Der Krieg in Osteuropa zwingt Millionen Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Trotz der immer noch kritischen Lage entscheiden sich immer mehr Ukrainer dazu, wieder zurückzukehren. Von den Erlebnissen, nach Deutschland zu kommen, hier zu leben und schließlich wieder die Rückreise anzutreten, erzählt Anastasiia im Gespräch mit medienMITTWEIDA.
Es war eine der größten Katastrophen im Jahr 2022. Am 24. Februar griff Russland die Ukraine an und begann einen Krieg. Bald kamen ukrainische Geflüchtete zu Tausenden über die europäischen Grenzen. Eine von ihnen war Anastasiia Kostiuchenko. Im März entschied sie sich, mit ihren beiden Kindern die Ukraine zu verlassen. Nachdem sie eine Weile in Deutschland gelebt hatte, kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück. Das ist nun schon etwa neun Monate her. Die ukrainische Medienmanagement-Studierende Daria Dudnikova hat mein schriftliches Interview mit ihr übersetzt.
Anastasiia mit ihrem Mann in Donezk. Bild: Anastasiia Kostiuchenko
Wieso hast du dich für Deutschland entschieden und nicht für ein anderes Land?
Anastasiia: Die Frage unserer Ausreise kam Anfang März auf, als sich russische Truppen in der Nähe von Kyiv aufhielten und es Informationen über den Missbrauch ukrainischer Kinder und Frauen durch diese gab. Wir hatten große Angst um das Leben und die Gesundheit unserer Kinder. Deshalb beschlossen wir, ins Ausland zu gehen, denn in der Ukraine war es in allen Richtungen gefährlich. Zu dieser Zeit war Polen mit ukrainischen Flüchtlingen überlastet. Dank unserer Freunde haben wir Kontakt zu einer Freiwilligen und wunderbaren Person aufgenommen: Susanna aus Dresden. Sie traf uns in Polen und brachte uns in die Partnerstadt Radebeul.
Wie war der Empfang?
Anastasiia: Susanna hat für uns eine wunderbare Familie in Radebeul gefunden. Falco und Hanna empfingen uns mit Freude und einem offenen Herzen. Sie halfen uns bei allem: Papierkram, Spracherwerb, Sozialhilfe, Anmeldung der Kinder in der Schule, Sozialwohnungen und Versicherungen. Sie waren ständig in Kontakt und haben uns in allen Fragen beraten und unterstützt.
In Deutschland angekommen, mussten die drei beim Einwohnermeldeamt und beim Ausländeramt gemeldet werden. Dadurch bekamen sie finanzielle Unterstützung vom Land und die Kinder konnten an einer Schule angemeldet werden. Ein paar Schulen hatten Klassen für ukrainische Kinder eingerichtet. Außerdem gab eine Russisch-Lehrerin aus dem örtlichen Gymnasium den Ukrainerinnen ehrenamtlich Deutschunterricht. Nachdem Anastasiia und ihre Kinder ein paar Wochen bei einer Familie in Radebeul gewohnt hatten, konnten sie in eine eigene kleine Wohnung in der Nähe einziehen.
Wo hast du in Deutschland gewohnt?
Anastasiia: Wir haben eine Wohnung in der Stadt Coswig bekommen. Ein großer Dank an den Besitzer Andreas, der uns empfing, sehr schnell unterbrachte und uns während unseres gesamten Aufenthalts begleitete.
Wieso bist du in die Ukraine zurückgekehrt?
Anastasiia: Deutschland ist ein wunderbares Land, aber meine Eltern und mein Mann sind in der Ukraine geblieben. Der Gedanke an sie ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich habe mir jede Minute Sorgen um sie gemacht. Und als sich die Lage in unserem Land etwas beruhigt hatte, beschloss ich sofort, nach Hause zu fahren, in meine Heimatstadt Obuchiw, Region Kyiv, um meine Familie zu besuchen. Danach konnte ich sie nicht mehr verlassen.
Seit Beginn des Krieges im Februar haben etwa 13,7 Millionen Menschen die Ukraine verlassen. 6,4 Millionen Ukrainer sind inzwischen wieder zurückgekehrt. Die Gründe für die Rückreise sind meistens familiär. Einige reisen aber auch zurück, weil sie ihren Job nicht verlieren oder die Wirtschaft unterstützen wollen.
Wie sieht dein Alltag in der Ukraine jetzt aus?
Anastasiia: Im Moment ist mein Leben nicht stabil. Denn sehr oft wird meine Stadt von feindlichen Raketen und Drohnen beschossen. Die Kinder lernen online, es gibt Probleme mit Licht und Wasser.
Wie geht es deiner Familie mit der Situation?
Anastasiia: Mittlerweile verteidigt mein Mann seit fünf Monaten unser Land im Osten, in der Nähe der Stadt Bakhmut. Ich bin sehr stolz auf ihn und unterstütze ihn. Ich hatte sogar die Gelegenheit, das Kampfgebiet in der Region Donezk zu besuchen. Wir halten durch. Auch die Kinder sind stärker geworden. Die Reise nach Deutschland hat ihnen sehr gut gefallen, sie haben viele Eindrücke und neue Bekanntschaften gemacht, aber zu Hause warteten Freunde und Verwandte auf sie. Ich glaube also, dass diese Umzüge für sie nützlich waren und sie realisiert haben, wie sehr sie ihr Land und ihre Familie lieben.
Wie ist das Miteinander der Menschen?
Anastasiia: Die Menschen haben sich verändert, jeder unterstützt den anderen sehr. Wir helfen unseren Soldaten, machen Grabenkerzen, bereiten Mittagessen für sie vor und weben Tarnnetze.
Anastasiias Tochter webt ein Tarnnetz. Video: Anastasiia Kostiuchenko
Welche Ressourcen fehlen euch?
Anastasiia: Im Moment versucht die Landesregierung, die Schäden nach den Raketenangriffen auf die Infrastruktur so schnell wie möglich zu beheben. Daher gibt es in unserer Gegend praktisch keine Probleme mit der Heizung, aber es gibt Stromstörungen. Deshalb werden Powerbanks, Akkulampen und Ladegeräte dringend benötigt.
Bekommt ihr Hilfe in eurer Situation?
Anastasiia: Die Hilfe wird derzeit hauptsächlich für Binnenvertriebene, Rentner und Familien mit geringem Einkommen bereitgestellt. Leider versuchen wir, so gut es geht, allein zurechtzukommen.
Im Interview mit medienMITTWEIDA erzählt der ehrenamtliche Helfer Patrick von seinem Einsatz in der Ukraine.
Was wünschst du dir für das neue Jahr?
Anastasiia: Für das neue Jahr wünsche ich mir und allen Ukrainern nur eines: Sieg, Frieden und Freiheit. Wir haben bereits viel Schmerz und Leid erlebt.
Foto: Anastasiia Kostiuchenko
Übersetzung: Daria Dudnikova