Abstammungsrecht

Einmal neu, bitte!

von | 8. Dezember 2023

Queere Eltern sind keine schlechteren Eltern. Warum das Abstammungsrecht endlich geändert werden muss. Ein Kommentar.

Dank der Ehe für alle haben wir endlich alle die gleichen Rechte! Oder? Zumindest was das Abstammungsrecht angeht, gibt es in Deutschland noch einiges nachzuholen, bis Regenbogenfamilien gleichgestellt sind. Aber vielleicht tut sich ja jetzt etwas?

Die Situation für lesbische Eltern, die verheiratet sind und ein Kind zusammen bekommen, ist von Unsicherheit geprägt. In der Geburtsurkunde eines Kindes, das in eine lesbische Ehe geboren wird, wird lediglich die gebärende Person als Elternteil eingetragen. Das Feld für einen zweiten Elternteil bleibt leer. „Bei Frauenpaaren kann bislang etwa die rechtliche Elternschaft der ‚nicht gebärenden Mutter‘ nur über eine (Stiefkind-)Adoption erreicht werden“, heißt es im Aktionsplan „Queer Leben“ der Bundesregierung. Bis so eine Stiefkindadoption geschafft ist, können laut Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) 6 bis 18 Monate vergehen. Zeit, in der das Kind rechtlich nur einen Elternteil hat. Im Aktionsplan wurde angekündigt, diese Situation durch eine Modernisierung des Abstammungsrechts zu verbessern.

Fehlende Aktion in der Bundesregierung

Das Ganze ist nun über ein Jahr her. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, in dem bereits die Reform des Abstammungsrechtes niedergeschrieben wurde, ist bereits zwei Jahre alt. Einige queere Themen, die sich die Bundesregierung vorgenommen hat, sind inzwischen in Bearbeitung. Da ist zum Beispiel die Aufhebung des Blutspendeverbotes für Männer, die Sex mit Männern haben. Oder das Selbstbestimmungsgesetz, welches trans Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen soll. Beim Abstammungsrecht für Regenbogenfamilien sieht es bisher schlecht aus.

Anfang November 2023 fand im Familienausschuss des Bundestags ein Fachgespräch zur Änderung des Abstammungsrechts statt. Der LSVD, der für die Rechte und Interessen queerer Menschen eintritt, kritisiert in einer Pressemitteilung: „Bisher hat die Bundesregierung weder Eckpunkte noch einen Gesetzentwurf für die versprochenen Reformen vorgelegt.“ Und das, obwohl Justizminister Marco Buschmann (FDP) bereits im Juli 2022 in einem Interview mit der WAZ zuversichtlich war, „dass wir noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf haben werden […].“

Festgefahren in alten Familienmustern

In Deutschland gab es, Stand 2020, etwa 10.000 Regenbogenfamilien, davon 4.000 gleichgeschlechtliche Ehepaare mit minderjährigen Kindern, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt.

Transgeschlechtliche oder nichtbinäre Eltern werden durch das aktuelle Vorgehen unsichtbar gemacht. Sie müssen das Kind, wenn sie es nicht selbst geboren haben, ebenfalls über den Weg der Stiefkindadoption annehmen und sich als „Mutter“ oder „Vater“ eintragen lassen. Der gebärende Elternteil wird außerdem immer die rechtliche „Mutter“ sein, auch wenn die Person beispielsweise ein trans Mann ist. Ein weiteres Vorhaben der Bundesregierung ist laut Aktionsplan deshalb, die Bezeichnung des Elternteils in der Geburtsurkunde diverser zu gestalten. Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt, um trans Menschen vor dem Gesetz und in der Gesellschaft sichtbarer zu machen.

Diskriminierung per Gesetz

Für lesbische Ehepaare gibt es bisher keine gesetzliche Regelung zur gemeinsamen rechtlichen Elternschaft. Die Co-Mutter, die das Kind nicht geboren hat, muss es über den Weg der Stiefkindadoption annehmen. Grundlage sind die Paragrafen 1591 ff. im Bürgerlichen Gesetzbuch, in denen definiert ist, wer Mutter und wer Vater eines Kindes ist. Gleichgeschlechtliche Eltern werden nicht genannt. Als ob es sie nicht gäbe.

Wichtig ist hier zu betonen, dass die Anerkennung der Elternschaft für unverheiratete Paare generell mit mehr Aufwand verbunden ist als für verheiratete. Dabei macht es gesetzlich keinen Unterschied, ob das Paar hetero- oder homosexuell lebt. In einer Ehe zwischen cis-geschlechtlicher Frau und cis-geschlechtlichem Mann wird bei der Geburt eines Kindes jedoch automatisch der Ehemann als Vater des Kindes eingetragen, egal ob er es ist, oder nicht.

cis-geschlechtlich

Die Bezeichnung cis-geschlechtlich, cisgender oder einfach cis beschreibt Menschen, die sich dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, auch zugehörig fühlen. Geschlecht und Gender sind dabei nicht das Gleiche. Es wird zwischen dem biologischen Geschlecht und dem sozialen Geschlecht (Gender) unterschieden. Weder das biologische, noch das soziale Geschlecht ist binär.

Abhängig vom Gutachten des Jugendamtes

Das Adoptionsverfahren an sich stellt eine zusätzliche Belastung für junge Familien dar. Ein Ratgeber des LSVD beschreibt den nervenaufreibenden Vorgang: Zuerst muss ein notariell beurkundeter Adoptionsantrag gestellt werden, der an das Familiengericht übermittelt wird. Bei einer privaten Samenspende muss der Spender der Adoption zustimmen. Nach der Geburt muss zudem die leibliche Mutter zustimmen, das geht allerdings frühestens acht Wochen nachdem das Kind zur Welt gekommen ist. Anschließend fordert das Familiengericht vor seiner Entscheidung eine Stellungnahme vom Jugendamt ein. Das Amt kommt gesondert auf die Familie zu, verlangt Unterlagen und führt einen oder mehrere Hausbesuche durch. Gutachten, Prüfung, Fragen – als ob das Kind dem Paar zufällig in die Hände gefallen wäre.

Das Jugendamt überprüft die Gesundheit der adoptierenden Person, ihre finanzielle Lage, verlangt Auskunft über persönliche Erfahrungen, den Lebenslauf, möglicherweise ein Führungszeugnis. Bei einer Adoption eines Kindes in eine bestehende Familie mag das Sinn machen. Doch wenn ein Kind in eine lesbische Ehe geboren wird und von Tag eins in dieser Familie lebt, ist eine solche Überprüfung der Co-Mutter (die das Kind so oder so mit aufzieht) komplett übertrieben. Regenbogenfamilien berichten von hohem Stress und tiefen Eingriffen in ihre Privatsphäre. In einer WDR-Reportage geben zwei Mütter Einblicke in das Verfahren und sagen: „Das [die Stiefkindadoption] war das höchste, was wir erfahren haben, an Diskriminierung.“

Vorurteile haben in Gesetzen nichts zu suchen

Aber ein Kind braucht doch Mutter und Vater! Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig. Diverse Studien aus Deutschland und anderen Ländern zeigen: Das stimmt nicht. „Im Hinblick auf das Elternverhalten fanden zwar einige Studien Unterschiede zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paaren. Allerdings wiesen diese Unterschiede in der Regel sogar auf eine höhere Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind bei gleichgeschlechtlichen Paaren hin“, heißt es auf der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 

In Regenbogenfamilien werde beispielsweise weniger bestrafendes Erziehungsverhalten genutzt und mehr Wärme und Zuwendung gegenüber der Kinder gezeigt. Vielleicht ergibt das sogar Sinn, bei all den Hürden, die gleichgeschlechtliche Paare bis zum Familienglück überwinden müssen.

Das Berliner Kammergericht und das Oberlandesgericht Celle haben 2021 das Abstammungsrecht als verfassungswidrig angesehen. Die Begründung der Richter*innen aus Celle: Die fehlende gesetzliche Regelung einer „Mit-Mutterschaft“ verletze die mit der Mutter verheiratete Antragstellerin in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Die betroffenen Verfahren wurden ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung übergeben. Das Gericht ist bisher zu keiner Entscheidung gekommen.

Gleichberechtigung sieht anders aus

Die Regierung muss endlich den Gesetzesentwurf für ein diskriminierungsfreies Abstammungsrecht erstellen. Die aktuelle Gesetzgebung macht queere Lebensrealitäten unsichtbar und zwingt Regenbogenfamilien, ein langwieriges Verfahren zu durchlaufen, um als Eltern anerkannt zu werden. Währenddessen sind die Kinder queerer Eltern schlechter gestellt, da sie nur einen rechtlichen Elternteil haben. Passiert diesem Elternteil vor Abschluss der Adoption etwas, so steht das Kind als Waise da, obwohl ein zweiter Elternteil vorhanden ist.

Text, Titelbild: Elisa Leimert

<h3>Elisa Leimert</h3>

Elisa Leimert

ist 23 Jahre alt und studiert derzeit im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA ist sie seit dem Sommersemester 2023 als Ressortleitung Gesellschaft tätig.