal immer wieder in Versuchung, dem Ganzen überflüssige Größe zu verleihen und wird damit an manchen Stellen unnötig langatmig. Trotzdem bleibt es spannend, denn obwohl es ein langsamer Leseprozess ist, bietet die Geschichte inhaltlich alles. Neben romantischer und väterlicher Liebe, sowie einer Familientragödie, gibt es auch Verfolgungsjagden, Schießereien und einen Plottwist, der im letzten Drittel alles verändert.
Die Charaktere sind komplex und durchdacht. Nicht nur die Hauptperson macht eine Charakterentwicklung durch, sondern auch einige der oberflächlich scheinenden Nebencharaktere haben meist eine tiefere Ebene und spiegeln lebendige Seelen wider.
Eine Warnung geht raus an alle, die keine Lust auf Ratespielchen haben. Neben wechselnden Perspektiven, die ungekennzeichnet, in einzelnen aber auch unvorhersehbar mitten in den Kapiteln passieren, bis hin zur Handlung. Es gibt diesmal zwar eine kleine Personenanzahl, allerdings birgt die Geschichte ein allgemein undurchsichtigeres Bild – man muss immer wieder innehalten.
Cronin baut eine Welt, die mit unserer doch mehr gemeinsam hat, als man vielleicht auf den ersten Blick erkennen mag. Doch die revolutionärste Dystopie ist es nicht. Er folgt zwar vielen Vorfahren und tritt in deren Fußstapfen, durch die eigenwilligen Storyline sowie dem Mix an Genres, wirkt es trotzdem an einigen Stellen an den Haaren herbeigezogen. Nicht jeder vermag Sprünge von Dystopie zu Sci-Fi zu verstehen. Laut Washington Post ist es wie ein „Trippy-Effekt, als würde man ‘Inception’ im Flugzeug schauen, während der Passagier neben einem ‘The Matrix’ ohne Kopfhörer schaut” und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Sein Werk setzt sich kritisch mit der Welt des 21. Jahrhundert auseinander und dies schon fast auf eine makabere Art und Weise. Mit Anspielungen auf unsere Gesellschaft, die Klimakrise sowie den Kapitalismus hinterlässt er einen ätzenden Nachgeschmack beim Leser.
Als Sommerlektüre bietet sich dieser Roman vor allem für Leser an, die genügend Zeit haben, in eine andere Welt abzutauchen. Schnell durchgelesen ist das Buch auf keinen Fall. Und ein gut gemeinter Rat: Man sollte sich die Zeit auch nehmen, denn nur dann entfaltet die Dystopie ihre volle Kraft.
„Why do certain arbitrary images stay with us, branded upon the walls of memory, while others sink forever into time’s abyss?”
Proctor Bennett
Anni: Offene See
Im Frühjahr 1946 macht sich der sechzehnjährige Robert Appleyard auf eine letzte Reise, bevor er seiner düsteren Zukunft im heimatlichen Kohlebergwerk entgegentritt. Vom Bergarbeiterdorf im Norden des Nachkriegs-England macht er sich auf, zu einer Wanderung mit unbekannter Wiederkehr. Er will das Meer sehen, die Natur erleben und die Freiheit erfahren. Bis er nach einigen Wochen an ein Cottage an der Ostküste kommt. Dort macht er nicht nur mit einem bedrohlichen deutschen Schäferhund Bekanntschaft, sondern auch mit Dulcie Piper. Die große Frau mit exzentrischem Schöngeist und viktorianischem Kleidungsstil nimmt Robert mit viel Gastfreundschaft auf. Der ist zunächst irritiert, aber gleichzeitig auch fasziniert von Dulcies unkonventioneller Art. Mehr aus Zufall ergibt es sich, dass er den Rest des Sommers damit verbringt, den verwilderten Garten und eine verwahrloste Hütte zu renovieren. Im Gegenzug versorgt sie ihn mit allerlei Köstlichkeiten und Lebensweisheit.
Foto: Kira Lange
Zwischen Seeluft und Künstlerleben
„Offene See” ist das erste Buch von Benjamin Myers, das ins Deutsche übersetzt worden ist. So viel lyrischer Pathos wie darin steckt, könnte das Wort Roman dafür schon fast zu trivial sein. Am Ende ist es dennoch passend. Denn mindestens so sehr wie von ihrer intensiven Atmosphäre lebt die Erzählung von der Entwicklung der beiden Protagonisten. Wenn auch nicht ganz klischeefrei, aber durchaus organisch, entwickelt sich der unerfahrene Robert immer mehr zu einem jungen Mann mit Gespür für Kunst und Schönheit. Neben den pittoresken Naturbeschreibungen, sind es besonders die Dialoge zwischen Dulcie und Robert, welche dem Roman ausdrucksstarke Tiefen verleihen. Als menschgewordenes „Carpe diem” ist Dulcie dabei nie so ganz einzuordnen. Obwohl von großer Schlagfertigkeit und scharfem Sarkasmus, umweht sie immer eine gewisse Melancholie. So lässt sie Robert konsequent nicht die Hecke stutzen, welche ihr einen wunderschönen Ausblick auf das Meer verwehrt. Auch als er bei seinen Aufräumarbeiten ein Manuskript mit ihr gewidmeten Gedichten findet, will sie diese nicht lesen.
So entspinnt sich ein Bild von Reichtum und Schönheit, das zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich ist. Die Vorratskammer immer gut gefüllt, fehlt es den beiden nie an Wein und Meeresspezialitäten, während andere mit Lebensmittelmarken über die Runden kommen müssen. Doch auch in den alkoholgetränkten Gesprächen klingen die Nachwehen des Krieges an. Es geht um Weltanschauungen und Kunst als Lebenssinn. Man merkt dem Roman an, dass er von einem Lyriker geschrieben wurde. Denn bei aller Schönheit der Worte kippen ihm seine poetischen Vergleiche ab und an ins Überzogene. Manchmal hätte es genügt, einfach nur die banale Realität zu beschreiben, anstatt sie in komplizierten Schachtelsätzen zu erzählen. Etwas inkonsistent wirkt auch die Erzählebene. In einigen Momentaufnahmen weiß der jugendliche Robert mehr über seine Zukunft als es eigentlich sein kann.
Interessant: Es soll eine Buchverfilmung geben, welche 2024 in die Kinos kommt, mit Helena Bonham Carter in der Rolle der exzentrischen Dulcie Piper. Man darf gespannt sein, wie Regisseurin Jessica Hobbs („The Crown“) die literarischen Bilder in eine echte Szenerie umsetzen wird.
Ein literarisches Kleinod, das sich liest wie eine poetische Biografie. Jede Seite strahlt eine wohlig warme Nostalgie aus, in die man gern eintauchen möchte. Man begleitet zwei Charaktere auf einer Reise, von der weder man selbst noch die Protagonisten genau wissen, wo sie hinführt. Die wortgewaltigen Beschreibungen lassen einen das Meer hören und die salzige Seeluft schmecken. Wer den Sommer im Poesie-Format sucht, ist hier definitiv goldrichtig.
„Jeder junge Mensch, der sein Leben geplant hat, ist zu bemitleiden, da Pläne kaum Platz für Zufälle und unerwartete Entdeckungen lassen.”
Dulcie Piper
Text, Titelbild, Fotografien: Kira Lange und Anni Lehmann