Kommentar

Eine Sternstunde für die vierte Gewalt

von | 1. Juni 2019

Der Fall Strache beweist, dass eine Demokratie nur mit unabhängiger Presse funktionieren kann.

Alkohol, eine verschlossene Villa auf Ibiza und eine einflussreiche russische Oligarchin: Diese Szene könnte aus einem Hollywood-Gangsterfilm stammen. In dieser Villa sitzt aber kein Schauspieler, sondern Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ. Er war bis vorletzten Freitag der Vizekanzler von Österreich. Strache stellte einer angeblich russischen Oligarchin illegale Vorteile in Aussicht, sollte sie die FPÖ vor der Parlamentswahl im Jahr 2017 unterstützen. Das alles wurde durch eine geheime Kamera dokumentiert.

Am Freitag, dem 17. Mai um 18:00 Uhr, veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel Auszüge aus einem fünfstündigen Enthüllungsvideo. Wie das Video in die Hände der deutschen Medienhäuser geraten ist, bleibt streng geheim. Fakt ist jedoch, dass dieses Video die Regierung in Österreich erschüttert hat. Als Konsequenz zog sich zuerst Strache aus seinen Ämtern zurück, dann erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Koalition für gescheitert und nun wurde selbst Kurz durch diese Affäre per Misstrauensvotum gestürzt. Österreich muss sich nun bis zur Neuwahl im September auf eine Übergangsregierung stützen.

In unserer Zeit wollen einige Parteien in Deutschland und Europa der Presse einen Maulkorb umbinden. Ungarn und Polen schränken die Pressefreiheit extrem ein, dem österreichischen Rundfunk wird mit Konsequenzen gedroht und in Deutschland werden die Qualitätsmedien mit „Lügenpresse“ beschimpft. Fälle wie die Kölner Silvesternacht oder Claas Relotius gießen dabei nur Öl ins Feuer.

Doch in dieser dunklen Stunde blitzt ein Stern am Journalistenhimmel auf. Ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel bekommen ein österreichisches Enthüllungsvideo zugespielt, das sie nach gründlicher Prüfung auch veröffentlichen. Diese Veröffentlichung sollte den größten Zweiflern an Pressefreiheit aufzeigen, wie wichtig ein unabhängiges Mediensystem für eine funktionierende Demokratie ist. Die sogenannte „vierte Gewalt” hat endlich wieder ihre wahren Stärken gezeigt.

Szenen, die kein Mafia-Film klischeehafter darstellen könnte. Quelle: FAZ

Genau deswegen ist unsere Pressefreiheit so streng geschützt.

Letztendlich hätte der bisher unbekannte Whistleblower dieses Video auch an die österreichischen Behörden senden oder selbst im Internet veröffentlichen können. Dennoch hat er (oder sie) sich für die Veröffentlichung über die Presse entschieden. Das war genau der richtige Schritt, denn die Presse als vierte Gewalt kann hier deutlich schneller einen größeren Effekt bewirken.

Während das Video vor einem Gericht wegen seiner illegalen Beschaffung erst einmal als Beweismittel zugelassen werden oder den steinigen Weg durch Kontrollgremien des österreichischen Staates erklimmen müsste, konnten die Medienhäuser das Video in kurzer Zeit verifizieren, einordnen und schließlich sofort einem sehr großen Publikum zuspielen. Auf dem gerichtlichen Weg hätte es womöglich noch Wochen oder Monate gedauert, bis der Vizekanzler aus seinem Amt enthoben worden wäre. Möglicherweise wäre das Video aus Geheimhaltungsgründen nicht einmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Im schlimmsten Fall hätten Insider sogar versuchen können, den gesamten Fall zu vertuschen.

Auch der andere Weg mit einer eigenen Veröffentlichung über beispielsweise YouTube hätte vielleicht nach hinten losgehen können. Es hätte keine Garantie gegeben, dass das Video überhaupt von der Öffentlichkeit entdeckt worden wäre. Dazu kämen eventuelle Zweifel über die Glaubhaftigkeit der Veröffentlichung.

Solche Enthüllungen sind am besten bei unabhängigen Journalisten aufgehoben. Denn genau für diese Fälle wird die Pressefreiheit schon in Artikel 5 des deutsch Grundgesetzes streng geschützt. Die Presse hat die Aufgabe, stets über die Demokratie zu wachen und selbst die verzwicktesten und absurdesten Fälle von schädlicher Politik ans Tageslicht zu bringen.

Es bleibt kein Einzelfall

Nicht einmal die Redakteure der Süddeutscher Zeitung oder des Spiegels hätten sich wahrscheinlich erträumen können, dass sie mit dieser Story innerhalb nur eines Wochenendes eine Regierungskrise in Österreich auslösen werden. Dabei ist das Enthüllungsvideo kein Einzelfall. Auch Edward Snowden schickte seine brisanten Dokumente, vorerst anonym, an die Washington Post und an den Guardian.

Ein Gegenbeispiel stellen die mühsamen Enthüllungsversuche des Miroslaw Strecker dar. Als LKW-Fahrer entdeckte er auf einer Lieferfahrt, dass Fleischabfälle von einer Fleischfabrik zu höherwertigen Lebensmitteln umetikettiert wurden. Unter dem Namen „Ekelfleisch-Skandal“ erhielten diese Vorfälle einen zweifelhaften Ruhm. Der Süddeutschen Zeitung schilderte er später, dass viele Anrufe bei unterschiedlichen behördlichen Meldestellen nötig waren, um überhaupt erste Untersuchungen einzuleiten, da sich erst einmal keine Stelle zuständig fühlte. Der juristische Prozess um die Verantwortlichen zog sich dann über vier Jahre.

Es bleibt zu hoffen, dass uns die Pressefreiheit, also ganz speziell die Freiheit, Missstände aufzudecken, auch in den nächsten Jahrzehnten noch so erhalten bleibt, wie wir sie heute kennen. Der Fall Strache war mit Sicherheit nicht das letzte Mal, dass die Medien dunkle Machenschaften ans Tageslicht fördern werden. Das geht allerdings nur mit uneingeschränkter Handlungsfähigkeit und genau diese scheint heute gerne von vielen Seiten untergraben zu werden.

Text: Nicolai Hackbart, Illustration: Marie Kühnemann

<h3>Nicolai Hackbart</h3>

Nicolai Hackbart

ist 22 Jahre alt, gebürtiger Münchner und seit dem Sommersemester 2018 verantwortlich für die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram. Hier werden die Artikel aus medienMITTWEIDA beworben, moderiert und reflektiert.