Spaß am Unglück der anderen

von | 21. September 2010

21.09.11 08:00 Uhr | In der heutigen Ellbogengesellschaft scheinen echte Freunde rar geworden zu sein. Da wir uns trotzdem über unsere witzigen oder sündhaften Erlebnisse austauschen wollen, ist es ein Trend geworden, Geschichten mit der Internet-Community zu teilen. Entsprechende Plattformen boomen und werden immer beliebter.

Wer 0.24 Uhr in angeheitertem Zustand seiner Partnerin in einer SMS mitteilt, dass er unterwegs nach Hause ist, sein Rad aber einen Platten hat, ist mit seiner Kurznachricht genau richtig auf „SMSvonGesternNacht.de„. Zumindest, wenn ihm zwei Minuten später seine Freundin antwortet: „Soso, also für mich sieht es so aus, als würdest du grade noch Drinks bestellen! Winke, winke…“

Seiten, auf denen Nutzer anonym ihre angeblich witzigsten Momente – wie zum Beispiel die im Vollrausch gesimste Kurznachricht – präsentieren können, sind Trend. „Im Nachhinein betrachtet, wäre es uns wohl ohne unsere Facebook-Präsenz deutlich schwerer gefallen, auf uns aufmerksam zu machen. Damals war die Stimmung gegenüber ‚Facebook‘ noch positiver und die Leute likten fröhlich vor sich hin. So kam es, dass wir innerhalb einer Woche schon über 1000 Fans hatten“, berichtet die Mitbetreiberin der Kultplattform „SMSvonGesternNacht.de“, Anna Koch. „Dieser Trend hat sich bis heute gehalten, es werden immer und immer mehr, denen wir ‚gefallen'“, freut sich Koch.

Online beichten und damit unterhalten

Ähnliche Seiten gibt es viele: Portale wie „Beichthaus.com„, „Kollegen aus der Hölle“ oder auch „Kunden aus der Hölle“ locken tausende Nutzer mit anonymen aber echten Geschichten – und das mit Erfolg. Es gibt viele ähnliche Seiten, die allesamt einen gewissen Unterhaltungswert bieten. „Wir wollten etwas machen, dass die User kurzweilig unterhält und uns selbst auch Spaß macht“, erklärt auch Anna Koch medienMITTWEIDA die Idee für die Seite. Etwas ähnliches erzählt auch Robert Neuendorfer, der Betreiber von „beichthaus.com“. Er kam auf die Idee zu seiner Website, als ihm Freunde und Kollegen witzige Geschichten aus ihrem Privatleben erzählten, die er doch aber bitte für sich behalten sollte. „So startete ich ‚beichthaus.com‘ und erzählte meinen Freunden und Kollegen von dieser Website, auf der man anonym beichten kann“, erklärt Neuendorfer medienMITTWEIDA. Seine Plattform-Idee versucht er unter der Adresse „Sinr.com“ auch auf Englisch bekannt zu machen.

Je unterhaltsamer die Einträge, desto mehr Leute zieht die Webseite an. Auf den Plattformen „SMSvonGesternNacht.de“ und „Beichthaus.com“, die seit 2009 und 2004 existieren, werden deswegen die Beiträge vor Veröffentlichung auf ihren Unterhaltungswert geprüft und abgeschätzt, ob die eingeschickten Beiträge sich wirklich so ereignet haben könnten. „Es ist uns wichtig, dass die SMS echt sein könnte, eine andere Möglichkeit zur Kontrolle haben wir nicht. Darüber hinaus sollen die Beiträge originell sein, witzig oder anrührend, kurzum besonders“, berichtet Anna Koch.

Die Nutzer können nach einer etwas überstürzten Eintragung ihrer SMS diese auf Anfrage auch wieder löschen lassen. „Es kommt zwar nur selten vor, aber manchmal schreiben uns Leute und bitten uns SMS wieder von der Website zu nehmen. Das machen wir immer umgehend, denn es ist wichtig, dass diese Intimitäten im gegenseitigen Einverständnis geteilt werden. Sonst hört der Spaß schnell auf“, erklärt Anna Koch weiter. Neben dieser Möglichkeit weisen die Betreiber aber auch ausdrücklich darauf hin, vor der Veröffentlichung keinerlei Daten, die auf sie oder mitwirkende Personen hinweisen könnten, abzuschicken. „Das Internet vergisst nichts. Selbst wenn wir einen Text wieder löschen, ist dieser bereits im Netz verbreitet“, kommentiert Neuendorfer.

Seitenbetreiber sind oft anonymer als Nutzer

Die Option der Löschung scheint aber nicht auf allen Seiten gegeben zu sein. Auf den Seiten von „AusderHölle.de“ sind zum Beispiel keinerlei AGBs verzeichnet. Auf Reaktionen auf die angegebene Kontaktmöglichkeit warten Nutzer oft vergeblich. Während auf den Seiten „Beichthaus.com“ und „SMSvonGesternNacht.de“ ein anonymes Formular eingeschickt werden kann, ist die Einsendung auf „Aus der Hölle“ nur per Email möglich. Somit ist der Nutzer gegenüber dem Betreiber alles andere als anonym.

Portale wie „beichthaus.com“ oder „SMSvonGesternNacht.de“ sind Hobby-Projekte. Die Anzeigenerlöse sind gering, Geld verdienen die Betreiber kaum. Außer in Buchform: Die Macher von „SMSvonGesternNacht.de“ haben zusammen mit dem „Rowohlt Verlag“ bereits im Dezember 2010 ein Best-Of-Taschenbuch aller Einträge veröffentlicht. Dabei kam der Verlag selbst auf die Seitenbetreiber zu. „So haben unsere SMS eine weitere Reise angetreten, aus dem Kopf zum Handy, zur Website und nun auch zum Buch“, freut sich Koch. Im Dezember erscheint mit „Ist meine Hose noch bei euch“ schon das zweite Taschenbuch von „SMSvonGesternNacht.de“. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt erscheint das erste Buch der „Kunden aus der Hölle“.

<h3>Stephanie Knobus</h3>

Stephanie Knobus