„Momente, in denen man Grausamkeiten zeigen muss“

von | 12. März 2012

Die Fotos des toten Muammar al-Gadaffi lösten 2011 Diskussionen über zunehmende sensationelle Berichterstattung aus. Dabei sind die Bilder nicht schlimmer geworden, meinen Experten. Am 20. Oktober 2011 überschlugen sich die […]

Berichtende Bilder sollten nicht übermäßig schockieren.

Berichtende Bilder sollten nicht übermäßig schockieren.

Die Fotos des toten Muammar al-Gadaffi lösten 2011 Diskussionen über zunehmende sensationelle Berichterstattung aus. Dabei sind die Bilder nicht schlimmer geworden, meinen Experten.

Am 20. Oktober 2011 überschlugen sich die Meldungen in den Nachrichten. Muammar al-Gaddafi sei tot, meldeten die Sender übereinstimmend. Nach 42 Jahren Tyrannei wurde der Diktator durch Kugeln der Revolutionäre getötet. Durch die Berichte und die dabei in Dauerschleife gezeigten, schrecklichen Bilder des Toten wurde aber auch eine Grundsatzdiskussion losgetreten: Ist es gerechtfertigt, Fotos eines toten, blutverschmierten Diktators zu veröffentlichen oder ist Gaddafi ein Mensch, dessen Würde nach dem Tod geachtet werden sollte? „Wie umgehen mit den Bildern des getöteten libyschen Diktators Gaddafi?“, fragte sich auch Redakteur Bernd Graff von „Süddeutsche.de“. Sein Arbeitgeber positionierte sich klar: „Weil die Bilder in der Welt sind, weil sie jetzt schon nahezu jeder kennt, muss nicht jedes Medium sie auch noch zeigen.“

Die Entwicklung des Fotojournalismus

Schockierende Fotos sind kein neues Phänomen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg verbreiteten Medien brutale Bilder aus Kriegsgebieten. „Bilder, wie das des spanischen Widerstandskämpfers, der im Moment der Aufnahme von einer Kugel im Kopf getroffen wird, gingen früh um die Welt und keiner hat nach der Menschenwürde gefragt – allein die Symbolik hat Meinung gemacht“, erzählt der Fotograf Cristian Isacu. „Krieg ist jenseits von Gut und wurde auch früher so dokumentiert. Aufnahmen aus Vietnam können es locker mit heutigen aufnehmen.“ Die Bilder von Ronald Haeberle etwa, der das Massaker von My Lai dokumentierte, halten sich bis heute im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft. „Was sich geändert hat, ist der Betrachter: Er ist durch die Flut der Bilder abgestumpft, sie wirken nicht mehr nachhaltig“, meint Isacu.

Ella Wassink, Pressesprecherin des Deutschen Presserats, bestätigt die Meinung des Fotografen. „Ich würde nicht sagen, dass es schlimmer geworden ist. Es sind ein paar außergewöhnliche Fälle gewesen, wie nicht zuletzt mit dem toten Gadaffi. Aber insgesamt habe ich nicht das Gefühl, dass Opfer per se jetzt häufiger in den Medien zu finden sind.“

Leichterer Zugang zu brutalen Bildern

Ist es also nur die subjektive Wahrnehmung der Konsumenten, dass immer mehr grausame Bilder in den Medien gezeigt werden? „Ja, weil das Internet natürlich den Zugang erleichtert hat. Sie surfen heute vielleicht bei vier, fünf Zeitungen oder Zeitschriften am Tag – innerhalb kürzester Zeit – und früher hatten Sie, wenn überhaupt, eine Tageszeitung und vielleicht haben Sie sich mal hin und wieder eine Zeitschrift gekauft“, meint Ella Wassink. Die Wichtigkeit des Themas will sie damit aber nicht herunterspielen. Natürlich gebe es immer wieder Zeitungen, Zeitschriften und journalistische Internetseiten, die unnötig brutale und erschreckende Bilder veröffentlichen. Beschwert sich ein Leser beim Presserat darüber, prüft dieser, ob die Zeitung gegen die Ziffern 1 und 11 des Pressekodex verstößt und die Menschenwürde nicht geachtet hat.

Dabei sollte allerdings – wie im Fall Gadaffi – hinterfragt werden, wann die Menschenwürde überhaupt verletzt wird. Ist es eine Verletzung, Fotos von einem toten Diktator zu veröffentlichen oder sind die Fotografien sofort historische Dokumente und müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Bei diesem Thema gehen die Meinungen weit auseinander. Zum Tod Gaddafis musste der Presserat 49 Beschwerden bewerten. Wassink: „Grundsätzlich muss man festhalten, dass es nicht verboten ist, Tote zu zeigen. Und auch schwer Verletzte und schlimme Situationen zu zeigen ist weder verboten noch presseethisch als grundsätzliches Tabu eingestuft. Es gibt manchmal Momente, wo man eben Grausamkeiten zeigen muss.“

Sensationsfotos und die Boulevardzeitungen

Der Presserat stufte die Bilder des getöteten Diktators schließlich als Dokumente der Zeitgeschichte ein. Somit wurden die Vorwürfe der sensationellen Berichterstattung grundsätzlich entkräftet. Trotzdem gab es einzelne Medien, die gegen den Kodex verstießen. Zwei Boulevardblätter zeigten ein vergrößertes Foto vom blutverschmierten Gesicht auf ihrer Titelseite. Der Ausschuss des Presserates stellte dabei einen Verstoß gegen den Jugendschutz fest, den die Presse zu achten hat.

Hannes Ewert, Volontär bei der „Ostsee-Zeitung“, fotografierte früher selbst für die „Bild“. Auf seinem ersten Foto für das Springer-Blatt war eine abgedeckte Leiche an einem kleinen Teich zu sehen. Am Tag, nach dem Ewert die Fotos an die „Bild“ schickte, habe ihn ein Mitarbeiter angerufen und nach Bildern gefragt, auf denen mehr von der Leiche zu sehen ist. „Ich habe damals echt geschluckt. Bei der „Ostsee-Zeitung“ werden Fotos mit weniger Blut genommen. Bei der „Bild“ mehr, aber dann wird’s gepixelt“, beschreibt er die Unterschiede zwischen Kauf- und Abo-Zeitung.

Die Frage, ob Boulevardzeitungen generell Wert auf detaillierte, sensationelle Darstellungen legen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Grundsätzlich gebe es hier große Unterschiede, meint etwa Ella Wassink. Es gebe auch Boulevardblätter, die auf die plakative Aufmachung der Titelseite nicht so großen Wert legen und brutale Fotos klein im Mittelteil platzieren.

Text: Lisa Limbach, Bild: Elisabeth Stiehler, Bearbeitung: Robert Burghoff

<h3>Lisa Limbach</h3>

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