So vielfältig und bunt wie Berlin sind in Deutschland wenige Städte. Zum Thema Transgender sagen die Berliner: „Aus Cornelia wird Konrad oder umgedreht – ist doch egal. Es ist doch jedem selbst überlassen. Wie der alte Fritz sagt: ‚Leben und leben lassen.‘“ (Eyk, 54 Jahre). Doch was bedeutet es, Trans* zu sein?
Warum die Bezeichnung „Trans*"?
Da Trans*menschen sich sehr individuell einordnen, wird für das folgende Feature die Bezeichnung Trans* genutzt, das heißt jeder kann sich durch das Sternchen seine eigene Endung, ob Transgender, transsexuell oder auch Transidentität dazudenken.
Queere europäische Hauptstadt, Insel für Trans* – dieser Ruf Berlins lockt viele Trans* in die deutsche Hauptstadt. Leonie lebt seit einigen Jahren in Berlin und trifft sich mit medienMITTWEIDA in einem Neuköllner Café. Eine Situation wie hier kennt sie von anderen Orten nicht. In Berlin ist das trans*-Sein Alltag und ein Stück weit Normalität: „Oft begegnen mir hier Menschen im Alltag, die auch trans* sind. In anderen Städten, in denen ich vorher gelebt habe, war das eher das Gegenteil und man wurde krass exotisiert.“
Doch so trans*freundlich Berlin auch ist, kommt es selbst hier zu Konfrontationen und Diskriminierung. Auf der Straße bekommt Leonie schräge Blicke, wird beschimpft oder ausgelacht. Je nachdem, wie sie das Haus verlässt, erfährt sie unterschiedliche Arten von Diskriminierung. Auch das ist für Leonie Teil des Alltags – jeden Tag zu überlegen, wie sie rausgehen möchte, was sie heute bereit ist zu ertragen.
Leonie, die nicht unter ihrem echten Namen genannt werden möchte, ist Mitte zwanzig und selbst ehrenamtlich als Gruppenleiterin in einer Jugendeinrichtung für queere junge Menschen tätig. Zudem ist sie Teil eines Aufklärungsprojektes, das Workshops zum Thema Diskriminierung und geschlechtliche Vielfalt an Schulen anbietet. Die Politik unterstützt solche Projekte: Im Doppelhaushalt 2018/19 sind laut Recherchen des RBB 175.000 Euro dafür eingeplant, ein queeres Jugendzentrum zu unterhalten. Ein Treffen im Abgeordnetenhaus der „Regenbogen-Hauptstadt Berlin” macht deutlich, dass die politische Arbeit für queere Menschen durch die Einführung der Ehe für Alle noch längst nicht beendet ist.
Sebastian Walter im Abgeordnetenhaus Berlin, Foto: Sophia Grimm
„Bürgerrechte gelten nicht für Trans*menschen“
Für Sebastian Walter, den queerpolitischen Sprecher der Partei Bündnis 90/Die Grünen, sind die Anliegen von Trans* und Intersexuellen1 aktuell besonders dringend. Das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche von Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewaltprävention bis hin zur Gesundheitsversorgung: „Das krasse bei Trans* ist, dass de facto in Deutschland die Grundrechte von Trans*menschen maßgeblich verletzt werden. Bürgerrechte gelten nicht für Trans*menschen. Sie werden in ihrer körperlichen Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit eingeschränkt. Eigentlich ist das ein riesengroßer Skandal, aber es passiert überhaupt nichts.” Als Novum besitzt der Berliner Koalitionsvertrag daher ein eigenes, vier Seiten langes Kapitel für die queerpolitische Arbeit, das mit dem Titel „Regenbogen-Hauptstadt” überschrieben ist. Zum Vergleich: In dem vorangegangenen rot-schwarzen Koalitionsvertrag war laut Tagesspiegel für das Thema nur auf knapp 20 Zeilen Platz. Besonders stolz ist er auf die Einrichtung des queeren Jugendzentrums. Das Beratungsangebot ist hier vielfältig und wird sehr gerne in Anspruch genommen. Doch auch in der queeren Hauptstadt ist noch viel Arbeit nötig.
„Ich finde so etwas wie Geschlechter ziemlich begrenzt, weil es gibt mehr als nur drei Stück. Man sollte eigentlich viel mehr einführen und das nicht so abgrenzen.“
Chi, 15 Jahre
Ständige verbale und körperliche Attacken
„Eines der maßgeblichen Probleme bei Trans* ist, dass diese – anders als zum Beispiel Homosexuelle – bestimmte Merkmale haben, die in der Öffentlichkeit nicht verschwinden. Trans* sind in der Öffentlichkeit sichtbar und werden häufig im öffentlichen Raum attackiert. Ständig verbalen oder auch körperlichen Attacken ausgesetzt zu sein, ist für Trans* besonders problematisch”, so der queerpolitische Sprecher.
Unter dem Titel „Initiative sexuelle und geschlechtliche Vielfalt” gibt es seit 2009 in Berlin einen Aktionsplan gegen LSBTIQ2-Feindlichkeit. Dieser soll laut Sebastian Walter aktuell neu gestärkt werden. Ziel ist es, sowohl queere Menschen zu unterstützen, die unter Diskriminierung leiden, als auch präventive Maßnahmen durchzuführen. Durch diese Initiative soll über die queere Szene hinaus für Akzeptanz und Toleranz geworben und die queere Infrastruktur gefördert werden. Außerdem sollen dadurch Einzelprojekte, wie eine Fachstelle für queere Bildung unterstützt werden, die Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien für Lehrer und Pädagogen erstellt.
Diskriminierung, wie sie durch die Initiative bekämpft werden soll, findet besonders auf dem Arbeitsmarkt verstärkt statt. Laut Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, sind bis zu 50 Prozent aller Trans*personen in Deutschland arbeitslos. Weiterhin verlieren bis zu 30 Prozent ihren Job aufgrund ihrer Trans*identität.
„Wenn sich jemand in meinem Bekanntenkreis als Trans* outen würde, würde ich das nicht akzeptieren und versuchen, es zu verhindern.”
Elena, 57 Jahre
Während die Bemühungen der rot-rot-grünen Landespolitik im Abgeordnetenhaus erfolgreich vorangehen, sieht es nur wenige hundert Luftmeter entfernt im Deutschen Bundestag ganz anders aus. Der Forderung, dass das Transsexuellengesetz verändert und modernisiert werden muss, wird dort an vielen Stellen nicht nachgekommen. Aktuell sieht dieses Gesetz für Trans* vor, dass mehrere Gutachten nötig sind, um Namen und Personenstand offiziell ändern zu lassen. Durch die Einführung des neuen Geschlechts ‚divers‘ ist hier allerdings eine Lücke entstanden.
Gedacht ist das neue Geschlecht eigentlich für Intersexuelle, doch auch viele Trans* nutzen dies nun, um ihren Namen und Personenstand wesentlich einfacher ändern zu lassen. Um das Geschlecht auf ‚divers’ umzutragen, ist im Gegensatz zur Regelung im Transsexuellengesetz lediglich ein ärztliches Attest nötig, welches bescheinigt, „dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.” Wenn es nach Leonie ginge, solle man den Menschen einfach vertrauen und sie selbstbestimmt festlegen lassen, wer sie sind. Gutachten braucht es ihrer Meinung nach dafür nicht. Allerdings ist es bis zu diesem Punkt noch ein weiter Weg.
„Respekt an die Transgender. Ich glaube, ich würde mich das nicht trauen.”
Tom, 19 Jahre
Namensänderung mit Crowdfunding
Auch Levi hat diesen Weg auf sich genommen. Levi ist trans*männlich und hat sich schon während seiner Schulzeit geoutet. Das ganze Prozedere der offiziellen Namens- und Personenstandsänderung war vor der Gesetzeslücke allerdings nicht nur aufwendig und langwierig, sondern auch sehr teuer. Aufgrund der vorgeschriebenen Gutachten und der Gerichtskosten benötigte Levi dafür circa 1200 Euro. Da er selbst das Geld nicht hatte und seine Eltern nicht darum bitten wollte, entschied er sich, an die Öffentlichkeit zu gehen und sein Umfeld durch eine Crowdfunding-Kampagne um Hilfe zu bitten. „Alle meine Bekannten haben das weitergetragen und auch Leute, die ich zum Teil nur vom sehen kannte, haben gespendet. Da hatte ich wirklich Glück.“
Nach der Transition3 fällt es vielen Trans* schwer, alte Bilder zu betrachten oder ihren früheren Namen zu hören. Auch Levi hat schon mehrfach überlegt, seine Social Media Konten zu löschen und einen kompletten Neustart mit einem neuen Profil zu machen. Er findet, dass man bei den alten Bildern sieht, dass etwas nicht stimmt. Aber er will sein Leben auch nicht komplett über Bord werfen. „Die Erinnerungen sind da, aber nicht unter dem alten Namen.” Die Verbindung zur alten Person soll seiner Meinung nach eher verknüpft, als komplett entfernt werden. Für seine Mutter war der Pronomen-Wechsel anfangs etwas schwierig, aber auch das klappt inzwischen sehr gut. Mit Diskriminierung hatte Levi selbst fast gar nicht zu kämpfen. „Ich glaube tatsächlich, dass es für trans*weibliche Personen schwieriger ist in der Gesellschaft“, meint er, da er auch selbst schon Diskriminierung gegen Trans*weiblichkeiten miterlebt habe.
Zu großen Teilen liegt das daran, dass es bei diesen oftmals offensichtlicher ist, als bei Trans*männlichkeiten. Sie sind häufig größer als andere Frauen, die Gesichtszüge werden von Außenstehenden leichter als eher männlich interpretiert und besonders die Stimme ist für viele trans*weibliche Personen ein Problem. Während bei trans*männlichen Personen die Stimme durch die zusätzliche Einnahme von Testosteron automatisch tiefer wird, hat Östrogen keinerlei Auswirkung auf den Stimmapparat. Dennoch kann es passieren, dass Trans*weiblichkeiten dadurch zum Beispiel für sich selbst einen weicheren Stimmklang annehmen.
Thomas Lascheit in seiner Logopädie, Foto: Jonas Dorn
Der „Friseur-Test”
„Aus jeder Stimme lässt sich eine weibliche Stimme machen, denn wir haben alle das gleiche Instrument”, verspricht Diplom-Logopäde Thomas Lascheit, der für die Stimmen-Transition bei Trans*weiblichkeiten eine eigene Methode entwickelt hat. Seine zu 90 Prozent trans*-weiblichen Patientinnen arbeiten dafür an ihrer Stimme. Während normalerweise in der Logopädie versucht werde, eine kranke Stimme zu reparieren, funktionieren seine Methoden durch Manipulation der gesunden Stimme. Das Ganze sei richtig angewendet nicht schädlich, müsse aber professionell geübt werden.
„Studienlagen besagen, dass weibliche Stimmen mehr Sprechmelodie und eine höhere Tonlage haben. Wobei die Tonlage nicht das alles entscheidende ist. Außerdem zeichnet sich die weibliche Stimme teilweise auch durch eine ganz andere Wortwahl aus. Ich sehe das allerdings nicht so in Schubladen eingeschränkt. Im Endeffekt entscheide nicht ich, wie die Stimme klingen soll, sondern die Klientin.” An Sprechmelodie und Wortwahl arbeitet der Logopäde mit seinen Patientinnen allerdings kaum, da dies seiner Meinung nach auch die Person ein Stück weit verändert. Ob jemand lebhaft oder monoton spreche, habe für ihn viel mehr mit dem Charakter zu tun. Zur Frage, wie akzeptiert Trans* in der Gesellschaft sind, erklärt Thomas Lascheit, dass seine Arbeit eigentlich gar nicht nötig sein solle: „Solange meine Arbeit notwendig ist, fehlt es etwas an Akzeptanz. Wenn Trans* vollkommen akzeptiert wären, sollte man eigentlich auch akzeptieren, dass es Frauen gibt, die einen männlichen Stimmklang haben. Es wäre normal und sie würden nicht schräg angeguckt werden.”
Um zu testen, wie gut die Stimmtherapie bereits angeschlagen hat, macht Thomas Lascheit mit seinen Patientinnen den „Friseur-Test”. In diesem Zusammenhang kommt ihm Alltagssexismus tatsächlich ein wenig zur Hilfe, da auch heute noch Haarschnitte für Frauen mehr kosten als für Männer. Im Friseur-Test rufen seine Patientinnen – ohne ihren Namen zu nennen – bei unterschiedlichen Friseursalons in Berlin an und erfragen am Telefon, wie teuer ein Haarschnitt für sie wäre. Je nach Antwort bekommen seine Patientinnen so ein Feedback, wie sehr das logopädische Training bisher anschlägt.
„Ich habe sehr früh gemerkt, dass meine Stimmung stark davon abhängig ist, wie ich klinge und rede, und dass meine Stimme für mich ein sehr großes Tor zum Glück ist”, erklärt Leonie, die selbst Patientin in der Praxis von Thomas Lascheit ist. Für sie spiele die logopädische Behandlung eine große Rolle, da sie sich selbst als stark akustisch geprägt sieht. Dies sei vor allem dadurch entstanden, dass sie sich ihr ganzes Leben über schon viel mit Musik beschäftigt habe. Das Stimmtraining sei für Leonie ein Selbsterkennungsprozess, bei dem sie viel über sich lerne und immer wieder neue Facetten ihrer Stimme entdecke.
„Wenn jemand glücklich ist, dann ist er glücklich.
Da ist es egal ob Penis, Vagina, ob schwarz oder weiß.”
Kaja, 25 Jahre
Ihre Stimme führe sie auch immer wieder zu sich selbst. In der heutigen Gesellschaft verliere sie oft den Bezug zu sich, wenn Sachen schlecht laufen. In solchen Situationen hilft Leonies Stimme ihr dabei, zu sich selbst zu finden, wieder ein Gefühl für sich und ihr Umfeld zu entwickeln und auf ihre Intuition zu vertrauen.
Von der Gesellschaft wünscht sich Leonie, dass die Menschen darauf vertrauen, dass jeder Mensch auf seine eigene Intuition hört und für sich erkennt, was sich richtig anfühlt und danach lebt. Nur dann sei wirkliche Akzeptanz möglich. „Vor allem braucht es viel Mut, um von den ganzen Mustern im Kopf loszulassen. Ich glaube, dass viele große Angst haben, sich darauf einzulassen, aber ich denke, dass es sich lohnt. Akzeptanz ist das A und O, um überhaupt sein zu können, um zu leben und sich entfalten zu können.“
Glossar
1 Divers / Intersexualität
Intersexualität bezieht sich auf Menschen, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen. Dies ist als ‚drittes Geschlecht’ auch ‚Divers’ genannt seit Dezember 2018 im deutschen Grundgesetz festgehalten.
2 LSBTIQ
Sammelbezeichnung für Menschen mit nicht heterosexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentifikationen. Kurzform für: Lesbisch, Schwul, Bi, Trans*, Inter, Queer.
3 Transition
Die Angleichung an das gefühlte Geschlecht wird als Transition bezeichnet. Darunter fällt zum Beispiel die Veränderung des Stils, die Manipulation der Stimme oder auch die Geschlechtsangleichung durch Operationen.
Transvestit / Dragqueen / Dragking
Bezeichnet Personen, die typische Kleidung des anderen Geschlechts tragen, beziehungsweise Personen, die dies als Kunstform tun. Transvestitismus kann sowohl bei Hetero- als auch bei Homosexuellen vorkommen und ist nicht gleichzusetzen mit Trans*. Zur besseren Unterscheidung wird inzwischen häufig von Cross-Dressing gesprochen.
Text: Jonas Dorn & Sophia Grimm; Titelbild: Gerd Altmann (geralt), CC0;
Beitragsbilder: Jonas Dorn & Sophia Grimm