Teil des Dossiers zum Thema Künstliche Intelligenz
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Technik, Stimme, Ethik – die KI-Synchronisation spaltet derzeit die Unterhaltungswelt. Was vor wenigen Jahren noch Zukunftsmusik war, ist inzwischen Realität: Künstliche Intelligenz übernimmt nicht nur Aufgaben in der Bildbearbeitung oder Drehbuchentwicklung, sondern auch zunehmend die Synchronarbeit. Ob Netflix, Prime Video oder klassische Kinoproduktionen: Immer mehr Filme und Serien setzen auf maschinell erzeugte Stimmen. Wie reagieren die Synchronsprecher und was bedeutet das für die Zukunft der Film- und Serienkultur?
KI im Synchronbereich: Was können wir erwarten?
Stell dir vor, du schaust einen Film auf Netflix und die deutsche Synchronstimme klingt genau wie das Original – als hätte der Schauspieler seine Rolle selbst auf Deutsch eingesprochen. Keine holprige Lippensynchronisation, keine unpassenden Betonungen. Genau das verspricht Künstliche Intelligenz (KI) im Synchronbereich: Stimmen klonen, Sprache in Echtzeit anpassen und den Synchronprozess radikal beschleunigen. Doch wie genau funktioniert das eigentlich?
Die Unternehmen hinter den kreierten Stimmen
Die Synchronisation — von Dialogbüchern, Castings bis hin zu endlosen Studio-Sessions — war bisher ein aufwändig analoges Geschäft. KI-basierte Technologien wie Text-to-Speech (TTS) oder Voice Cloning versprechen eine Abkürzung. TTS sorgt dafür, dass ein Computer einen geschriebenen Text in Sprache umwandelt und wiedergibt. Bei Voice Cloning wird ein menschliches Stimmprofil nachgebildet. Gibt man dann einer auf diese Stimme trainierten KI Texte vor, klingen sie fast wie das Original.
Einer der bekanntesten Anbieter künstlicher Sprecher ist das Unternehmen Flawless AI. Die Firma mit Sitz in London ermöglicht es, die Mimik und Lippenbewegungen von Schauspielern sprachlich anzupassen. Ziel ist ein nahtloses Erlebnis – möglichst ohne merkliche Diskrepanzen zwischen Bild und Ton. Ein anderer Player ist Deepdub aus Israel. Hier geht es nicht um die Illusion des Originals, sondern um Stimmensynthese, bei der die Tonlage der Originalsprecher erhalten bleiben soll. Auch Respeecher, ein ukrainisches Unternehmen, sorgt für Schlagzeilen, etwa mit der Rekonstruktion der Stimme von Richard Nixon für die Dokumentation In Event of Moon Disaster.
Billiger, schneller, globaler?
Für Streaming-Anbieter und Filmstudios klingt das wie ein Traum: Serien und Filme lassen sich in 20 oder mehr Sprachen synchronisieren – ohne riesige Tonstudios, monatelange Arbeit und hohe Kosten. Die Technik könnte besonders kleineren Produktionen helfen, die sich teure Synchronisationen bislang nicht leisten konnten.
Deshalb startete der US-Konzern Amazon Anfang dieses Jahres ein Pilotprojekt: Zwölf lizenzierte Produktionen, darunter der Animationsfilm El Cid: La Leyenda sowie Mi Mamá Lora und Long Lost, erhielten 2025 eine KI-basierte Synchronfassung in Englisch und Spanisch. Der Vorteil laut Amazon: Filme, die bisher mangels Budgets keine Synchronisation erhielten, können nun auch für neue Zielgruppen zugänglich gemacht werden.
Erste Experimente – und erste Skandale
Als der chinesische Film Black Dog – Weggefährten im Herbst 2024 in die Kinos kam, sorgte der Film beim Publikum für Aufsehen: Die komplette deutsche Tonspur war mithilfe künstlicher Intelligenz erzeugt worden. Ein Novum und ein Signal, wohin sich die Branche bewegen könnte.
Bei der polnischen Produktion Murderesses (2023) setzte man auf eine KI-Synchronfassung von Deepdub. Die Serie lief zunächst auf MagentaTV und Prime Video. Sie wurde von Zuschauern so häufig kritisiert, dass beide Anbieter sie wieder entfernten. Die Monotonie und die Unnatürlichkeit in den Stimmen der Charaktere fielen dabei besonders negativ auf. Seither ist sie dort nur noch im Original mit Untertiteln verfügbar.
Das aktuellste Beispiel ist der chinesische Anime Super Cube (2025). Die Untertitel in verschiedenen Sprachen wurden mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt, ebenso wie die englische Synchronfassung. Letztere sorgte jedoch für Kritik, da der Einsatz von KI zunächst nicht transparent kommuniziert wurde.
Im Short erklärt euch NinotakuTV, was KI mit dem Anime „Super Cube“ zu tun hat, Quelle: YouTube | NinotakuTV
Klang wie Bachchan – war aber KI
Besonders weit geht der Einsatz in Indien. In Vettaiyan aus dem Jahr 2024 kam eine KI zum Einsatz, die die Stimme von Schauspiellegende Amitabh Bachchan in mehreren Sprachen synthetisierte. Hintergrund war laut Produzenten die Kritik an der ursprünglichen Synchronfassung – man wollte Fans die „echte“ Stimme liefern, zumindest digital. Auch Padatik, ebenfalls aus Indien, sorgte für Aufmerksamkeit. Dort wurde mithilfe von KI die Stimme des verstorbenen Regisseurs Satyajit Ray rekonstruiert und so posthum zum Erzähler gemacht. In einem weiteren Film, Martin, lieferte der Schauspieler Dhruva Sarja lediglich die Originalsprache. Für die übrigen zwölf Fassungen übernahm KI seine Stimme.
Doch was passiert mit echten Synchronsprechern?
Genau hier liegt das Problem: Wenn KI günstiger und schneller ist, werden dann menschliche Sprecher überhaupt noch gebraucht? Die Synchronsprecherin Luisa Wietzorek warnt eindringlich vor den Auswirkungen von KI im Synchronbereich. Ihrer Ansicht nach stelle der Einsatz künstlicher Stimmen nicht nur ein technisches Experiment dar, sondern einen tiefgreifenden Eingriff in kreative und persönliche Rechte. „Ich würde sogar so weit gehen, dass es der größte Diebstahl geistigen Eigentums in der Geschichte der Menschheit ist“, sagte sie gegenüber Moderator Jochen Marmit von SR Kultur. Zwar könne KI Stimmen täuschend echt nachahmen, doch das Wesentliche fehle: „Eine KI kann imitieren, aber nicht interpretieren.“ Für Wietzorek ist klar, wahre schauspielerische Leistung entsteht durch menschliche Emotionen, nicht durch Algorithmen. Sie und viele weitere bekannte Synchronsprecher, wie Sven Plate, Max Felder und Konrad Bösherz veröffentlichen daher am 23. März dieses Jahres ein Video in dem sie sich geschlossen gegen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Synchronbereich positionierten.
@svenplatesynchron Gegen Ki im Synchron @ maxfelder @Esra Vural @mariakoschny @Dennis Schmidt-Foss #gerritschmidtfoß @Luisa wietzorek @KonradBösherz #Synchron #svenplate #dereinminutenstar Danke an @animetrix.wav und Rainer Fritzsche!!!
Bekannte Gesichter der deutschen Synchronbranche sprechen sich gegen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus, Quelle: TikTok | svenplatesynchron
In den USA sorgten 2023 Berichte über Verträge für Aufsehen, in denen Studios die lebenslange Nutzung von KI-generierten Stimmprofilen sichern wollten. Die Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA setzte sich daraufhin für strengere Regeln ein. „Denn was passieren wird, was bereits passiert, ist: Sie nehmen all diese Daten und werfen sie in KI-Maschinen, um unsere Performance nachzubilden“, warnte ein Sprecher.
Ethik am Limit – wer darf mitreden?
Aktuell gibt es in der EU und den USA kaum klare Gesetze dazu, ob und wie Stimmen durch KI genutzt werden dürfen. In Deutschland schützt das Persönlichkeitsrecht zwar grundsätzlich die eigene Stimme. Aber was, wenn ein Studio eine perfekte KI-Imitation erstellt? Wo digitale Stimmen entstehen, stellt sich auch die Frage nach dem Urheberrecht und nach Würde.
In Frankreich sorgte der Film Armor Anfang 2025 für Diskussionen. Die Tochter des verstorbenen Sprechers Alain Dorval kritisierte öffentlich die Nutzung einer KI-Version der Stimme ihres Vaters in einem neuen Sylvester-Stallone-Film. Ihrer Aussage nach, sei dies ohne Zustimmung geschehen.
Ähnlich laut wurde die Debatte in Italien: Die Rundfunkanstalt RAI setzte für eine Folge der Sendung Splendida Cornice auf eine KI-Version der Stimme des bekannten Synchronsprechers Claudio Capone – um Luke Skywalker zu vertonen. Er verstarb bereits im Jahr 2008. „Es war verletzend, die Stimme meines Vaters zu hören, ohne vorher darüber informiert worden zu sein.“ , sagte Capones Sohn und kündigte folglich rechtliche Schritte an.
Was das Publikum über KI-Stimmen denkt
Eine Umfrage von Podcastle aus dem Jahr 2024 ergab, dass 63 Prozent der 1000 Befragten aus den USA eine menschliche Stimme fälschlicherweise für eine KI-Stimme hielten. 81 Prozent der Teilnehmer äußerten Bedenken gegenüber den zukünftigen Auswirkungen von KI-Stimmenklonen, obwohl 60 Prozent den verbesserten Zugang zu Inhalten als einen Hauptvorteil nannten. Gleichzeitig sahen 69 Prozent in Manipulation und Täuschung die größte Bedrohung.

Umfrage: Was halten Menschen von KI?, Quelle: Podcastle
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass KI-Stimmen teilweise kaum noch von echten Stimmen zu unterscheiden sind. Deshalb werden sie mit Vorsicht betrachtet, besonders im Hinblick auf ihre missbräuchliche Verwendung. Entscheidend wird sein, wie transparent und verantwortungsvoll mit dieser Technologie künftig umgegangen wird.
Was bringt die Zukunft?
KI-Synchronisation wird bleiben, das steht fest. Aber ob sie menschliche Stimmen komplett ersetzt, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist eine Hybridlösung, bei der KI den Grundton erstellt oder Untertitel verfasst. Danach übernehmen dann die menschlichen Sprecher und Dialogbuchregisseure. Sie können somit eine gewisse Qualität gewährleisten und gleichzeitig einfache Arbeitsprozesse abtreten. Ein Beispiel dafür bietet die polnische Fassung des Spiels Cyberpunk 2077: Phantom Liberty. Hier wurde die Stimme des verstorbenen Synchronsprechers Miłogost Reczek mithilfe von KI-Technologie rekonstruiert. Mit der Zustimmung seiner Familie nutzte man frühere Aufnahmen von Reczek, um die Künstliche Intelligenz für neue Dialoge zu trainieren. Anschließend wurde die Stimme von Toningenieuren und Regisseuren verfeinert, um Emotionen und sprachliche Nuancen authentisch wiederzugeben.
Künstliche Intelligenz verändert die Synchronbranche grundlegend. Doch mit der Technik kommen neue Fragen: Wem gehört eine Stimme? Wie schützen wir kreative Berufe? KI ist in der Lage zu ersetzen – doch ihr sinnvoller Einsatz liegt meist im Zusammenspiel mit dem Menschen. Am Ende bleibt die menschliche Stimme mehr als nur ein Sound, denn sie ist Ausdruck von Persönlichkeit.
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Text und Titelbild: Felix Zahm, Videos: @NinotakuTV, @svenplatesynchron