In Zeiten von knapp bemessenen Geldern und stetig steigenden Lebenshaltungskosten sind Studenten am meisten betroffen. Am Ende des Monats bleibt trotz Minijob der Geldbeutel weiterhin leer. Besonders schwierig wird es, wenn der angestrebte höhere Bildungsgrad durch den sozialen Status und finanziellen Hintergrund bestimmt wird. Studenten, die aus Familien ohne akademischen Hintergrund stammen, sehen sich oft mit Hürden konfrontiert, die über den Lehrplan hinausreichen. Ein Weg, der von zwei monatiger Wartezeit und einem Bildungsschicksal bestimmt wird, welches am seidenen Geldbeutel hängt.
Arbeiterkinder und Akademikerkinder
Arbeiterkinder sind Personen, welche in der ersten Generation in ihrer engeren Familie, die ein Studium beginnen. Sie gehören den Arbeiterfamilien an, welche einer sozialen Schicht mit geringem Einkommen, Ansehen und Bildungschancen angehören. Oft werden sie auch als Nicht-Akademikerkinder bezeichnet.
Akademikerkinder sind Personen mit mindestens einem studierten Elternteil.
Soziale Selektion ab der Geburt
Der Weg für ein Arbeiterkind bis zum Studium fängt bereits früh mit einem vorgelegten Weg an, denn das Überschreiten der Bildungsschwelle ist in Deutschland bis heute abhängig von der sozialen Herkunft, so die Bildungsinitiative des Stiftungsverbands. Die wenige Anzahl von Arbeiterkindern, welche weiter den Bildungsweg Studium einschlagen, zeigt sich schon beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen. Von 100 Arbeiterkindern gehen weniger als die Hälfte, laut Stifterverbands, auf Schulen mit einer Hochschulzugangsberechtigung. Im Vergleich dazu sind es bei Akademikerkindern rund 80 Prozent, die solche Schulen besuchen. Die größte Auslese findet nach wie vor bei dem Übergang von der weiterführenden Schule zur Hochschule statt. Von den am Anfang genannten 100 Arbeiterkindern beginnen nur 27 Schüler ein Studium, dem stehen knapp dreimal so viele Akademikerkinder gegenüber.
Zu sehen sind die jeweiligen Anteile der Arbeiter- und Akademikerkinder aufgeteilt auf die weiterführenden Bildungswege in Deutschland.
Grafik: Michele Jasmin Kunze, Quelle: Stifterverband McKinsey
Schlüsselqualifikation Elternhaus
Oft führt der Weg zum Studium nicht nur durch das deutsche Bildungssystem, sondern auch an der Sichtweise der Eltern vorbei. Nicht selten spielt dabei der Bildungshintergrund derer eine erhebliche Rolle, welche die Studienwahl beeinflusst. Doch laut der Bundeszentrale für politische Bildung können sich rund 30 Prozent der Eltern dabei mit dem eigenen Kind nicht identifizieren, da diese keinen Hochschulabschluss besitzen und nicht wissen, was in den darauffolgenden Jahren auf ihr Kind zukommt. So stellt diese Ungewissheit über die Zukunft und den Verlauf des Bildungsweges einen Schritt in eine fremde Welt dar. Für die Eltern stellt dieser ein Wagnis dar, welches dem fehlenden Sicherheitsgefühl der Eltern zugrunde liegt. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2010 bevorzugen Nicht-Akademiker-Eltern vor allem Studiengänge, welche „über ein praktisches, zugängliches Berufsbild verfügen.” Teilweise wird somit eine Laufbahn der Berufslehre bevorzugt und initiiert.
Besteht dennoch der Wunsch nach einem Studium, fehlen den Arbeiterkindern erste Bezugspersonen. Sind diese nicht im Elternhaus verankert, stellen Interaktionen mit anderen Studierenden und Lehrenden einen essenziellen Programmpunkt auf der Tagesordnung dar. Wenn dieser Austausch jedoch nicht stattfindet, verlieren neue Studenten oft die Orientierung im Studienumfeld. Nicht selten können daraus Studienabbrüche und Orientierungen zu anderen Bildungswegen resultieren.
Arbeiterkinder im Laufe der Zeit
Bei der Betrachtung von Statistiken des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über den höchsten Schulabschluss von Eltern der Studierenden wird über die Jahre verteilt klar, dass die Quote der Arbeiterkinder im Studium abnimmt. Allein in den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl an Studierenden, die mindestens einen Elternteil mit Hochschulabschluss haben, verdoppelt. Das teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2021 in einer Studienbefragung mit. Zeitlich gesehen hat sich somit eine negative Entwicklung hinsichtlich der Bildungsungleichheit von Arbeiterkindern ergeben. Eine klare Verteilung in Bezug auf Arbeiterkinder nach geografischen Faktoren lässt sich aus aktuellen Studien nicht ableiten. Jedoch sind deutliche Ergebnisse bei den Studienanfängern zu erkennen. Trotz östlicher Großstädte mit hohem Bevölkerungswachstum ist die Verteilung der Studierenden in den westlichen Teil Deutschlands verlagert. Die Studienanfängerquote ist in den alten Bundesländern immer noch wesentlich höher, während Studienanfänger in den neuen, also östlichen Bundesländern, nur 15 Prozent aller Erstsemester ausmachen. Wie weit diese Zahlen sich auf die unterschiedliche Verteilung von Arbeiterkindern auf neue und alte Bundesländer auswirken, kann nicht veräußert werden, da zu wenig Studien diesen Themenschwerpunkt belegen.
Spagat zwischen Bildungshunger und finanzieller Durststrecke
Doch selbst wenn die Familie bereit ist, die Entscheidung abgesegnet wurde, eine Hochschule ausgewählt ist und die Zusage dieser vorliegt, beginnt für Arbeiterkinder der finanzielle Hürdenlauf. Gerade einmal 15 Prozent aller Arbeiterkinder können sich auf eine finanzielle Unterstützung ihrer Eltern verlassen. Oftmals lässt jedoch auch dieser niedrige Prozentsatz während des Studiums nach und sinkt rapide. Doch gerade die Eltern sind für Studierende laut Umfragen einer der Haupt-Unterstützer, die bei Arbeiterkindern oft komplett wegfallen.
Zu sehen sind die Anteile der genutzten Finanzierungsarten von Studenten in Deutschland. Grafik: Michele Jasmin Kunze, Quelle: Reemtsma Begabtenförderungswerk
Daraufhin folgen Anträge für das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG. Der Bund will damit für mehr Bildungsgerechtigkeit und Bildungschancen sorgen. Durchschnittlich bekommen Studenten einen Förderbetrag von 560 Euro monatlich ausgezahlt. Bei aktuellen Immobilienpreisen von 300 bis 400 Euro für eine Einraumwohnung mit durchschnittlichen 30 Quadratmeter, bleibt eine Restsumme von 260 bis 160 Euro übrig. So stellen auch Experten, wie Geschäftsführerin von Arbeiterkinder.de Katja Urbatsch fest, dass das BAföG nicht mehr zeitgemäß sei und eine Reform benötige.
„Studienfinanzierung. Das ist der größte Hebel – und entscheidend dafür, ob jemand aus nicht-akademischem Haushalt ein Studium aufnimmt. „
Katja Urbatsch
An Stipendienprogramme ist für viele an dieser Stelle gar nicht mehr zu denken. Denn bei Stipendien wird weniger der Bedarf betrachtet, sondern mehr die Leistungen, die sich in exzellenten Noten zeigen. Eine Begabtenförderung geht somit zu 71 Prozent an Geförderte aus Akademikerfamilien. Ein ausgewogenes Verhältnis an Vergaben weisen nur eine Hand voll deutsche Stipendien-Vergeber aus, zwei davon sind die Friedrich-Ebert- und die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Denn neben der Leistungen ist den beiden Stiftungen der individuelle Lebensweg des Bewerbers wichtig. Erwartet wird ein angehender Student mit Motivation als auch seinen individuellen Ecken und Kanten. Trotz des ausgewogeneren Verhältnisses zwischen Leistung und Individuum des Studenten selbst, ist bei den meisten eine Abschlussnote von 2,0 oder besser Voraussetzung.
Lohn oder Lehre
Um dem klaffenden Loch im Geldbeutel entgegenzuwirken, sind Arbeiterkinder oftmals gezwungen, einen studentischen Nebenjob parallel zum bereits einnehmenden Vollzeitstudium wahrzunehmen. Zwei von drei Arbeiterkindern verbringen zwei komplette Tage pro Woche mit Arbeiten. Das bedeutet gutes Zeitmanagement und Prioritäten setzen. Nicht selten muss daher eine Vorlesung verpasst und der Lernstoff nachgeholt werden. Auf Dauer schafft eine solche Zwangssituation erhebliche Probleme. Forscher warnen deshalb vor einer drohenden sozialen Schieflage. Eine Situation, in der junge Menschen arbeiten müssen, ohne dazu die Zeit und Kapazitäten zu besitzen.
Kurzkommentar der Autorin
Vom Traum des sozialen Aufstieg zum finanziellen Albtraum
Arbeiterkindern sind von vornherein Steine in den Weg gelegt. Wenn alle Faktoren, die auf ein solches Arbeiterkind im Studium zukommen, betrachtet werden, ist die Studienzeit ein Wettrennen zwischen Abschluss und dem Lebenserhaltungstrieb. Dafür gibt es immerhin einen durchschnittlichen Betrag von 560 Euro vom Bund der für Bedarfspersonen zur Verfügung gestellt. Ob ein Student mit dem restlichen Geld noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, ist zu bezweifeln bei den aktuellen Preiserhöhungen.
Die Blicke auf das Konto werden daher am Ende des Monats immer besorgniserregender. Vertröstet wird man dann mit Sätzen „Das hast du dir selber ausgesucht.” oder „Da mussten wir auch früher durch.”. Ein Student, egal aus welcher sozialen Schicht, sollte ein Leben haben und sich dabei auf die wichtigen Dinge konzentrieren können. Suboptimal ist somit die Lage der meisten Arbeiterkinder im Studium, mit einem Vollzeitstudium und einer zusätzlichen 30-Stunden-Woche. Nur um am Ende des Monats genug Geld für Nudeln und Ketchup zu besitzen.
Immerhin besteht die Möglichkeit, am Ende einen guten Abschluss zu bekommen und einer renommierten Zukunft entgegenzusehen, jedoch mit einem Preis, den viele am Ende des Studiums vergessen. Denn wer einmal ein Arbeiterkind ist, bleibt es noch eine ganze Weile, bis das Fördergeld vom Staat abgezahlt ist.
Model: Olga Pokrovskaja