Nach über zehn Jahren Wartezeit hat die Bundesregierung einen ersten Gesetzesentwurf für die Sicherheitsbranche vorgelegt. Kann das neue Gesetz die Erwartungen erfüllen und somit die kommenden Probleme der nächsten Jahre bewältigen?
Probleme der Branche
Ob beim Einkauf im Supermarkt, die Ticketkontrolle in der Bahn oder die Einlasskontrolle am Wochenende im Club: Überall im Alltag begegnen wir Sicherheitskräften und sind auf ihre Ausbildung und Zuverlässigkeit angewiesen. Über die Probleme der Branche hatte medienMITTWEIDA schon im letzten Semester berichtet. Markus Becker, Geschäftsführer eines Chemnitzer Sicherheitsunternehmens, fasst die Herausforderungen wie folgt zusammen: „Die jetzigen Gesetze und Vorgaben werden schon nicht eingehalten, weil die Kontrollen der Behörden fehlen und somit die Unternehmen bestraft werden, die sich an alle Gesetze halten, weil sie natürlich höhere Preise verlangen müssen.” Das Bundesministerium des Innern und für die Heimat (BMI) erklärt, dass sie mit dem neuen Gesetz einheitliche Regelungen für das Sicherheitsgewerbe schaffen möchten und insbesondere die Sicherheitsstandards an die gestiegenen Anforderungen anpassen wollen.
Was verspricht das neue Gesetz?
Neben den herkömmlichen Bildungswegen wie Ausbildung und Studium bietet die Sicherheitsbranche eine zusätzliche Qualifikation. Diese ermöglicht es, verschiedene Berufe wie Türsteher oder Ladendetektiv auszuüben. Die Sachkundeprüfung wird von der Industrie- und Handelskammer (IHK) durchgeführt. Um die Prüfung zu bestehen, muss man zunächst einen Multiple-Choice-Test absolvieren und anschließend eine mündliche Prüfung ablegen. Ein einwöchiger Lehrgang, der zwar empfohlen, aber nicht verpflichtend ist, bereitet auf diese Prüfung vor. Diese Qualifizierung wird durch den neuen Gesetzesentwurf nicht grundlegend verändert, sondern nur in Fachkundeprüfung umbenannt. Florian Horn ist seit beinahe einem Jahrzehnt als Sicherheitsmanager tätig und berät Unternehmen sowie Einrichtungen in sämtlichen Sicherheitsbelangen. Darüber hinaus führt er einen eigenen Podcast, in dem er regelmäßig über Sicherheitsaspekte und die Branche spricht und berichtet. Er sieht gegenüber medienMITTWEIDA mehrere Aspekte: „Das Problem ist, dass ich in Deutschland diese Sachkundeprüfung und zukünftigen Fachkundenachweis einmal ablegen muss. Danach wird dieser Nachweis nie wieder gefordert und ich kann tatsächlich in allen Bereichen tätig werden. Das bedeutet, dass man über Jahrzehnte in einer stetig wandelnden Branche arbeiten kann, ohne sich regelmäßig weiterbilden oder überprüfen zu müssen.“ Außerdem erklärt er die Bandbreite der möglichen Tätigkeiten: „Dort finden wir von der klassischen Objektbewachung bis hin zu Veranstaltungsbegleitungen, alles wobei Veranstaltungen nochmal untergliedert werden müssen. Das können Firmenweihnachtsfeiern mit 20 Mann bis hin zur wirklichen Großveranstaltung sein, wo ich sehr wahrscheinlich mit einer ganz anderen Bedrohungslage umgehen muss. Am Ende des Tages darf ich mit dieser Sachkundeprüfung alles tun.”
In der Prüfung wird nur theoretisches Wissen zum Umgang mit Menschen und dem rechtlichen Rahmen vermittelt. Das praktische Know-how, wie zum Beispiel “Deeskalation, Eingriffstechniken, Brandschutz und Evakuierung muss durch regelmäßige Weiterbildungen der Unternehmen gewährleistet werden”, erklärt Geschäftsführer Markus Becker. Das gestaltet sich oft schwierig, weil die meisten Tätigkeiten der Sicherheitsbranche immer noch im Niedriglohnsektor stattfinden und somit oft das Geld fehlt, um Weiterbildungen durchzuführen, erläutert Markus Becker. Florian Horn zieht ein ernüchterndes Fazit: „Der Gesetzesentwurf ist sehr enttäuschend und da spreche ich, denke ich, für viele in der Branche.” Auf die Frage, welche großen Veränderungen der neue Entwurf enthält, antwortet er: „Es wäre einfacher, diese Frage zu beantworten, wenn die Frage gelautet hätte: Was sind denn überhaupt Veränderungen in diesem Gesetzesentwurf?” Er beschreibt den Gesetzesentwurf als „in Teilen wortwörtlich abgeschriebenen Text” der bisherigen Verordnungen.
Dadurch entstehen dieselben Probleme, die schon derzeit in der Branche herrschen. Florian Horn bestätigt, dass viele Gesetze nicht eingehalten werden und Kontrollen fehlen. Er meint, dass “diese Probleme immer verniedlicht und individuell als Schwarze Schafe abgetan werden.“
Wer sind die schwarzen Schafe?
Das Image der Sicherheitsbranche ist vorrangig geprägt vom Türsteher-Milieu und wird regelmäßig mit Skandalen und Verbindungen zur organisierten Kriminalität assoziiert. Markus Becker berichtet, dass man in Chemnitz vorrangig mit Neonazis in der Branche zu tun hat. Er ist immer wieder verwundert, wie viele bekannte und vorbestrafte Neonazis unbehelligt in aller Öffentlichkeit mit Handschellen und Schlagstöcken durch Einkaufszentren streifen. „Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Kunden, die uns ihre Sicherheit anvertrauen. Fehlende Professionalität, Grenzüberschreitungen gegenüber Frauen, rassistische Äußerung gegenüber Migranten oder sogar Machtmissbrauch sind die Ursachen. Es wird zu oft unnötige Gewalt statt Deeskalation angewendet“, beobachtet Markus Becker regelmäßig während seiner Arbeit und bekommt dieses Feedback von neuen Auftraggebern, die sich aus diesen Grund an ihn wenden. Florian Horn sieht die Verantwortung auch bei den Kunden. „Letztendlich muss der Kunde aus meiner Sicht die Anforderungen stellen, was er für Personal haben möchte. Am Ende des Tages muss er es verantworten“. Dabei stehen seiner Meinung nach auch die finanziellen Beweggründe im Vordergrund. „Der Dienstleister kann nicht die Hoffnung haben, dass ich dann irgendwann mal einen Kunden finde, der mir meinen Stundensatz bezahlt. Sondern der Dienstleister wird, und das kann man ihnen nicht vorwerfen, genau so viel machen, was der Kunde von ihm fordert.“
Wo liegen die Ursachen?
Florian Horn bringt einen weiteren Aspekt hervor: „Ich glaube, bei diesem Kontext darf man nicht vergessen, dass der größte Auftraggeber der Sicherheitsbranche der Staat ist.” Er erklärt , “ wenn ich der größte Auftraggeber bin und gleichzeitig auch noch die Vorgaben für meine Dienstleister mache, dann bedeutet das natürlich im Umkehrschluss auch, dass jede härtere Vorgabe, die ich mache, sich auf den Preis auswirkt. Vor allem wissen wir, dass der öffentliche Auftraggeber immer nach dem Preis ausschreibt.“ Markus Becker meint dazu: „Man bekommt das Gefühl, dass die Ampel nur einen weiteren Punkt aus ihrem Koalitionsvertrag abarbeiten will, ohne sich intensiv mit Folgen auseinanderzusetzen.“ Es wird noch eine Weile dauern, bis der Gesetzesentwurf im Bundestag landet und solange können wichtige Punkte noch geändert werden. Ob die Sicherheitsbranche und zivilgesellschaftlichen Akteure ausreichend Einfluss haben, um dies zu bewirken, wird sich zeigen. Florian Horn zieht als Fazit: „Es ist enttäuschend, und wenn der Entwurf durchkommt und in diese Form verabschiedet wird, dann werden sich sehr wahrscheinlich die Probleme, die wir haben, auch in den nächsten zehn, 20, 30 Jahren nicht ändern.“
Text & Titelbild: Emin Aiche