Prosecco-Nazis

Sylt ist nur die Spitze des Eisbergs

von | 31. Mai 2024

Snobbige Sylturlauber filmen sich am Pfingstwochenende erheitert Naziparolen grölen. Ein Kommentar.

Während auf Sylt der Schampus fließt, die Privatjets landen und Schweizer Uhren Stund um Stund ihre Runden drehen, lässt ein Clip, der seit dem 23. Mai, durch das Netz kursiert, die wohlstandsverwahrloste Sylt-Gemeinde sowie den Rest von Deutschland aufatmen. Die Erkenntnis: Eine Rolex schützt nicht vor rechtsextremen Positionen.

Sylt – der natürliche Lebensraum der deutschen wohlhabenden Leistungsgesellschaft. Ein Ort, der scheint, als würde Kaviar an Bäumen wachsen, Aperol Spritz aus güldenen Wasserhähnen sprudeln und Hummer einem aufopfernd hinterherrennen, bis sich ein reicher weißer Millionär dazu erbarmt ihn zu verköstigen. Es ist ein mystischer Ort fernab der Realität der in Deutschland lebenden Mitte oder gar von Menschen, die ihren Alltag mit Bürger- oder Wohngeld bestreiten.

Von Dancetrack zur Nazihymne 

Seit Donnerstag, dem 23. Mai, kursiert ein Video durchs Netz, das jeden nicht ganz auf den Kopf gefallenen demokratisch denkenden Menschen hellhörig werden lässt. Das Video zeigt eine Gruppe von vermeintlich reichen, weißen, ausgelassen feiernden Menschen. Sie befinden sich vor dem Pony-Club im Sylter Kampen. Es läuft „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino und so grölt die Gruppe die rassistische Parole „Deutschland, den Deutschen, Ausländer raus”. Ein weiterer Mann zeigt einen Hitlergruß und deutet mit zwei Fingern einen Hitlerbart an. Eine andere junge Frau, die am Anfang des Videos zu sehen ist, grölt ebenso mit und grinst währenddessen freudig in die Kamera. 

Eisberg von rechts

Beim Betrachten des Videos bleibt mir mein metaphorisches Lachshäppchen quer im Hals stecken. Es ist die auf Dekadenz gefußte Spitze des Eisberges, der von rechts außen mit voller Fahrt auf das kleine Schiff namens Demokratie zusteuert. Erst kürzlich wurde der Thüringer Fraktionsvorsitzender der AfD Björn Höcke vom Landgericht Halle zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt, da er 2021 eine Wahlkampfrede in Merseburg mit einer verbotenen Parole der SA beendete. Auch wurde die gesamte Partei der AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu einem rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft.

Ein Blick nach Schleswig-Holstein zeigt einen weiteren Vorfall, der verdeutlicht, dass ein Teil der deutschen Leistungsgesellschaft nur mit begrenzte Reflexionsfähigkeiten gesegnet ist. Inspiriert durch die Nazi-Snobs auf Sylt kam es vergangene Woche im Elite-Internat Louisenlund  zu einer ähnlich fragwürdigen Begebenheit bei einer Schülerparty, als der Song  „L’Amour Toujours“ lief. Spoiler: Auch hier wurde eine rechtsextreme Parole angestimmt.

Ich könnte mit meinen Beispielen ewig so weiter machen. Dennoch zeigen alle, dass Rechtsextremismus längst wieder salonfähig geworden ist und in Parlamenten, Nobelkneipen und auf Dorffesten Einzug hält. Der Fall Sylt zeigt auch, dass es eine liberale politische Weltsicht nicht gratis zum Kauf eines Ralph-Lauren-Polos gibt. Es wäre daher unsinnig zu behaupten, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelt und rechtsextreme Ansichten lediglich ein Problem der ostdeutschen Bundesländer seien. Der Hang zum Rechtsextremismus ist weder allein durch ein Bildungs- oder Wohlstandsproblem zu erklären. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, welches in allen ökonomischen, sozialen und demografischen Schichten zu beobachten ist.

Die Folgen 

Seit das Video durch zahlreiche Reposts seine Wellen im Internet schlug, ist einiges passiert. Die Namen der sogenannten „Prosecco-Nazis” wurden mittlerweile seitens der  Pony-Betreiber an die Polizei übergeben. Der Staatsschutz ermittelt seither aufgrund Volksverhetzung sowie des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. Infolgedessen wurden einige der im Video gezeigten Personen entlassen. Zudem hat sich der Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner für ein Verbot des Liedes „L’amour toujours“ auf der gesamten Wiesn ausgesprochen. Der Hintergrund: Nur einen Tag nachdem Sylt die Runde machte, kam es zu einem ähnlichen Zwischenfall in Zusammenhang mit dem Song auf der Erlanger Bergkirchweih in Bayern.  

Trotz der Vielzahl an Konsequenzen löst der Status Quo keine euphorischen Gemütszustände in mir aus. 

Zum einen aufgrund der Erkenntnis, dass man derart menschenverachtende Aussagen ohne viel Suchen auf jedem zweiten Dorfumtrunk der Nation findet. Zur Relation: Auf Dorffesten bezahlt man keine 150 Euro, wie an Pfingsten im Pony, um Idioten beim Abhitlern zuzuschauen – das gibt’s hier gratis. Der Markt regelt oder so. 

Zum anderen schockiert es mich, dass es immer noch genug Menschen gibt, die derartiges Auftreten dulden und sich kommentarlos neben rassistischen Arschgeigen ihren fünften Gin Fizz reinstellen. Damit ist man genauso Teil des Problems. Daher mein Lifehack: Einschreiten, Mund aufmachen und Nazis keinen Raum geben! 

Die Menschheit dankt! Ach und die Demokratie auch.

Text: Ottilie Wied Foto: Annie Spratt (Unsplash)

<h3>Ottilie Wied</h3>

Ottilie Wied

ist 20 Jahre alt und studiert derzeit im 4. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Leiterin des Gesellschaftsressort seit dem Sommersemester 2024.