Sexuelle Belästigung online

„Willst du ficken?“

von | 12. Januar 2021

Frauen werden fast jeden Tag sexuell belästigt. Was sie dafür tun müssen? Ihr Handy mitnehmen und Frau sein.

A: „Sorry, ich hab kein Interesse.“ B: „Wärst eh nicht hübsch genug du hässliche Schlampe“ – solche und ähnliche Nachrichten sind Teil des Lebens vieler Frauen. Sexuelle Belästigung und Beleidigungen im Netz sind Alltag. Soziale Medien sind Bestandteil des modernen Lebens, es gibt kaum jemanden, der online nicht vertreten ist. Wer vernetzt ist, wird gleichzeitig potentielles Opfer unangebrachter und meist strafbarer Nachrichten. Junge Frauen erzählen von ihren Erfahrungen, die keinesfalls Flirtversuche, sondern die harte Realität fast täglicher Belästigung zeigen.

„Ich will doch nur spielen“

Eine Redewendung, die gerne als Ausrede für unangebrachtes Verhalten verwendet wird, ist der wortwörtliche Wunsch vieler Frauen in der Gaming und eSport-Szene: einfach nur spielen. „Für viele Frauen im eSport sind Sexismus und Übergriffigkeiten leider trauriger Alltag“, so Kristin Banse, Präsidiumsmitglied beim eSport-Bund Deutschland (ESBD), gegenüber der Zeit. Erst letztes Jahr gab es Anschuldigungen gegen bekannte männliche Streamer der Streaming-Plattform Twitch, die Frauen sexuell belästigt haben sollen. Vergangenen Oktober beschwerte sich Streamerin „QuarterJade“ über User, die Clips ihrer Videos zusammenschnitten, in denen sie vom Stuhl aufsteht oder sich vornüberbeugt, um etwas aufzuheben. Ein User reagierte auf ihre Beschwerde mit dem Kommentar, dass „QuarterJade” doch lediglich einen sogenannten brb-Screen („bin gleich zurück“-Bildschirm, Anm. d. Red.) einfügen müsse. Das wiederum rief „Pokimane“ auf den Plan, die Partei für ihre Kollegin ergriff. Die erfolgreichste Streamerin Twitchs antwortete auf den Kommentar mit der Frage, warum es denn die Aufgabe weiblicher Streamer sei, solche „Creeps“ (zu dt. etwa „gruselige Typen“, Anm. d. Red.) umgehen zu müssen – insbesondere in völlig normalen, nicht-sexuellen Situationen, wie etwa beim Aufstehen von einem Stuhl.

Frauen müssen dabei aber nicht einmal streamen, um Opfer von Sexismus und sexueller Belästigung zu werden. Laut der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung gehen Studien davon aus, „dass zwei von drei aller Spielerinnen und Spieler schon einmal belästigt wurden“, andere Studien hingegen gehen von einem Verhältnis von eins zu zwei aus.

Lena ist ebenfalls Teil dieser Statistik. Sie ist 21 und spielt in ihrer Freizeit selbst gerne Videospiele. Seit einiger Zeit streamt sie auch. In sogenannten rundenbasierten Online-Spielen wird sie in fast jeder Runde belästigt. „Ich achte meistens darauf, dass ich mein Mikrofon nicht benutze, wenn ich mit Fremden spiele. Sobald man an meiner Stimme hört, dass ich weiblich bin, fangen die dummen Sprüche und Beleidigungen auch schon an.“ Dabei würden die typischen Klischees weiblicher Gamer bedient. Frauen könnten nicht spielen oder sie sollten doch lieber wieder in die Küche gehen. Auch wenn sie selbst streamt, erhält Lena oftmals unangenehme und vor allem unpassende Kommentare: „Meist fängt das ja ganz harmlos an, ich sähe süß aus oder sei hübsch. Oft sind die Kommentare auch sexualisierter, ich wäre sexy und attraktiv. Ich antworte dann distanzierter mit einem einfachen Dankeschön. So würde ich im realen Leben auch damit umgehen, wenn ein Fremder mir solche direkten Komplimente macht, ohne jeglichen Kontext.“ Die anfänglich netten Kommentare schlagen dann aber schnell um, aus einem vermeintlichen „Flirtversuch“ wird eine Beleidigung: „Meist werde ich gefragt, ob ich einen Freund habe. Wenn ich das bejahe oder einfach nicht darauf antworten möchte und sozusagen eine Abfuhr erteile, kommen direkt Kommentare wie: ‚Du Schlampe, schick mal Nacktfotos‘, ‚Gib dein Snapchat‘ und so weiter.“ Lenas Moderatoren kümmern sich meist schnell um solche Fälle, trotzdem bleibt ein bitterer Nachgeschmack. „Mir tun solche Kommentare nicht mehr weh, ich habe gelernt, damit umzugehen. Trotzdem ist es traurig zu wissen, dass ich vermutlich nicht belästigt werden würde, wenn ich ein Mann wäre.“

Zwei Freundinnen, ein Ziel

Frauen müssen jedoch nicht, wie Lena, Teil einer vermeintlich männerdominierten Szene sein, um sexuelle Belästigung zu erfahren. Auch Nutzerinnen von Online-Dating Plattformen sind oft betroffen. Eine Untersuchung des Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 zeigt, dass 57 Prozent aller befragten Amerikanerinnen im Alter von 18 bis 34 Jahren, die Dating-Apps nutzen, schon einmal ungefragt sexuell explizite Nachrichten oder Bilder erhalten haben. Die Anzahl betroffener Männer hingegen beläuft sich mit 28 Prozent auf die Hälfte. Eine Erhebung der Fundamental Rights Agency aus dem Jahr 2012 zeigt, dass 20 Prozent aller 18 bis 29 Jährigen seit ihrem 15. Lebensjahr Formen sexueller Onlinebelästigung erfahren haben. Spätestens seit Joko und Klaas’ #Männerwelten sollte jedem klar sein, dass Belästigung im Netz nicht nur prominente, sondern fast alle Frauen betrifft – auch abseits von Dating-Portalen.  Schon vor Männerwelten haben es sich die zwei Freundinnen Kim und Caro zur Aufgabe gemacht, dem Thema Belästigung einen Platz in der Öffentlichkeit zu schaffen. In einer TRU DOKU erzählen die beiden, wie sie 2019 ihren Instagram Account @antiflirting starteten. Aus einer ursprünglich privaten Sammlung an Screenshots von Caro und ihren Freundinnen sei letztlich die Idee entstanden, Erfahrungen weiterer Frauen zu sammeln und zu veröffentlichen. „Höhepunkt waren etwa 200 Nachrichten am Tag. Zum Schluss hin hatten wir so viele Einsendungen, dass es ungefähr eineinhalb Monate gedauert hat, bis ein Posting, das wir gesendet bekommen haben, überhaupt online gegangen ist“, erzählen die beiden. Ende November 2019, mit ungefähr 500 geteilten Beiträgen, dann ein herber Rückschlag für die Freundinnen: Instagram ließ ihren Account aufgrund von Verstößen gegen die Richtlinien sperren. Davon ließen sie sich aber nicht aufhalten: Mittlerweile ist ihr zweiter Account @antiflirting2 online und zählt mehr als 80000 Follower. Im Interview mit Vice sagt Kim, dass es ihnen nicht darum gehe, auf einzelne Menschen aufmerksam zu machen, sondern auf „das ganze übergriffige System“. Auf ihrem Profil erklären beide, dass sie einen „Safe-Space“ schaffen wollen, in dem jeder über seine Erfahrungen sprechen könne – egal welches Geschlecht die Person hat. Um nicht wieder gesperrt zu werden, achten die beiden jetzt noch mehr darauf, Bilder ordentlich zu verpixeln, Triggerwarnungen zu setzen und Wörter wie „ficken“ beispielsweise so zu zensieren, dass der Instagram-Algorithmus sie nicht erkennt. „Wir werden nicht aufgeben und jetzt antiflirting2 machen. Wenn wir mit antiflirting2 gesperrt werden, dann kommt antiflirting3 und vier und fünf und sechs und wenn es eben weitergehen muss bis antiflirting300-whatever.“, erzählt Caro in der Doku.

 Der Account antiflirting2 bietet allen Opfern sexueller Online-Belästigung die Möglichkeit, ihre Erlebnisse anonym zu teilen. Quelle: Screenshots Instagram @antiflirting2.

Von antiflirting2 hatte Malie* bisher noch nichts gehört. Doch die 21-Jährige erzählt, dass auch sie schon Opfer sexueller Belästigung im Internet geworden ist. „Ich konnte das, was da passiert, zunächst gar nicht richtig einordnen.“ Ihr schrieb der beste Freund ihres Ex-Partners: „Dadurch, dass wir uns privat im echten Leben kannten und es nicht irgendein Internet-Fremder war, habe ich anfangs darüber hinweggesehen. Er schrieb mir meist, wenn er betrunken war. Anfangs waren es nur unangebrachte Nachrichten wie ‚Hast du Bock?‘ oder Emojis, die auf Sex anspielten.“ Aus Textnachrichten wurden Bilder und Malie konnte das, was passierte, nicht weiter ignorieren. „Texte kann man ja noch überlesen, aber die Bilder gingen zu weit“, sagt sie. „Erst waren es Bilder von ihm im Bett, die er mir über Snapchat gesendet hat.“ Er sei zwar bedeckt gewesen, aber durch seine Pose und die Umrisse sei seine Intention klar gewesen. „Irgendwann kamen dann unverhüllte Bilder. Dickpics. Auf meine Bitte hin aufzuhören, kam wieder nur dieselbe Aussage ‚Dachte du hast Bock‘.“ Letztlich blockierte Malie ihn. „Er hatte zu dem Zeitpunkt auch eine feste Freundin. Mit ihr ist er bis heute zusammen.“ Sie fragt sich, ob solchen Personen nicht einmal selbst der Gedanke kommt, dass solche Nachrichten unangebracht und vor allem unerwünscht sind. Sie weiß es nicht.

Als Begründung für seine unangebrachten Nachrichten fielen Malies Bekanntem nur Aussagen wie „Dachte du hast Bock“ ein. Quelle: privat.

Boah toll, ein Dickpic!

Dickpics: zu deutsch: Penisbilder. Wie Malie haben auch 46 Prozent aller befragten Frauen im Alter von 18 bis 36 laut einer Umfrage von YouGov schon einmal ein solches Bild erhalten – neun von zehn Befragten ungewollt. Von den befragten Männern gaben hingegen 22 Prozent zu, schon einmal ein Bild ihres Penis’ versendet zu haben. Fünf Prozent beichteten, nicht danach gefragt worden zu sein. Auf die Frage hin, mit welchen Adjektiven sie die Bilder beschreiben würden, fanden lediglich 14 Prozent der Frauen ein solches Bild sexy – im Gegensatz dazu waren es 44 Prozent bei den Männern. Mehr als die Hälfte, ganze 58 Prozent der Frauen, beschrieben die Bilder jedoch als ekelhaft. Da sich vermutlich die Mehrheit der Frauen noch nie über ein ungewolltes Penisporträt gefreut hat, bleibt die Frage nach dem Warum. Warum versenden Männer Bilder ihres Penis’, vor allem wenn sie nicht danach gefragt wurden? Barbara Krahé, Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam, forscht zu dem Thema. Im Interview mit dem Spiegel sagt sie, dass Männer, die das Bedürfnis hätten, Bilder von ihrem Geschlechtsteil zu versenden, ein Problem mit ihrer Männlichkeit haben. „Der Penis, die eigene sexuelle Potenz, gilt traditionell und deshalb bei vielen als der absolute Inbegriff der Männlichkeit.“ Die Männer hätten das Bedürfnis, Macht auszuüben. Den meisten sei es bewusst, dass die Empfängerinnen diese Bilder nicht schön fänden. „Es trotzdem zu machen, bedeutet Mut, Dominanz“, sagt die Expertin. Was den meisten Männern vermutlich gar nicht bewusst ist: Das Versenden von unerwünschten Dickpics ist strafbar. Nach Paragraph 184 Strafgesetzbuch gilt die „unerlaubte Verbreitung pornografischer Schriften“ als Straftat – dazu zählen auch Dickpics, wie netzpolitik.org berichtet. Mit der Seite dickstinction.com haben Jurist Moritz Krüsselmann und viele weitere Beteiligte eine öffentlich zugängliche Seite geschaffen, mit deren Hilfe Betroffene schnell ein Anschreiben an die Staatsanwaltschaft verfassen können, welches bei jeder Polizeistelle abgegeben oder per Post versendet werden kann. 

Vierzig Prozent der befragten Frauen haben schon mal ein unerwünschtes Penisporträt geschickt bekommen. Die meisten sind zu diesem Zeitpunkt keine 25 Jahre alt. Quelle: Grafik frei nach Untersuchungsergebnissen von YouGov July 12 – September 8 2017.

„Wir Frauen haben die Verantwortung, am Problem mitzuarbeiten“

Laura, 20 Jahre alt, hat genau wie Malie und Lena schon Belästigung im Netz erfahren. Ein Dickpic angezeigt hat aber auch sie noch nicht. „Ich finde erotische Bilder oder Nacktfotos an sich überhaupt nicht schlimm. Dafür muss aber beidseitiges Einverständnis vorhanden sein. So etwas ist legitim, wenn man eine gewisse Bindung zum anderen hat.“ Auch sie hat schon erotische Bilder von sich verschickt. Die schlimmste Erfahrung, die sie bisher gemacht hat, war mit einem völlig Fremden, der sie auf der Plattform Snapchat als Freundin hinzufügte. „Als er mir immer wieder unangebrachte Nachrichten und Dickpics geschickt hat, habe ich ihm geschrieben, wie asozial ich das finde“, erzählt sie. „Eine Weile lang kam dann gar nichts mehr, bis mich eine Nachricht erreichte, die zunächst wie ein Bild aussah.“ Es war jedoch kein Bild. Laura bekam ein Video ohne Ton, jedoch mit Untertitel. Der Text: „Ich will dich.“ Der Inhalt des Videos: Nicht jugendfrei. „Das krasseste Gefühl war, dass ich ihn anfangs nicht blockieren wollte. Mir kam es vor, als würde ich das Problem damit nur von mir persönlich wegschieben. Er würde mir zwar nicht mehr schreiben, aber vielleicht anderen.“ Nach dem Video, sagt sie, habe sie ihn letztlich doch blockiert. Bis heute weiß sie nicht, wer ihr diese Nachrichten geschickt hat, weder der Nutzername noch das Bitmoji (Personalisiertes Emoji, das den Nutzer darstellt Anm. d. Red.) kamen ihr bekannt vor. Ihre Profile auf Instagram und Snapchat sind dennoch öffentlich. „Es ist nicht meine Verantwortung, meine Profile privat zu stellen, um nicht belästigt zu werden.“  Sie sieht sich als Frau jedoch in der Verantwortung, über das Thema zu sprechen, es an die Öffentlichkeit zu bringen. „Ich teile viele Dinge, die ich persönlich wichtig finde oder rede im Familien- und Freundeskreis darüber. Das ist meine Art, sozialpolitischen Themen öffentlichen Raum zu geben. Außerdem helfe ich in einem Frauenhaus. Wir sind eine Anlaufstelle für Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Bei uns finden sie jemanden zum Reden oder jemanden, der ihnen einfach nur zuhört.“

Der Wunsch nach Veränderung

Lena, Malie und Laura haben alle eines gemeinsam: den Wunsch nach Veränderung. Drei junge Frauen, die dem Thema sexuelle Belästigung im Netz eine Stimme geben wollen und alle der Meinung sind, dass die Gesellschaft endlich offener darüber sprechen muss. Solange Frauen aufgrund ihres Geschlechts sexualisiert und sexuell belästigt werden, kann es keine Gleichberechtigung geben. Mehr Offenheit und Verständnis den Opfern gegenüber wünscht sich insbesondere Malie: „Sprüche wie, ‘Hab dich nicht so’ oder ‘Das passiert doch jedem Mal’ sind das Schlimmste.“ Alle sind sich einig, es reicht heutzutage einfach, als Frau zu existieren, um Gefahr zu laufen, sexuell belästigt zu werden. Auch Caro und Kim wollen mit antiflirting2 die Öffentlichkeit erreichen. Denn die traurige Wahrheit ist: Solange die Gesellschaft wegsieht, wird sich an alltäglicher sexueller Belästigung im Internet nichts ändern.

*Name geändert.

Anlaufstellen/Hilfe bei sexueller Belästigung

Bist du schon mal Opfer sexueller Belästigung geworden und brauchst Hilfe?  Hier findest du Hilfe und Beratung:

Beratung zu sexueller Belästigung/Gewalt: https://frauenhorizonte.beranet.info/startseite.html

Für Opfer sexueller Gewalt, Hilfetelefon des Bundesamts für Familie Tel: 08000 116 016 Unerwünschte Dickpicks könnt ihr mit Hilfe dieser Seiten anzeigen: 

  • dickstinction.com oder in der App „dickstinction“ erhältlich im Apple Store & Google Playstore -> erstellt eine Strafanzeige in unter einer Minute

Beratung, sowie die Möglichkeit Vorfälle sexueller Onlinegewalt zu melden, findet ihr hier: 

Text: Ariana Bešić | Titelbild: Melanie Rothe | Bildergalerie: Screenshots Instagram @antiflirting2 | Screenshot Chatverlauf: privat. | Grafik frei nach Untersuchungsergebnissen von YouGov July 12 – September 8 2017.

<h3>Ariana Bešić</h3>

Ariana Bešić

ist 21 Jahre alt, gebürtige Mannheimerin mit bosnischen Wurzeln und studiert derzeit im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. 2019 war sie Ressortleitung für den Bereich Campus, seit 2020 für das Ressort Gesellschaft. Zu ihren persönlichen Interessen zählen unter anderem die Leidenschaft für Bücher, Rock'n'Roll und die internationale Popkultur.