Seit einigen Monaten wird die Einführung einer Vier-Tage-Arbeitswoche in Deutschland heiß diskutiert. In Belgien ist das Konzept schon gesetzlich verankert. Doch kann das in einem Land wie Deutschland auch funktionieren? Probleme im Arbeitsmarkt wie zum Beispiel der demografische Wandel und der Fachkräftemangel sind nicht zu unterschätzen. Es bleibt also die große Frage: Ist eine Vier-Tage-Woche in Deutschland überhaupt realisierbar?
ANDERE LÄNDER MACHEN ES VOR
Seit Februar 2022 können die belgischen Bürger selbst entscheiden, ob sie fünf oder vier Tage arbeiten wollen. Wichtig ist es hier zu beachten, dass bei einer Vier-Tage-Woche meist das gleiche Arbeitspensum anfällt. Das heißt, 40 Stunden Arbeit müssen in vier Tagen geschafft werden anstatt in fünf. Bedeutet dann genauer gesagt, dass man 40 Stunden von Montag bis Donnerstag arbeitet. So muss man also 10 Stunden pro Tag arbeiten. In anderen Ländern gibt es noch ein zweites Modell, bei dem 32 Stunden von Montag bis Donnerstag gearbeitet wird. Hierbei zu beachten ist, dass bei diesem Modell dennoch 100 Prozent Produktivität erreicht werden sollte. In Belgien gibt es jedoch außerdem die Option, nach einer Probephase zur Fünf-Tage-Woche zurückzukehren.
Zwei verschiedene Modelle der Vier-Tage-Woche; Grafik: Benjamin Pohl, Quelle: ARD alpha
Arbeitszeiten im Wandel
In den 50er Jahren hat man noch sechs Tage die Woche gearbeitet. 1956 forderten die Gewerkschaften in einer Kampagne mit dem Slogan “Samstags gehört Vati mir” eine Fünf-Tage-Woche. Diese wurde 1965 gesetzlich verordnet und nach und nach in den einzelnen Wirtschaftsbranchen eingeführt. Seitdem ist es der Standard bei einer Vollzeitbeschäftigung, dass man fünf Tage für ca. 40 Stunden arbeitet.
EIN ZWEISCHNEIDIGES SCHWERT
Laut einem groß angelegten Experiment, bei dem 61 britische Unternehmen von Juni 2022 bis Dezember 2022 eine Vier-Tage-Woche ausprobiert haben, wurden einige Vorteile dokumentiert. Konkret berichteten 39 Prozent der Beschäftigten von einer Verringerung ihres Stressniveaus, während 71 Prozent am Ende der Studie weniger Anzeichen von Burnout aufwiesen. Zusätzlich zu diesen Ergebnissen wurden Rückgänge bei Angstzuständen, Müdigkeit und Schlafproblemen festgestellt, während sich auch die körperliche Gesundheit verbesserte. Für 54 Prozent der Arbeitnehmer war es ebenfalls leichter, Arbeit und Haushalt zu managen.
In den Ergebnissen des britischen Experiments wird kaum über negative Aspekte der Vier-Tage-Woche berichtet. Zudem sei angemerkt, dass die 61 Unternehmen freiwillig an dem Experiment teilgenommen haben.
In einer Stellungnahme aus dem Jahre 2018 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin heißt es jedoch, dass der Druck und Stress steigen, wenn die gleiche Arbeit in vier statt fünf Tagen erledigt werden muss. Studien zeigen, dass übermäßig lange Arbeitstage mit einem höheren Risiko für Arbeitsunfälle verbunden sind. Langfristig steigt auch das Risiko für berufsbedingte Krankheiten. Der Arbeitszeitexperte Guido Zander spricht davon im Interview mit capital.de, dass die Vier-Tage-Woche den Fachkräftemangel sogar beflügele. Es müsse ein Ausgleich der Produktivität bei weniger Kapazität an Arbeitszeit vorhanden sein.
IST DER ARBEITSMARKT IN DEUTSCHLAND BEREIT DAFÜR?
Wirtschaftsexperte Holger Schäfer macht im Interview mit medienMITTWEIDA deutlich, dass die Vier-Tage-Woche bei Büroarbeiten Potenzial hat, es jedoch Schwierigkeiten bei der Umsetzung in so manchen Branchen geben könne.
„Wenn Sie den Pflegern erzählen, ihr arbeitet jetzt 20 Prozent weniger, müsst aber das Gleiche schaffen wie in fünf Tagen, dann lachen die sie aus, weil das ist völlig unmöglich.”
Holger Schäfer
Zurzeit herrscht ein akuter Fachkräftemangel in Deutschland: Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind 1.726.000 Stellen unbesetzt. Das Institut thematisiert ebenfalls den demografischen Wandel. Bis zum Jahre 2030 prognostiziert es, dass sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Zudem gab es in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt fast doppelt so viele Studierende wie Auszubildende. Zehn Studierende kamen 2021 auf 4,3 Auszubildende. 1950 waren es noch 75,5 Azubis. Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht vor vielen komplexen Herausforderungen, die bei der Vier-Tage-Woche diskutiert werden. Außerdem kann man eine Vier-Tage-Woche nicht nach Belieben in Deutschland einführen. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) legt fest, wie viele Stunden pro Tag maximal gearbeitet werden dürfen, im Regelfall sind es acht. Es gibt jedoch eine Ausnahme gemäß Paragraf 3 des ArbZG: Die tägliche Arbeitszeit kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, unter der Bedingung, dass im Durchschnitt innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen nicht mehr als acht Stunden pro Werktag gearbeitet werden.
In Deutschland will man es jetzt genauer wissen. Nach der Forderung der IG Metall der Vier- Tage-Woche folgt nun auch eine große Pilotstudie in Deutschland. Von Februar 2024 bis August 2024 werden einige Unternehmen die Vier-Tage-Woche ausprobieren. Die Ergebnisse werden 2024 im Oktober veröffentlicht.
Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel tritt auf, wenn in bestimmten Branchen und Berufsfeldern nicht ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind, um die vorhandenen Stellen zu besetzen. Diese Situation führt zu Engpässen, einem verstärkten Wettbewerb um Fachkräfte, Arbeitsüberlastung und kann negative Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft im Staat haben.
Nicht ohne Risiken
Der Arbeitsmarktexperte Enzo Weber stand der Vier-Tage-Woche im Interview beim Bayerischen Rundfunk skeptisch gegenüber. Er gehe davon aus, dass sich eine Vier-Tage-Woche nur lohne, wenn Arbeitnehmer auf einen Teil des Gehalts verzichten würden. Sonst herrsche die Gefahr, dass die Arbeitnehmer zu viel an den einzelnen Tagen arbeiten, da sie mehr Produktivität in weniger Zeit als sonst erreichen müssen. Die Vier-Tage-Woche ist ein zu Recht diskutiertes Arbeitszeitmodell. Die große Frage bleibt, ob die verkürzte Woche sich in Deutschland umsetzen lässt. Holger Schäfer weist auf das große Ganze hin:
„Wenn wir gesamtwirtschaftlich ein Fünftel weniger arbeiten, dann stellen wir auch ein Fünftel weniger her. Und das ist eine gigantische Summe.”
Holger Schäfer
Deutschlands Bruttoinlandsprodukt liegt bei 4 Billionen Euro. Ein Fünftel davon sind 800 Milliarden Euro. Diese würden Deutschland durch eine gesamtwirtschaftliche Arbeitszeitverkürzung fehlen. Holger Schäfer geht so weit, dass dieses wirtschaftliche Minus schlimmer wäre als die Finanzkrise 2009 oder die Corona-Krise.
Kurzkommentar des Autors
MIT VORSICHT ZU GENIEßEN
Die Vier-Tage-Woche macht einige Unternehmen attraktiver. In Berufen, die hauptsächlich in Büros oder im HomeOffice stattfinden, ist dieses Arbeitszeitmodell eine Überlegung wert. In der Pflegebranche, Logistik oder dem Handwerk ist die Umsetzung schlichtweg unmöglich.Mehr Freizeit erfordert intensivere Arbeit. Auch wenn man einen Tag weniger arbeiten würde, ist das erhöhte Arbeitspensum nicht zu unterschätzen. Dies wird den Druck auf den Arbeitnehmer erhöhen und der Feierabend kann nicht einwandfrei genossen werden.
Außerdem sinkt die Kundenzufriedenheit in deutschen Unternehmen. Dadurch, dass weniger Arbeitstage bei einer Vier-Tage-Woche vorhanden wären, gäbe es noch weniger Ressourcen, um in Kontakt mit dem Kunden zu treten. Wenn der Kundenservice Freitags zum Beispiel nicht arbeitet, bleibt der Kunde auf der Strecke. Dann ist die Konkurrenz wie Amazon und Co. nur noch einen Klick entfernt. Zusätzlich kann ein Unternehmen bei spontanen Ausfällen oder Komplikationen nicht allzu schnell agieren, wie es bei einem zusätzlichen Arbeitstag der Fall wäre.
Was man nicht außer Acht lassen darf: Es bedarf eines organisatorischen Aufwands, um die Vier-Tage-Woche einzuführen. Ein Unternehmen, das zum Beispiel seit Jahrzehnten fünf Tage arbeitet, braucht eine gewisse Eingewöhnungszeit, um die Vier-Tage-Woche zum Alltag werden zu lassen. Zusätzlich würden Deutschland 800 Milliarden vom Bruttoinlandsprodukt fehlen. Diesen Verlust auszugleichen, stelle ich mir, genau wie Holger Schäfer, utopisch vor. Nur so als Vergleich, 800 Milliarden Euro umgerechnet beträgt das gesamte BIP der Türkei.
Grafik: Benjamin Pohl