Reform der Übertragungsnetze

Stau auf dem Stromhighway

von | 7. Juni 2024

Im Fokus der Energiewende stehen oft die Erneuerbaren selbst. Warum nun auch das Stromnetz reformiert wird.

Es ist der 30. November 2022. Regierungspressekonferenz. Ein Journalist stellt gegen Ende eine vereinzelte Frage zum Stromnetzbetreiber TenneT: Befindet sich die Bundesregierung in Gesprächen zur Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung an jenem? „Nein, das kann ich nicht bestätigen“, antwortet der Ministeriumssprecher. Noch am selben Tag verkündet Vizekanzler Habeck die vorgesehene Übernahme. Es wird nur eine von mehreren Maßnahmen bleiben, die das deutsche Übertragungsstromnetz reformieren soll. Die Behörden begründen ihre Pläne mit Klimaschutz. Einigkeit herrscht bis dato jedoch noch nicht.

Deutschland geviertelt

Derzeit kaufen Netzbetreiber deutschlandweit ihren Strom an der Börse zu einheitlichen Preisen ein, da Deutschland – zusammen mit Luxemburg – eine große sogenannte Stromgebotszone im europäischen Netzverbund bildet. Doch das soll sich bald ändern, wenn es nach der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) der EU geht. Die in Ljubljana sitzende Behörde prüft regelmäßig den Markt und hat dabei bereits 2022 Vorschläge zur Zerspaltung Deutschlands in bis zu fünf verschiedene Preiszonen gemacht.

Die einheitlichen Kosten bürgen nämlich ein Problem der Fairness: Wird in einem Landesteil mehr günstiger Strom produziert als in einem anderen, profitieren diese energiestarken Regionen davon preislich nicht. In Deutschland ist es ein Nord-Süd-Gefälle. Wurden im Norden neue Windräder von Anwohner*innen geduldet oder befürwortet, zahlen diese nun trotzdem genau so viel pro Kilowattstunde, wie Menschen in Bayern oder Baden-Württemberg, deren Regierungen einen umfassenden Ausbau der erneuerbaren – also günstigen – Energien seit Jahren verhindern.

Vorschlag für deutsche Strompreiszonen (exkl. Luxemburg) – Daten: Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehördenverweis

Für den Norden Deutschlands würde eine eigene Preiszone dementsprechend die Strompreise senken und damit auch Resilienz gegen Importsperren, wie die für russisches Gas, schaffen. Das könnte einkommensschwache Bürger*innen, aber auch Unternehmen entlasten.

Ein Aufspalten in mehrere Preisgebiete könnte also Verbraucher*innen entlohnen. Durch Anreize könnte eine ausgeglichenere, also sicherere Versorgungsinfrastruktur geschaffen werden und die Anwohner*innen entlohnt werden, die günstigere und damit auch klimafreundlichere Energieträger in ihrer Region zuzulassen.

Medienberichten zufolge besteht die EU auf die Aufteilung in Stromgebotszonen, während die südwestdeutschen Bundesländer deren Strompreis mutmaßlich steigen würde,  die Maßnahmen in einem gemeinsamen Papier ablehnen.

Jedoch gibt es neben den Betroffenen auch Expert*innen, die gegen diese Änderung plädieren. So auch Klimaforscherin Claudia Kemfert. In einem Kommentar für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bewertet sie die Preisvorteile als sehr gering. Man solle besser zeitnah in stärkere Übertragungsnetze investieren, um Strompreise zu senken.

Der Hyperlink in den Süden

Die wenigen und zu schwachen Höchstspannungsleitungen, die den stromreichen Norden mit dem verbrauchsstarken Süden verbinden, tragen dazu bei, dass Strom in Deutschland so viel kostet. Es staut auf den Stromhighways Deutschlands. Mindestens 28.000 Stunden sind diese allein im ersten Quartal 2023 an ihr Belastungslimit gekommen. Dann werden Windräder oft abgeschaltet und stattdessen konventionelle Kraftwerke in Süddeutschland hochgefahren. Alternativ wird auch Strom aus Frankreich und Co. importiert. Diese Maßnahme, die man Redispatch nennt, zerrt den Preis nach oben.

Deshalb ist aktuell SuedLink im Bau. Eine große Stromtrasse, die Schleswig-Holstein mit Bayern und Baden-Württemberg verbinden soll. Diese könnte die Importe und damit die Kosten beim Verbraucher senken und wiederum Exporte erhöhen. Bisher lässt sie die Stromkosten allerdings steigen, so findet sich auf jeder Stromrechnung der stetig steigende Posten „Netzentgelt“, der dieses und ähnliche Ausbauprojekte mitfinanziert.

Nach ursprünglichem Plan sollte die Trasse bereits 2022 stehen, inzwischen wird von 2028 gesprochen. Zusätzlich sind andere kleinere Trassen geplant. Doch ausreichen wird der bisherige Plan nach Einschätzungen eines Vertreters der Denkfabrik Agora Energiewende gegenüber der Tagesschau langfristig nicht. Nur etwa zehn Prozent des deutschen Strombedarfs wird SuedLink transportieren können. Aushelfen könnten hier langfristig auch Stromspeicher, die deshalb zuletzt wieder in die Aufmerksamkeit der Energieversorger rückten.

Staatlicher Einfluss könnte zunehmen

Über die Bundesnetzagentur wirken die zuständigen Behörden auf die Übertragungsnetzbetreiber ein und finanzieren Ihnen auch wichtige Projekte. Doch der Bundesregierung reicht die bloße Lenkung mutmaßlich nicht mehr aus. Das bündnisgrün geführte Wirtschaftsministerium war zuletzt an der Verstaatlichung des größten deutschen Unternehmens dieser Branche interessiert.

Dazu muss man wissen: Stromübertragungsnetze – also quasi Ferntrassen, die die Elektrizitätsknoten einer Region an eine andere anschließen – sind sogenannte natürliche Monopole. Es gibt also pro Gebiet nur einen Betreiber, der jeweils staatlich kontrolliert wird. Deutschland ist in vier solche Gebiete eingeteilt. Die vier Unternehmen dabei sind TransnetBW, 50hertz, Amprion und TenneT TSO. Während zumindest an den ersten beiden deutsche Gebietskörperschaften beteiligt sind, gehört Tennet TSO einer niederländischen Staatsholding. Und eben dieser Netzbetreiber soll nun durch die zum Wirtschaftsministerium gehörige KFW-Bank übernommen werden.

SPD und Grüne betrachten die Netze als kritische Infrastruktur. Nach ihrem Politikverständnis sollte ebenjene kritische Infrastruktur tendenziell in Staatshand liegen, um Preissprünge besser vorzubeugen und mutmaßlich stärker in Energie- und Klimaschutzstrategien inkludiert werden zu können. Doch die Gespräche mit TenneT laufen bereits seit Oktober 2022: Das hänge mit internen Unstimmigkeiten in der Bundesregierung zusammen. Die FDP sehe Mehrheitsübernahmen von Unternehmen durch den Staat kritisch. Sie wolle, so berichtet die FAZ, die Weitergabe der Firmenanteile an private Investoren absichern.

Der Konflikt, der hier in der Koalition auftritt, ist also ein Dissens in der politischen Theorie. Die einen – in diesem Fall SPD und Grüne – bewegen sich eher in Richtung Wohlfahrtsstaat, die anderen – hier die FDP – in Richtung schlanker Staat, der sich nicht in die Wirtschaft einmischt. Wer sich in dieser Sache durchsetzt, wird sich zeigen: Spätestens Juli sollen sich nämlich die niederländische und deutsche Regierung zu dem Verkauf geeinigt haben. Bis dahin sieht sich TenneT nun auch nach anderen Interessenten um.

Die Nebenfront des Klimaschutzes

Thematiken der Energiewende – also des Klimaschutzes – spiegeln sich in allen Bereichen der Gesellschaft wider. Die Reform der deutschen Stromnetze kann jedoch nicht nur die Nutzung erneuerbarer Energieträger erhöhen, sondern Kosten für Verbraucher*innen senken. Weil die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Elektrifizierung von Heizung, Mobilität, Kind und Kegel die Netze stärker belasten als bisher, rücken die Stromhighways nun in das wortwörtliche Licht der Öffentlichkeit. Bisher jedoch einzig per Energiesparlampe.

Text/Fotos: Loris Oberländer

<h3>Loris Oberländer</h3>

Loris Oberländer

Loris studiert im vierten Semester Medienmanagement. Lange Jahre Layouter seiner Schülerzeitung, leitet er bei medienMITTWEIDA nun das Team Bild/Grafik an.