Etwa jeder Dritte Bachelorstudent in Deutschland bricht sein Studium vorzeitig ab. Eigentlich entscheidet man sich bewusst für einen Studiengang. Dass dieser aber nicht immer zu einem passt, weiß auch Kora.
Der Tag beginnt früh in der Konditorei. Vor Öffnung des Ladens müssen noch Torten zubereitet, Kuchen gebacken, Eis hergestellt, Pralinen gemacht und die Theke hergerichtet werden. Darum stellt Kora sich gleich in die Küche und arbeitet so schnell sie kann. In diesen Momenten denkt sie nicht an Statistiken oder Buchführung, denn sie wollte ihr BWL-Studium nicht abschließen. Sie wollte Köchin werden und rührt nun schon den Teig für die erste Sahne-Kirsch-Torte an.
So oder so ähnlich startete Kora jeden morgen in ihren Arbeitstag. Der Begriff Studienabbruch mag erst einmal negativ klingen – aber für sie war es erst der Beginn zum Erfolg.
Aller guten Dinge sind drei
2008 nahm Kora ihr Studium in Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz auf, nachdem ihr auch nach einem freiwilligen Jahr im Krankenhaus nicht klar war, was sie genau machen wollte und es mit der Bewerbung für ein Biologiestudium nicht geklappt hatte. Warum sie dann gerade auf BWL kam? „Ich dachte damals, mit einem Wirtschaftsstudium ergäbe sich ein großes Spektrum an Möglichkeiten und irgendetwas würde sich dann schon finden – und mit einem Studienabschluss könnte man später mehr verdienen“, meint sie. Das Niveau in Mathematik war allerdings sehr hoch und für sie die größte Hürde, da sie sich „durch den Grundkurs am Gymnasium nicht ausreichend vorbereitet“ fühlte. Als im zweiten Semester bereits feststand, dass sie ihr Studium abbrechen würde, bewarb Kora sich nochmals für ein Biologiestudium, doch sie konnte dem N.C. nicht gerecht werden.
Durch ihre Freundin kam sie an die Universität Jena. Da Buchführung und Marketing sich als zwei sehr interessante Fächer herausstellten, entschied sich Kora trotz abgebrochenen Wirtschaftsstudiums erneut für eine ähnliche Richtung – Volkswirtschaftslehre. Nachdem sie auch das nicht erfüllte, suchte sie erneut nach Alternativen. Dabei schloss sie ein weiteres Studium aus und ergatterte schließlich ein Bewerbungsgespräch bei Mövenpick. Der Wunsch nach dem Beruf der Köchin, den sie schon einmal als Kind beim gemeinsamen Kochen mit ihrem Vater hatte, kam wieder auf. Somit machte Kora zuerst eine Ausbildung und konnte dann ins Berufsleben einsteigen.
Nun aber ist wieder alles offen. Ein Umzug nach Leipzig steht an und damit auch eine berufliche Neuorientierung. Noch ist unklar, ob sie Köchin bzw. Konditorin bleiben möchte, oder es doch noch einmal mit dem Biologiestudium versuchen möchte – bei dem sie nun mit den gesammelten Wartesemestern gute Chancen hätte. Außerdem ist es für sie besser mit ihrem Familienleben zu vereinbaren. „Die Hauptsache ist, dass man mit dem, was man tut, glücklich ist“, sagt sie ganz zuversichtlich.
Jung, alleine und verzweifelt
Viele haben während ihres Studiums Zweifel und entscheiden sich schließlich für den Abbruch. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) von 2016 lag die Abbruchquote der Bachelorstudenten bei 28 Prozent. Bei Betrachtung der einzelnen Fachbereiche liegen die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächergruppen an den Universitäten mit 41 Prozent ganz vorn, dicht gefolgt von Geisteswissenschaften und Sport mit 37 Prozent. An den Fachhochschulen sind die Studiengänge der Mathematik und der Naturwissenschaften ebenfalls auf Platz eins, teilen sich diesen jedoch mit den Ingenieurwissenschaften (34 Prozent).
Gründe für die Zweifel und schließlich den Abbruch sind zum Beispiel Leistungsprobleme, eine mangelnde Studienmotivation, der Wunsch nach mehr Praxis oder finanzielle sowie persönliche Probleme. Aus der Studie geht auch hervor, dass die Erwartungen an die Studieninhalte nicht immer mit der Realität übereinstimmen und den Studierenden Sorgen und Orientierungslosigkeit bereiten. Vor allem für diejenigen, die aufgrund von Leistungsproblemen abbrechen, spielt dem DZHW zufolge schon der Studienbeginn eine große Rolle. Wer bereits Schwierigkeiten hat, den Einstieg in die Universität bzw. Hochschule zu bewältigen, dem wird es auch schwer fallen, den hohen Anforderungen, die teilweise schon in den Prüfungen des ersten Semesters bestehen, gerecht zu werden. Ein Verschieben der Prüfungen in ein späteres Semester verschafft den Studierenden zwar für den Anfang etwas mehr Zeit und Luft, zieht jedoch Leistungsdefizite mit sich. Diese müssen nachgeholt werden, was zur Überforderung führen und bei den Studierenden Zweifel hervorbringen kann. Dann haben sie häufig das Gefühl, mit der Situation allein zu sein.
Was, wenn der Schuh drückt?
„Es gibt eine riesengroße Beratungslandschaft, aber das ist nicht bekannt und deswegen arbeiten wir daran, diese ganzen Kontaktpersonen mit ihrem Profil zugänglich zu machen“, sagt Dr. Theresa Wand im Interview mit medienMITTWEIDA. Seit einem Jahr koordiniert sie das Projekt Quickstart Sachsen an der TU Bergakademie Freiberg. Gleichzeitig ist sie auch am Lehrprojekt im Transfer plus beschäftigt, bei dem es vor allem um den Studienerfolg und die Verbesserung der Lehre geht. Daher kennt Wand „quasi beide Seiten der Medaille“, wie sie es selbst beschreibt. „Wenn das eine nicht mehr greift, dann führt es zum nächsten und damit denke ich, dass die Hochschulen sehr gut aufgestellt sind zur Unterstützung ihrer Studenten.“ Wenn der erste Schritt getan ist, den Studierenden zu zeigen bei wem sie sich Hilfe suchen können, dann ist der Weg dafür geebnet, ihnen verschiedene Optionen aufzuzeigen.
Denn es gibt eben nicht nur das Studium als optimale Vorbereitung auf das Berufsleben. Doch „darauf liegt in der Berufsorientierung an Schulen, vor allem an Gymnasien, häufig der Fokus“, so Wand im Gespräch. Des Weiteren meint sie, an dieser Stelle werde es demnächst Änderungen geben. Die Orientierung zur berufsschulischen Ausbildung hin solle in Zukunft eine größere Rolle spielen. Damit würde eben nicht nur der Weg zum Studium aufgezeigt werden, sondern auch in die Berufsausbildungen, denn diese erlauben auch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten.
Wenn nun die Sorge auftritt, die Unternehmen würden Studienabbrechern kritisch entgegentreten und sie nur ungern beschäftigen, so ist zu sagen, dass dies in vielen Fällen unbegründet ist. Das haben nicht nur Koras Erfahrungen mit ihren Ausbildern und Arbeitgebern gezeigt, die ihrer Aussage nach keine Probleme darin gesehen haben. Die Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Studienabbrecher ins Boot holen“ weist darauf hin, dass Studienabbrecher eine gute Zielgruppe für Unternehmen sind, vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels. Sie haben durch die Hochschulerfahrung mehr Eigenständigkeit und Selbstorganisation erlangt und erzielen in Berufsschulen oft sehr gute Leistungen. Auch Theresa Wand steht im Rahmen ihrer Arbeit bei Quickstart Sachsen mit Unternehmen in Kontakt. Gerade für diese sind Studienabbrecher besonders attraktiv, weil sie bereits Fachwissen und Erfahrungen gesammelt haben, die über die schulische Bildung hinausgehen.
Was ist Quickstart Sachsen eigentlich?
Quickstart Sachsen ist ein sachsenweites Projekt, in dem die Mitarbeiter an neun staatlichen Hochschulen zusammenarbeiten. Es startete im April 2018 mit dem Ziel, Studienabbrecher in die berufliche Bildung zu überführen und dafür zu sorgen, dass sie auf diesem Weg beraten werden. Außerdem soll das Thema Studienzweifel und Studienabbruch enttabuisiert werden, sodass Betroffene offen darüber sprechen können und sich Hilfsangebote holen. Dabei ist offen gestellt, ob sie ihren Weg innerhalb der Hochschule oder außerhalb durch eine Berufsausbildung finden.
Gute Beratung ist das A und O
Da Wand selbst Lehrende an der Universität in Freiberg war, hat sie oft bemerkt, dass Studierende, die im einen Semester noch in der Vorlesung saßen, im nächsten nicht mehr da waren. Einige der Zweifelnden kamen zur Klausureinsicht bzw. beim Schreiben ihrer Seminararbeiten zu ihr und sie erkannte, „denen drückt der Schuh“. „Ich habe das am lebenden Objekt sozusagen immer wieder erlebt,“ sagt sie. Genau da knüpfte Quickstart Sachsen an. Und dafür, dass es erst ein Jahr existiert, wurde schon einiges erreicht: In der Region Mittelsachsen beispielsweise kannten sich die Beraterinnen und Berater aus den Studentenwerken, den Hochschulen, der Agentur für Arbeit und den Kammern kaum oder gar nicht. Jetzt treffen sie sich jedoch regelmäßig, um die Fachgebiete der anderen kennen zu lernen und ein Netzwerk zu bilden. Somit können sie die Studienzweifler und Studienabbrecher, die mit individuellen Problemen zu ihnen kommen, direkt an die richtigen Ansprechpartner verweisen. Innerhalb kurzer Zeit sei der Beratungsprozess beschleunigt worden, meint Wand stolz.
Viele Wege führen zum Glück
Somit zeigt sich, dass ein Studienabbruch nicht der Anfang vom Ende sein muss, denn es gibt nicht nur den einen perfekten Weg ins Berufsleben. Theresa Wand von Quickstart Sachsen meint, den jungen Menschen würde eine riesige Auswahl an Studienangeboten und Berufsausbildungen geboten – und manchmal fände man eben nicht beim ersten Versuch das Richtige für sich. „Zweifel gehören dazu und dann muss man überlegen, woran diese liegen, was einem wichtig ist und wohin man möchte. Aber das muss man nicht mit sich alleine ausmachen.” Sie rät, mit den Freunden und der Familie zu sprechen, wenn man nicht sicher sei, ob der gewählte Weg der passende ist. Wenn das nicht hälfe und man einen neutralen Blick von außen benötigte, gäbe es jede Menge Ansprechpartner, die einem die Optionen aufzeigen könnten und dann müsste man überlegen, welchen Weg man letztlich gehen wollte. Auch Kora, die bereits zwei Studienabbrüche hinter sich hat, meint, sie bereue keine ihrer Entscheidungen und man solle auf sein Herz hören: „Es bringt nichts, etwas weiterzumachen ohne Feuer und Flamme zu sein. Man sollte sich immer wohl fühlen mit dem, was man tut und studiert.“
Hilfe für Studierende der Hochschule Mittweida
Probleme im Studium oder Studienzweifel?
Hier könnt ihr euch Hilfe suchen:
studienerfolg@hs-mittweida.de
Ansprechpartner: Jane Dietrich-Schendel und Robert Knauf
Text: Lisa Kwahs, Grafik: Marie Kühnemann