Sexismus im Netz

„Geprankt” – So wehrt sich eine deutsche Fernsehmoderatorin

von | 3. Mai 2019

Palina Rojinski macht Schluss mit perversen Kommentaren und setzt so ein Zeichen gegen frauenfeindliche Äußerungen.

„Geprankt” – So wehrt sich eine deutsche Fernsehmoderatorin

von | 3. Mai 2019

Moderatorin Palina Rojinski täuscht ihre Follower mit Foto von Männerpo. Titelbild: Marie Kühnemann

Ein Zeichen setzen gegen frauenfeindliche Kommentare im Netz – das dachte sich TV-Star Palina Rojinski (33), die wegen ihrer Oberweite regelmäßig vulgäre Äußerungen erhielt. Rojinski wollte dem entgegensteuern und überlegte sich pünktlich zur Aprilscherz-Zeit eine ausgeklügelte Täuschung.

Palina Rojinski, die durch MTV Home bekannt geworden ist, hat ihre Follower getäuscht, indem sie ein vermeintliches Dekolleté Foto von sich auf Instagram teilte. Rojinski sei immer wieder entsetzt gewesen, welche herabwürdigenden Kommentare sie unter ihren Bildern erhielt, äußerte sie in der Show Late Night Berlin. Der Moderator und Comedian Klaas entgegnete ihr daraufhin: „So ein Füllhorn von perversen Kommentaren habe ich persönlich noch nie gesehen.” Die 33-Jährige zeige laut ihren Aussagen noch nicht einmal viel Haut und trotzdem erhält sie frauenfeindliche Kommentare unter ihren Bildern auf Instagram.

Gemeinsam inszenierten Rojinski und der Moderator ein besonders offensives Dekolleté-Foto: „Um alle Perversen für immer vom Instagram-Profil von Palina zu vertreiben, mussten wir zu harten Mitteln greifen. Und mit ,harten Mitteln‘ meinen wir ein waschechtes Maurer-Dekolleté“, heißt es in Klaas Beschreibung zum Video auf der Instagram-Seite der Late Night Berlin. „Wir schießen das freizügigste Foto, das es jemals auf meinem Instagram-Account gab“, kündigte Palina an. Ein Mitarbeiter der Sendung hatte sich bereit erklärt, als Model für den Fake-Ausschnitt zur Verfügung zu stehen. Anschließend posteten sie das Ergebnis auf dem Instagram-Account der Moderatorin mit der Bildunterschrift: „Endlich mal ne schöne Kette mit meinem Sternzeichen.“

Die Reaktionen von ihren Fans in den sozialen Netzwerken, aber auch der Boulevardblätter waren zahlreich. Eine Flut an Zeitungen berichtete über das vermeintliche Busen-Bild. Für die Münchner Abendzeitung, den Berliner Kurier, aber auch die Internetseite Promiflash war dieser Schnappschuss einen Artikel wert.  Unter dem Bild tummelten sich die Kommentare. Es fielen Sätze wie: „Du bist der Grund, warum ich heute dreimal öfter auf das Klo verschwinde als sonst.“ Es gab auch Kommentare die eindeutig eine andere Meinung äußerten, ein User schrieb: „Ihr seid alle so notgeile, sinnlose Typen, dass einem das Kotzen kommt.“ Das Nachrichtenportal Focus Online veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel: „Palina Rojinski, warum zeigst du uns nur deine Brüste?“ Die Moderatorin löste ihre Anti-Sexismus-Aktion drei Tage später auf ihrem Instagram-Profil auf.

Was ist Sexismus?

Rojinski wollte gegen Sexismus und Respektlosigkeit im Netz aufmerksam machen. Denn Beleidigungen, anzügliche Sprüche oder gierige Kommentare sind heute keine Seltenheit und die Grenze der sexistischen Belästigungen ist schnell erreicht. Doch was genau ist Sexismus? Wann spricht man davon? Das „Missy-Magazin“ erklärt, was unter Sexismus zu verstehen ist: Es beginne da, wo ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei. Besonders Männer zeigen gegenüber Frauen diskriminierende Verhaltensweisen. Es hat nichts mit einvernehmlichen Sex oder Flirten zu tun. Sondern viel eher damit, dass der Mann über dem Geschlecht Frau steht. Eine Kombination aus Macht und Vorurteilen kann sich in ökonomischen Verhältnissen und in Form von physischer und psychischer Gewalt ausdrücken. Äußern kann sich Sexismus demzufolge in „Altherrenwitzen“, körperlichen Übergriffen am Arbeitsplatz oder auch durch abwertende Bezeichnungen, die online zu finden sind und die auf eine vermeintliche Schwäche und Dummheit der Frauen schließen sollen.

Eine Umfrage, die das britische Unternehmen Ipsos Mori für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erstellt hat, zeigt, dass viele weibliche User bereits Erfahrung mit Online Belästigung gemacht haben. Von 4000 befragten Frauen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren aus 8 verschiedenen Ländern erklärten mehr als 900, dass sie online bereits damit zu kämpfen hatten, 688 von ihnen in den sozialen Netzwerken. 64 Prozent der Befragten stimmten zu, dass sie sexuelle Belästigung in ihrem Umfeld erlebt haben. 

Formen von Online Belästigung

Welche Form von Online Belästigung Frauen bereits erfahren haben, zeigt eine Befragung der Non-Profit-Organisation Amnesty International von 2017, die sich für Menschenrechte einsetzt. 62 Prozent der befragten Frauen sind oft beleidigender Sprache oder Kommentare ausgesetzt. 46 Prozent erhielten sexistische oder frauenfeindliche Kommentare und 17 Prozent erhielten Drohungen über Veröffentlichung persönlicher Details. Das Ziel: den Betroffenen Stress und Schaden zuzufügen.

Das Problem – Betroffene fühlen sich hilflos

Frauen stehen diesen Belästigungen im Netz meist hilflos gegenüber. Viele wissen nicht, wie sie sich schützen sollen und schämen sich, um Hilfe zu bitten. Gegen solche Übergriffe wehren sich die meisten Betroffenen nicht. Nur wenige blockieren oder melden den Kontakt, von dem sie belästigt werden, und kaum eine Frau wendet sich an Freunde oder gar an die Polizei. Betroffene geben zudem sich selbst die Schuld. Eine weit verbreitete Meinung ist, wer selbst freizügige Bilder von sich poste, sei mitverantwortlich für sexistische Kommentare. Aus der Sicht von Elke Prochazka, Psychologin bei Rat auf Draht ist jegliche Art von sexueller Belästigungen oder gar Drohung nicht akzeptabel und sollten zu Aussprache kommen.

Tatsächlich ist es gesetzlich niedergeschrieben, dass auch Worte sexuelle Belästigung sein können. Seit 2006 regelt das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) das Thema. Der Paragraf 3 Abs. 4 des AGG definiert sexuelle Belästigung als ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Dazu zählen auch Gesten, Blicke, Äußerungen und körperliche Berührungen. Somit sind auch Bemerkungen mit sexuellen Inhalt als Belästigung zu werten. Die betroffene Person muss allerdings erkennbar zeigen, dass sie so ein Verhalten als unangemessen und verletzend empfindet und den Täter sofort auffordern, es zu unterlassen. 

Wie kann man sich schützen?

Laut t-online.de, die ein Interview mit Diplom-Psychologin Charlotte Diehl führten, ist das Spektrum von sexueller Belästigung riesig. Es sei wichtig, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen und zu reagieren, findet Diehl, die an der Universität Bielefeld unter anderem zu sexueller Belästigung forschte. Betroffene sollten in erster Linie darüber sprechen. Ihre Gefühle sind immer richtig. Fakt ist: Wenn es Ihnen unangenehm ist, darf der Gegenüber nicht weitermachen.“

Der Gemeinnützige Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten e. V. bietet Opfern eine kostenlos Hotline an, wo man sich Rat und Hilfe holen kann. Sie nennt sich Weißer Ring und ist eine bundesweit agierende Organisation, die Betroffenen, egal welchen Geschlechts, Betreuung anbietet, wenn es um sexuelle Belästigung oder Mobbing im Netz geht.

Opfer-Telefon: 116 006

Bundesweit. Kostenfrei. Anonym.
Ein Hilfsangebot des WEISSEN RINGS.
7 Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr.

Nicht nur Frauen sind im Netz von Sexismus betroffen

Suzie Grime und Elliott Tender setzten sich 2017 auf der „Tincon“ in Berlin in einem Panel mit diesem Thema auseinander. Es betrifft nach Suzies und Elliotts Meinung Transgender, Schwule, Bisexuelle und andere Menschen verschiedenster Sexualität. Sie haben erklärt, wie sich Sexismus im Netz zeigt und sprachen unter anderem über die Umfrage, die über zehn Jahre von der britischen Tageszeitung The Guardian durchgeführt wurde.

 

Die dunkle Seite der Kommentare

The Guardian veröffentlichte 2016 eine Studie mit dem Titel „The dark side of Guardian comments“, die auf ihrer Website von 2006-2016 durchgeführt worden ist. Sie haben über 70 Mio. Leserkommentare ausgewertet und in weibliche und männliche User aufgeteilt. Sie erstellten eine „Top 10“ an Autoren, die mit den meisten sexistischen und rassistischen Beleidigungen, Drohungen und Verunglimpfungen online zu kämpfen hatten. Unter den zehn Autoren waren acht Frauen (vier hell- und vier dunkelhäutig) und zwei dunkelhäutige Männer, einer von ihnen schwul. Wie die Auswertung bei The Guardian ergab, waren von den acht Frauen eine Muslimin und eine Jüdin. Die Spitze der Liste führte Jessica Valentin. Sie ist Feministin und Mitgründerin von Feministing.com, ebenso schrieb sie das Buch „Sex Object“, welches ein New York Times Bestseller ist. Aktuell verfasst Valentin bei der britischen Tageszeitung regelmäßig Berichte. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte sie, dass es ihr am liebsten wäre, wenn man unter ihren Artikeln die Kommentare offen lassen könnte und es dort sachliche Diskussionen ohne Beleidigungen gäbe. Sie äußerte sich auch zu Twitter und Facebook. Auf die Frage, ob sie manchmal darüber nachdenke, sich einfach von diesen Plattformen abzumelden, antwortete sie: „Ja, ständig. Das Problem ist nur: Das ist Teil meiner Arbeit. Ich bin als Autorin wertvoller, wenn ich viele Follower mitbringe. Sich aus den sozialen Netzwerken zu verabschieden ist deshalb keine Alternative, wenn ich weiterhin mein Geld mit dem Schreiben verdienen will. Und außerdem möchte ich die Leute, die mich beleidigen und bedrohen, nicht gewinnen lassen.“ Valentin findet es wichtig, dass sich Frauen für ihre Rechte stark machen und den Sexismus im Internet ernst nehmen.

Wie Palina Rojinski und Klaas Heufer-Umlauf ebenfalls mit dem Fake-Dekolleté zeigten, lohnt es sich gegen frauenfeindliche Kommentare vorzugehen. Für die Aktion gab es reichlich Lob in den Medien: „Überragende Aktion“ oder auch „Danke Bernd, dass du deinen Arsch für Palina hingehalten hast.“ Das Video zum Entstehungsprozess ist auf der Homepage der Late Night Berlin zusehen. Die Wahlberlinerin kommentierte die Rache-Aktion mit gewohntem Humor: „Na Jungs, wie war es?“

Text: Christin Post  Titelbild: Marie Kühnemann

<h3>Christin Post</h3>

Christin Post

ist im Erzgebirge geboren und studiert derzeit im sechsten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Sie ist ein kreativer Kopf und nutzt diese Fähigkeiten, als Teil der Bildredaktion und des Social Media Teams. Ihre persönlichen Interessen liegen außerdem beim Longboarden, Surfen und dem Reisen.