Social Media

Die Hölle im Internet

von | 7. Januar 2022

Hass, Body Shaming und Wut. Soziale Medien erlauben alles, solange die Nutzerzahlen stimmen – ein Kommentar.

Katzenfotos, motivierende Zitate von der entfernten Bekanntschaft, die etwas zu viel Zeit mit Selbsthilfe-Büchern verbringt, Selfies am Strand oder die etwas merkwürdigen Posts von dem einen Cousin, den bei Familienfeiern niemand erwähnt. Das ist die harmlose und manchmal etwas banale Oberfläche der Sozialen Medien. Doch darunter liegen Abgründe aus Hetze, Beleidigungen und Neid. Abgründe, die den Unternehmen Klicks und Einnahmen bringen.

Der im September veröffentlichte Artikel The Facebook Papers des Wall Street Journals zeigt einmal mehr, dass Facebook, Twitter und Co. die Welt nicht ohne ein angefügtes Preisschild zusammenbringen.
Ein Preis, der nicht durch Geld, sondern mit Emotionen bezahlt wird. Ausraster, rassistische Kommentare und Body-Shaming sind der Alltag, wenn man sich in sozialen Netzwerken bewegt. Dabei sieht es nicht so aus, als wäre eine Verbesserung in Sicht. Denn häufig widersprechen sich Moral und Geschäft. Und das Geschäft gewinnt.

 

Vorurteile und Anfeindungen leicht gemacht

Wer vor der Zeit sozialer Medien Hassreden geschwungen hat, fand meist nur eine Zuhörerschaft, die gerade so an den Stammtisch der Eckkneipe gepasst hat. Doch wenn Millionen Menschen auf einer Plattform zusammenkommen, findet sich für jede Meinung und sei sie noch so unbeliebt eine Gruppe Gleichgesinnter.

Antisemitismus ist kein neues Phänomen, genauso wenig wie Fremdenfeindlichkeit. Doch in den Sozialen Medien blühen sie gerade zu auf. Rechtsradikale und andere Extremisten verbreiten ihre Botschaften mehr oder weniger ungehindert in den Netzwerken. Dabei beschränken sie sich schon lange nicht mehr auf rein verbale Botschaften. Suggestive Bilder, die nicht offen gegen Gesetze oder Regeln verstoßen, gehören inzwischen genauso zum Repertoire wie offene Drohungen.

Und so finden sich unter abartigen Hashtags wie #JewWorldOrder oder #Hitlerwasright tausende Menschen zusammen, um Ideen zu feiern, die schon lange der Vergangenheit angehören sollten. Gerade TikTok und Instagram bringen junge Menschen mit diesen Inhalten in Kontakt.

Kläglich dagegen: Die Bemühungen der Tech-Unternehmen, diese Inhalte zu unterbinden. Gerade einmal drei bis fünf Prozent der Posts, die unter die Kategorie „Hate-Speech” fallen, werden laut der ehemaligen Facebook Mitarbeiterin Frances Haugen tatsächlich erfasst und geahndet.

Aber warum ist das so? Inkompetenz oder doch fehlender Wille? Einerseits ist es schwer, Hassbotschaften durch automatisierte Prozesse zu erkennen. Nicht alle Inhalte sind sofort an den Texten zu erkennen. Oft bestehen Posts nur aus Bildern und sind damit schwieriger zu analysieren. Andererseits sind die Teams, die sich um solche Botschaften kümmern sollen, oft unterbesetzt. Im Fall von Facebook´s Civic Integrity Team sogar zeitweise nicht existent. Eine ungesunde Mischung aus Unwilligkeit und Unfähigkeit. Es fehlt an technischen Lösungen für die Problematik und die Unternehmen sind nicht bereit, mehr Personal zu bezahlen. Die Prioritäten müssen sich verschieben. Weg von reinem Profit, hin zu sicheren Plattformen. Solange das nicht geschieht, werden Hetze und idiotische Weltanschauungen weiterhin unsere Feeds füllen.

 

“Social media is emboldening people to cross the line and push the envelope on what they are willing to say to provoke and to incite”

„Soziale Medien ermutigen die Menschen, Linien zu überschreiten und die Grenzen dessen, was sie zu sagen bereit sind, zu dehnen, um zu provozieren und aufzuhetzen.“

Jonathan Albright, research director at Columbia University’s Tow Center for Digital Journalism

Algorithmen – Automatisch und kontrovers

In ihrem Interview mit CBS, einem der größten amerikanischen Fernsehsender, spricht Frances Haugen auch über den Facebook Algorithmus. Dieser entscheidet, welche Inhalte die Nutzer zu sehen bekommen. In der Theorie sollen so Inhalte gepusht werden, die besonders interessant und wichtig für uns sind. Was wollen Facebook, TikTok und Co damit erreichen? Nutzer sollen möglichst lange auf den Plattformen verweilen. Denn wer länger scrollt, sieht mehr Werbung, die verkauft werden kann.

Allerdings soll genau hier laut Facebook Mitarbeitern das Problem liegen. Der Algorithmus gewichtet die Reaktionen auf Inhalte. Ein Like wird einfach bewertet. Das Wütend-Emoji dagegen mit dem Wert Fünf. Ein langer Kommentar kann sogar bis zu 30 mal stärker als ein Like gewichtet werden. Diese Wertung bevorzugt Posts, welche starke Emotionen wie Furcht oder Zorn wecken.

Schließlich wird kaum jemand einen Roman in Kommentarform unter dem Urlaubsfoto von Tante Ursula an der französischen Riviera hinterlassen. Die wirren Posts des früheren Schulfreunds über die flache Natur der Erde dagegen können schnell zu hitzigen Diskussionen mit massenhaft Kommentaren führen. Verglichen mit diesen harmlosen Beispielen, fallen die Reaktionen bei Themen wie Covid-19, Immigration und Hetze noch deutlich stärker aus. Was dem System suggeriert: Jeder muss diese Inhalte sehen.

Mitarbeiter von Facebook waren sich dieses Problems wohl bewusst und haben Änderungsvorschläge eingereicht. Sie wollten die Gewichtungen für Interaktionen und wie der Algorithmus darauf reagiert ändern. Mark Zuckerberg und andere leitende Persönlichkeiten wollten davon allerdings nichts hören. Sie befürchteten einen Einbruch in den Nutzerzahlen. Einmal mehr wird klar: Sicherheit und Moral sind keine Prioritäten, solange wir brav weiterscrollen.

Body Image – Selbstwert adé

Der letzte Besuch im Fitnessstudio liegt schon so lange zurück, dass er schon fast unter die Kategorie der antiken Geschichte fällt und die Schminkutensilien sammeln seit Beginn der Pandemie Staub im Badezimmer. Auch die Jeans, die man vor einigen Jahren gekauft hat, schneidet unangenehm in die Extra- Pfunde. Woran auch immer es liegen mag, viele Menschen sind mit ihrem Aussehen und Leben unzufrieden. Besonders im Vergleich zu Anderen.

Doch während man den gutaussehenden Nachbarn auch mal in Jogginghose sieht, während er sich an Stellen kratzt, die eher selten das Licht sehen, werden auf Plattformen wie Instagram nur ausgewählte Momente gezeigt. Ein Vergleich mit ständiger Perfektion, den niemand gewinnen kann. Dazu kommen Memes und Videos, die zwar lustig sein sollen, dabei aber immer wieder suggerieren: Wer nicht dem Schönheitsideal entspricht, gilt als Witzfigur.

Besonders junge Mädchen scheinen davon betroffen zu sein. Zumindest zeigen das interne Untersuchungen bei Instagram, welche lange geheim gehalten wurden. Laut den Forschern sagten rund 32 Prozent der befragten jungen Mädchen, dass sie sich schlechter wegen ihres Körpers gefühlt hätten, nachdem sie Instagram genutzt haben.

Doch auch als Mann ist das Body-Image nicht immer ein angenehmes Thema. Wer sieht schon gerne die nicht enden wollende Flut an Tinder-Screenshots unter denen sich Frauen über diejenigen unter uns lustig machen, die leider nicht ganz einen Meter achtzig groß sind? Oder deren einziges Sixpack aus dem Supermarkt stammt. Von Haarausfall und den Kommentaren dazu ganz zu schweigen.

Reagieren Facebook und Instagram an dieser Stelle besser, als beim Thema Algorithmen? Nein, im Gegenteil. Echte Lösungsvorschläge von Wissenschaftlern innerhalb der Firma? “Nein, danke.”, sagen Entscheidungsträger bei Facebook. Zielführende Ideen, wie eine niedrigere Gewichtung für Posts von Influencern und Stars, werden abgeschmettert. Sie widersprächen dem Kern von Instagram. Stattdessen werden Lösungsvorschläge umgesetzt, von denen intern bekannt war, dass sie nur wenig oder gar keine Wirkung zeigen. Zum Beispiel die Möglichkeit, Likes unter Instagram Posts zu verstecken. Warum? Es erweckt den Eindruck, Instagram kümmere sich um seine Nutzer. Das Image ist alles.

 

Es ist Zeit, Initiative zu ergreifen

Wenn man sich die wiederkehrenden Probleme mit sozialen Medien ansieht, wird eines immer wieder klar. Moralische Fragen, die es zu beantworten gilt, müssen immer wieder hinter Profitinteressen zurückstehen. Denn genau die Elemente, die für gute Nutzerzahlen sorgen, schaffen auch die Probleme. Ein Interessenkonflikt, der scheinbar kaum durch die Unternehmen zu lösen ist. Auch die Politik wirkt bisher ratlos. Der U.S. Senat und auch das EU-Parlament haben Funktionäre wie Mark Zuckerberg zwar schon mehrmals vorgeladen, doch die Ergebnisse lassen auf sich warten.

Wenn Politik und Wirtschaft scheitern, ist es auch an uns Nutzern, die Hölle von Social Media umzugestalten. Wir können die Algorithmen nicht ändern. Wir können nicht verhindern, dass Menschen Hass verbreiten oder sich über vermeintlich weniger schöne Menschen lustig machen.

Trotzdem haben wir Optionen. Wir können aufhören, mit negativen Posts zu interagieren. Und wenn wir denken, wir müssen den Inhalt teilen, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken? Ein Screenshot in einem neuen Post schafft Aufmerksamkeit ohne den Algorithmus zu füttern.

Wir können ändern, wem wir folgen. Vielleicht ist es an der Zeit, den Influencer auszusortieren, der ständig fragwürdige Inhalte verbreitet.

Vielleicht ist es auch an der Zeit, unseren Social Media Konsum zu reduzieren. Oder gar ganz einzustellen.

Egal ob uns die Optionen gefallen oder nicht, sie sind allemal besser als eine Zukunft ohne Veränderung.

 

Text: Stefan Schlosser, Titelbild: Sonya Romanovska unsplash.com
<h3>Stefan Schlosser</h3>

Stefan Schlosser

ist 29 Jahre alt und studiert derzeit im 6. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert er sich seit dem Sommersemester 2022 als Ressortleiter Medien.