Stell dir vor, jemand stirbt. Nicht in einem dramatischen Moment, sondern einfach so, wie es das Leben manchmal vorsieht. In einem Krankenhausbett umgeben von Familie und engen Freunden. Und dann – ein Klick. Man befindet sich im Jenseits, erstellt einen Geist und taucht ein in eine Welt voller Erinnerungen. In dem Serious Game „How to say goodbye“ beginnt genau so, die Reise zur Verarbeitung von Verlust und Trauer.
Gaming ist ein großer Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums in Deutschland. Eine Statistik des Verbandes der deutschen Games-Branche zeigte, dass 2024 rund 60 Prozent der Bevölkerung Computer- und Videospiele regelmäßig spielen. Bei 16- bis 29-Jährigen beträgt der Anteil sogar über 91 Prozent.Während die meisten Spiele der Unterhaltung dienen, gibt es sogenannte Serious Games, auch Impact Games genannt, die einen deutlichen pädagogischen Zweck verfolgen. Sie stellen eine Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Bildung dar und definieren ein eigenes Genre in der Spieleindustrie.
Konzept mit ernstem Hintergrund
Bei Serious Games handelt es sich um Computer- und Videospiele mit spielerischen Lernansätzen, die im Gegensatz zu reinen Unterhaltungsspielen einen klaren pädagogischen Zweck verfolgen. Sie dienen zwar auch der Unterhaltung, nutzen jedoch unterschiedliche Ansätze, um komplexes Wissen zu vermitteln, Heilungsprozesse zu unterstützen und Fähigkeiten gezielt zu trainieren. „Serious Games erhöhen dauerhaft die Lernmotivation und schaffen es auch, komplexe Zusammenhänge verständlich aufzubereiten. Sie bieten neben einem enormen Potenzial in vielen Bereichen, etwa der Bildung oder dem Gesundheitssektor, zudem eine sehr gute wirtschaftliche Perspektive“, erklärt Felix Falk, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Games-Branche, in einem Bericht auf ihrer Website.
Die Gestaltung der Spiele ist darauf ausgerichtet, ernste Themen näherzubringen und für diese zu sensibilisieren. Mit ansprechenden Geschichten und interaktiven Elementen widmen sich Serious Games Themen, welche die Spieler*innen selbst begleiten. Gleichzeitig erschließen sie neue Zugänge für eine zunehmend digitale Gesellschaft.
Gamification
Neben dem Begriff „Serious Gaming“ existieren zahlreiche verwandte Spielkonzepte wie Gamification. Dabei handelt es sich um ein Konzept, welches spielerische Elemente in einen bestehenden Prozess bringt, ohne dass es sich dabei um ein vollständiges Spiel handelt. Mithilfe verschiedener Elemente aus Videospielen wie Punkten, Levels oder Ranglisten sollen Erfolge belohnt werden und ein Anreiz geschaffen werden. Das Ziel von Gamification ist es, zu bestimmten Handlungen beziehungsweise Zielen zu motivieren. Genutzt wird es beispielsweise in Fitness- oder Sprachlern-Apps.
Unternehmen nutzten Gamification zur Steigerung von Produktivität und Engagement ihrer Mitarbeitenden. Auch im Marketing wird es genutzt, um Kunden zu binden und zum Kauf anzuregen. Fortschrittsbalken visualisieren den Erfolg und motivieren zur weiteren Teilnahme. Belohnungssysteme, wie beispielsweise Erfahrungspunkte und Level-Aufstiege, können die Kundenbindung stärken und zu einer regelmäßigen Nutzung führen.
Serious Games und Gamification unterscheiden sich vor allem darin, dass zweiteres kein eigenständiges Spiel ist, sondern lediglich Spiel-Elemente darstellt, während Serious Games eigenständige Spiele sind, die den Strukturen eines klassischen Spiels folgen. Zudem wurden beide mit unterschiedlichen Zielen konzipiert. Während Gamification vor allem spielerisch die Motivation von Nutzern*innen fördern soll, verfolgt Serious Games neben der Unterhaltung auch Bildungs- oder Schulungsziele.
Lernen durch spielen
In Serious Games tauchen Nutzer*innen in virtuelle Welten ein, in denen sie durch aktives Handeln Wissen erwerben und Fähigkeiten entwickeln. Die sofortige Rückmeldung auf ihr Verhalten optimiert den Lernprozess. Im Gegensatz zu traditionellen Lernformen setzen Serious Games auf eine aktive Beteiligung der Lernenden. Statt passiv Informationen aufzunehmen, werden die Nutzer*innen herausgefordert, selbstständig Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen. Die spielerische Gestaltung sorgt für eine hohe Motivation und ermöglicht einen nachhaltigen Lernerfolg.
Der Einsatz solcher Spiele bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Die Entwicklung von Serious Games erfolgt häufig durch kleinere Studios in Kooperation mit Unternehmen oder Bildungseinrichtungen. Ob zur Vermittlung politischen Wissens über Umweltschutz bis hin zur Gesundheitsförderung oder Bereichen in Kunst und Kultur – Serious Games werden überall dort eingesetzt, wo es darum geht, Wissen zu vermitteln.
„How to say goodbye“
Das narrative Puzzlespiel „How to say goodbye“ wurde von Arte entwickelt. Im Stil von bunten Kinderbuchillustrationen, wird die Geschichte kürzlich verstorbener Personen erzählt. Es soll Betroffenen dabei helfen, sich mit den Themen Verlust, Trauer und Verarbeitung auseinanderzusetzen. In dem Videospiel werden Verstorbene zu Geistern, die in einer Zwischenwelt gefangen sind. Ziel ist es, alle Herausforderungen der verschiedenen Level zu meistern und den Geistern den Weg ins Jenseits zu ermöglichen. Auf dem Weg wird man mit bösartigen „Trübsinnen“ konfrontiert – gequälte Seelen, die alle Hoffnung bereits aufgegeben haben. Mit jedem gelösten Rätsel erfährt man mehr über die Geschichte dieser verstorbenen Seelen. Um den Übergang ins Leben nach dem Tod zu meistern, müssen die Geister lernen, ihren eigenen Tod anzunehmen und zu akzeptieren
https://www.youtube.com/watch?v=XRN8oROlSZ8
„Little Impacts“
Das interaktive Erzählspiel „Little Impacts“ richtet sich an junge Erwachsene, die sich für Nachhaltigkeit interessieren. Durch das Lösen kleiner Rätsel und das Erledigen von Aufgaben können Nutzer*innen lernen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Dabei werden verschiedene Aspekte eines nachhaltigen Lebens behandelt – von Ernährung und Wohnen bis hin zu Mobilität und Finanzen. Mithilfe der Hauptfigur Leah lernen Spieler*innen, wie sie auch im eigenen Umfeld für mehr Nachhaltigkeit werben können.
Basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde das Spiel im Rahmen eines Forschungsprojekts des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt entwickelt. Ziel des Projekts ist es, die Wirksamkeit von Serious Games zur Förderung von Nachhaltigkeit zu erforschen.
https://www.youtube.com/watch?v=mhO7nPEf0VU
„Friedrich Ebert – Der Weg zu Demokratie“
Serious Games sind inzwischen eine eigene Kategorie beim Deutschen Computerspielpreis. 2024 wurde in dieser Kategorie das Spiel „Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie“ ausgezeichnet. Es simuliert den politischen Werdegang des gleichnamigen SPD-Politikers. „Die Spielerinnen und Spieler treffen Entscheidungen, die den Verlauf der Geschichte nachvollziehbar machen, und erleben hautnah, unter welchem Druck und welchen Zwängen die Demokratie erkämpft und verteidigt werden musste“, heißt es in einem Beitrag der Stiftung Reichspräsidenten-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Das Spielkonzept basiert auf der Analyse von Briefen und Dokumenten, die den Spieler*innen einen Einblick in die politischen Herausforderungen des frühen 20. Jahrhunderts geben – vom Ersten Weltkrieg über die Revolution bis hin zur Weimarer Republik.
Das speziell für den Bildungsbereich entwickelte Spiel ist ab 14 Jahren spielbar. Es wird durch eine kostenlose Handreichung ergänzt, die Lehrkräften bei der Integration des Spiels in den Unterricht unterstützt. Diese bietet vielfältige Vorschläge, die auf verschiedene Kompetenzstufen und inhaltlichen Schwerpunkten aufbauen. Neben medienpädagogischen Aspekten werden auch fachspezifische Inhalte thematisiert. Eine integrierte Chronik im Spiel ermöglicht zudem eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Inhalt.
https://www.youtube.com/watch?v=z6SVhFeOnIc
Videospiele als soziales Werkzeug
Immer häufiger werden digitale Spiele eingesetzt, um komplexe Themen zu vermitteln und gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Serious Games versprechen, Wissen auf unterhaltsame Weise zu vermitteln. Aber reichen interaktive Lektionen aus, um komplexe Probleme wie den Klimawandel zu lösen? Immer häufiger werden sie als Plattform genutzt, um gesellschaftliche Fragestellungen zu thematisieren und zu diskutieren. Durch interaktive Erfahrungen können Spieler*innen aktiv an der Gestaltung virtueller Welten teilnehmen und so neue Perspektiven auf aktuelle Probleme gewinnen. Ob es um politische Entscheidungen, die Verbreitung von Falschinformationen oder den Umgang mit Umweltkrisen geht – in vielen Spielen finden sich Ansätze, um diese Themen zu erkunden.
Text: Vanessa Jahn, Titelbild: unsplash