SELBSTSTÄNDIGKEIT

„Wenn ich die Uniform wieder anziehen würde, würde sie mir nicht mehr passen.“

von | 5. Juli 2024

Wenn ein junger Polizist sich gegen seinen sicheren Job entscheidet.

Am 1. Juli 2022 kündigte Paul seinen Job als Polizist und verließ somit seinen sicheren Beruf, um sich in die Welt der Finanzbranche als Selbstständiger zu begeben. Im Gespräch teilt er uns die Gründe für seine Entscheidung mit – aber auch, wie es ist, mit 24 Jahren selbstständig zu sein.

Foto: Paul Irmscher 

Wie bist du zur Polizei gekommen?

Am Ende war es schon immer mein Traum, Polizist zu werden. Diesen Traum habe ich nie aufgegeben, auch wenn ich zwischendurch andere Dinge gemacht habe, wie zum Beispiel im Handwerk zu arbeiten. Grundlegend wollte ich immer Polizist werden und so habe ich 2018 meine Ausbildung bei der Polizei in Sachsen begonnen. Diese habe ich erfolgreich abgeschlossen und den Job genauso geliebt, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
Im Frühjahr 2021 kam ich zur Bereitschaftspolizei, was nicht unbedingt mein Wunsch war. Dennoch war ich froh, in Chemnitz bleiben zu können und nicht im gesamten Freistaat Sachsen herumreisen zu müssen, da ich so einen kurzen Arbeitsweg hatte. Der Job an sich war jedoch das, was ich mir immer gewünscht hatte. Doch er besteht ja nicht nur aus der reinen Tätigkeit, die man ausübt, sondern auch aus dem Umfeld, also den Vorgesetzten und dem ganzen Miteinander.

Warst du Beamter auf Lebenszeit oder auf Widerruf?

Bei der Polizei in Sachsen ist es so, dass man mit Beginn der Ausbildung Beamter auf Widerruf wird. Mit dem Abschluss der Ausbildung und der Ernennung zum Polizeimeister (mittlerer Dienst) wird man Beamter auf Probe. In der Regel vergehen danach zweieinhalb bis spätestens drei Jahre, bis man Beamter auf Lebenszeit wird. Das heißt, ich war Beamter auf Probe.

Wie kommt man darauf, seinen sicheren Job als Polizist aufzugeben und sich als Finanzmakler selbstständig zu machen?

Der ausschlaggebende Punkt, die Uniform später hinter mir zu lassen, war, dass das System hinter dem Beruf nicht zu mir passte. Obwohl ich meinen Job immer gut gemacht habe und meine Kollegen wussten, dass ich kompetent bin, bin ich immer wieder angeeckt und habe es mir damit selbst nicht leicht gemacht. Das lag vor allem daran, dass ich eine sehr direkte Art habe, „Probleme anzusprechen” und das offensichtlich nicht gern gehört wurde. Ich hätte mich also dem System anpassen oder verstellen müssen, was für mich persönlich nicht erstrebenswert war. Versteh mich richtig, es ging hier meinerseits nicht um grobe Verfehlungen oder schlimme Dinge. Ich musste einfach die Erfahrung machen, dass es weniger darauf ankommt, welche Kompetenzen oder Fähigkeiten man hat, sondern welches Ansehen man bei seinem Vorgesetzten genießt. Dadurch entstand für mich persönlich ein Problem und ich musste zwangsläufig eine Entscheidung treffen.
Aber wie kam ich gerade auf die Finanzbranche? Ich hatte bereits während meines Praktikums, vor der Bereitschaftspolizei, einen Kollegen im Streifendienst kennengelernt, der neben seinem Dienst auch als Finanzmakler tätig war. Er hat mich in dem Bereich an die Hand genommen und auch den Weg zum Kauf meiner ersten Immobilie als Kapitalanlage geebnet. Er war ein Stück weit mein Mentor in diesem Bereich und ist bis heute ein enger Geschäftspartner. So konnte ich meine ersten positiven Erfahrungen in der Finanzbranche sammeln und dachte, dass es auch anderen helfen könnte, ihren Zielen näherzukommen. Ich könnte also etwas tun, das anderen einen Mehrwert bringt und ich müsste mich nicht verstellen und könnte sein, wie ich bin. Daher entschloss ich mich, diesen Weg zu gehen. Zum 1. Juli 2022 kündigte ich meinen Job bei der Polizei und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit.

Gab es ein bestimmtes Ereignis, welches deine Entscheidung bewusst gelenkt hat in die Selbstständigkeit in diesem Bereich?

Ja, tatsächlich. Die grundlegende Perspektive, dass ich mein Leben selbst in die Hand nehmen kann und somit Herr meines eigenen Erfolges und Untergangs zugleich bin, hat mir eine Freiheit in meinem Denken und Handeln gegeben. Zum einen war das die Möglichkeit, meine berufliche Richtung selbst zu bestimmen und zum anderen die Unzufriedenheit mit der Beratung, die ich selbst erlebt habe und bei anderen nun mehrfach sehen musste.
Es gab einige Vorfälle, bei denen ich gesagt habe, dass so etwas einfach nicht passieren darf. Ohne abgedroschen zu klingen, muss ich wirklich sagen, dass einige „Beratungen“ strafbar sein müssten. Für mich persönlich hatte das zum damaligen Zeitpunkt im März 2022 seinen Höhepunkt erreicht, was mich ernsthaft zweifeln ließ. Ich frage mich bis heute, wie jemand so etwas verantworten und den Kunden dabei noch in die Augen sehen kann. Das war einer der Auslöser für mich, zu sagen: „Hier muss sich etwas ändern.” Ich sah zum einen den Abgrund, den die Finanzbranche angerichtet hat, aber vor allem sah ich das enorme Potenzial, wenn man die Dinge richtig angeht.

Würdest du jungen Menschen raten, sich selbstständig zu machen?

In jungen Jahren ist es eine sehr schwierige Frage, ob man den Weg in die Selbstständigkeit gehen sollte. Selbstständigkeit bedeutet, dass man sich selbst im Griff haben und managen muss. Es ist essenziell, dass man in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren und seine Stärken und Schwächen zu erkennen. Allein schon aus diesem Grund würde ich den meisten davon abraten, da das die Wenigsten können. Man muss herausfinden, in welchen Bereichen man besonders stark ist und ob diese Stärken gegebenenfalls Lösungen für die Bedürfnisse einer gewissen Zielgruppe bieten bzw. allgemein einen Mehrwert bieten können. Außerdem muss man sicherstellen, dass Kunden bereit sind, für die angebotenen Leistungen Geld zu bezahlen.
Das zentrale Kriterium ist immer wieder die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Viele Menschen scheitern daran, weil sie nicht in der Lage sind, effektiv mit Problemen umzugehen. Selbstständige Menschen haben meist Lösungen parat und sind deshalb in allen Lebensbereichen erfolgreicher. Es geht nicht darum, besonders gut auszusehen oder überdurchschnittlich intelligent zu sein. Der Schlüssel liegt darin, seine Stärken und den eigenen Fleiß zu nutzen, um dies für seine Kunden gewinnbringend einzusetzen. Wer diese Fähigkeiten besitzt, hat gute Chancen in der Selbstständigkeit erfolgreich zu sein und gutes Geld zu verdienen.

Wie stehst du zum Vertrieb in der Finanzbranche bzw. was unterscheidet dich als Makler zu einem Finanzberater?

Das Hauptproblem, das die Finanzbranche spaltet, ist die große Diskrepanz zwischen Maklern und Finanzvertrieben bzw. dessen Vertretern. Ich möchte hier keine Vertriebe namentlich nennen, aber eine einfache Google-Suche reicht aus, um die größten Vertriebe herauszufinden, und man wird wahrscheinlich schnell feststellen, dass man selbst dort beraten ist.
Aus Kundensicht ist der Makler in erster Linie dem Kunden verpflichtet und soll dessen Interessen wahrnehmen. Der Vertreter hingegen vertritt vor allem die Interessen des Unternehmens, für das er arbeitet. Das ist der große Unterschied. Ein weiteres Problem ist, dass diese Vertriebe oft riesige Strukturen mit tausenden oder sogar zehntausenden Vertretern haben. Wer wirklich glaubt, dass solche Strukturen kostengünstig sind, irrt sich gewaltig. Diese sind so aufgebaut, dass oft mehrere Leute in einer gewissen Struktur an einem abgeschlossenen Vertrag mitverdienen. Dadurch kommt natürlich auch beim Vertreter, der mit dem Kunden am Tisch sitzt, weniger an, und oft landen dadurch nicht gerade die für den Kunden günstigsten Sachen in deren Ordnern.
Ich will damit nicht sagen, dass die Vertreter einen schlechten Job machen oder die Dinge aus böswilliger Absicht tun. Das System selbst ist der Ursprung allen Übels, weil es darauf ausgelegt ist, in erster Linie die Interessen des Unternehmens zu vertreten, und die Strukturen bezahlt werden müssen. Dadurch stehen die Kunden und deren Interessen oft nicht im Vordergrund, und das ist ein grundlegendes Problem in der Finanzbranche.

Was ist unter „Strukturen" gemeint?

Ein Strukturvertrieb ist ein hierarchisches Vertriebssystem, auch bekannt als Multi-Level-Marketing (MLM). Verkäufer bieten Produkte oft im Freundes- oder Bekanntenkreis an. Sie verdienen nicht nur durch den Verkauf, sondern auch durch die Rekrutierung neuer Verkäufer, von deren Verkäufen sie Provisionen erhalten.

Würdest du nochmal zurück zur Polizei gehen?

Nein, es kommt aber tatsächlich oft vor, dass ich an die früheren Zeiten denke, wenn ich zum Beispiel einen Polizeiwagen sehe. Doch selbst wenn ich die Uniform wieder anziehen würde, würde sie mir nicht mehr passen.

Text: Vanessa Willmann, Titelbild Foto: Pixabay
<h3>Vanessa Willmann</h3>

Vanessa Willmann

ist 26 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Social Media Leitung.