Vorratsdatenspeicherung: Plötzlich legal

von | 27. Oktober 2015

Neuer Name, neues Glück. Nachdem die Vorratsdatenspeicherung (VDS) 2010 am Bundesverfassungsgericht gescheitert war, stimmte der Bundestag am 16. Oktober einem neuen Gesetzesentwurf zu. Statt Vorratsdatenspeicherung soll es nun „Höchstspeicherfrist für […]

Neuer Name, neues Glück. Nachdem die Vorratsdatenspeicherung (VDS) 2010 am Bundesverfassungsgericht gescheitert war, stimmte der Bundestag am 16. Oktober einem neuen Gesetzesentwurf zu. Statt Vorratsdatenspeicherung soll es nun „Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ heißen. Doch ein neuer Name löst nicht die alte Kernproblematik des Gesetzes. Ein Kommentar von Tan Trung Le.

Sie ist wieder da. Nachdem das Verfassungsgericht 2010 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gestoppt hat, wagt die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD nun einen neuen Versuch. Dass es diesmal die Vorgaben der Verfassungsrichter einhält, soll der neue Name unterstreichen: „Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“, statt „Vorratsdatenspeicherung“. Das bedeutet: Nur noch zehn Wochen, statt sechs Monaten Speicherfrist sind geplant. Die Verkürzung des Speicherzeitraums war eine der Vorgaben der Verfassungsrichter aus 2010. Wesentliche Kritik und Grund für das Scheitern damals war der Plan, die Daten verhältnislos und flächendeckend zu speichern. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) selbst ist überzeugt, dass es dieses Mal besser laufen wird: „Er [der Gesetzesentwurf, Anm. d. Redaktion] ist auch verhältnismäßig, weil weniger Daten gespeichert werden, weil sehr viel kürzer gespeichert wird und weil der Zugriff auf die Daten deutlich erschwert wurden ist.“

Jeder ist verdächtig

Dabei wird ersichtlich, dass die Änderungen nur dazu dienen, dem Gang vor das Verfassungsgericht zu bestehen. Die Kernproblematik bleibt bestehen: Daten werden ohne konkreten Anlass gespeichert und verstoßen somit gegen das Fernmeldegeheimnis und den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Der Bürger steht unter Generalverdacht, schuldig oder nicht. Das neue Gesetz ist sogar härter als der Gesetzesentwurf von 2010, da es nun auch Standortdaten speichert. Nicht gespeichert werden jedoch E-Mails und Inhalte der Nachrichten. Der Ausschluss der E-Mails soll verhindern, dass die Speicherung flächendeckend erfolgt. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht 2010 verboten. Dahinter steht kein besonderer Gedanke, denn was hindert Kriminelle daran, nun per E-Mails zu kommunizieren? Oder meiden Kriminelle diese von Natur aus? Dass E-Mails von dem Gesetz ausgenommen wurden, dient lediglich dem Zweck, den Verfassungsrichtern dieses Mal Genüge zu tun, denn logisch ist dieser Schritt nicht. Die Speicherung bleibt auch ohne E-Mails flächendeckend, zumal jede digitale Kommunikation davon betroffen ist.

Gefährliche Metadaten

Die Beschwichtigung der Regierung, dass Inhalte der Nachrichten und Konversationen nicht gespeichert werden, beruhigt kaum. Zwar werden keine direkten Inhalte, sondern Metadaten gespeichert, diese verraten jedoch mindestens genauso viel über uns. Denn wer Zugriff auf unsere gesammelten Metadaten hat, der weiß, mit wem man sich wann unterhalten hat und auch wo und wie lange. In den richtigen Händen sind diese ideal zum Erstellen von Bewegungsprofilen, auch wenn die Daten statt sechs Monaten nur noch zehn Wochen lang gespeichert werden. Wer nicht vorhat, wöchentlich seinen Freundeskreis und seine Arbeitsstelle zu wechseln, profitiert nicht von der verkürzten Speicherfrist.

Dass Metadaten nicht ungefährlich sind, zeigten Forscher der Eliteuniversität Stanford 2014 in einem Experiment. Sie werteten aufgezeichnete Metadaten aus und konnten anhand dieser intime Informationen wie Religionszugehörigkeit, Affären oder Geschlechtskrankheiten einer Person herausfinden. Auch ohne den Inhalt einer Nachricht. Nebenbei: Wer eine SMS versendet, kann sicher sein, dass der Inhalt doch gespeichert wird. Denn dank eines technischen Problems werden Inhalt und Metadaten nicht getrennt, sondern zusammen gesichert.

Wirkungslose Speicherung

Auch dem größten Anspruch, nämlich bei der Verbrechensaufklärung und Terrorismusbekämpfung zu helfen, wird eine Vorratsdatenspeicherung nicht gerecht. Es gibt keinen empirischen Nachweis, dass sich eine VDS positiv auf die Aufklärungsarbeit der Polizei auswirkt. Einem Bericht des Max-Planck- Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht zufolge, beeinflusste das Ende der VDS im Jahr 2010 die Aufklärungsquote der Polizei nicht negativ.

Dass die großflächige Überwachung unverhältnismäßig ist, sehen auch die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Diese legen Zahlen des Bundeskriminalamts vor, welche eine verbesserte Aufklärungsquote von mageren 0,006 Prozent belegen. Ob das die flächendeckende Speicherung von Daten rechtfertigt, darf bezweifelt werden. Denkt man an die Terrorismusbekämpfung, nannte Sigmar Gabriel 2013 die essenzielle Rolle der VDS in Norwegen, um den norwegischen Massenmörder Anders Breivik nach seinem Anschlag zu identifizieren und festzunehmen. Der Haken an diesem Argument ist, dass es gar nicht stimmt. Zu diesem Zeitpunkt, 2011, gab es in Norwegen keine Vorratsdatenspeicherung, welche bei der Identifizierung geholfen haben könnte.

Am Ende ist keiner zufrieden

Also, wem hilft nun die neue Vorratsdatenspeicherung? Den Telekommunikationsanbietern? Eher nicht. Denn die haben die Aufgabe die Daten, die sie sammeln, auch zu speichern. Das bedeutet, mehr Geld für Personal und Ausrüstung. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. rechnet mit 600 Millionen Euro Kosten für den Aufbau der IT-Infrastruktur – also die Beschaffung der notwendigen Hard- und Software. Wer denkt, dass es einen selbst ja nicht betrifft, wird enttäuscht. Zwar übernimmt der Bund einen Teil der Kosten, doch der Rest wird anderweitig umverteilt. Kurz: Der Kunde wird mehr zahlen müssen.

Auch die Polizisten, die eigentlichen Befürworter und vor allem Profitierenden, sind unzufrieden. Sie halten das aktuelle Gesetz für zu harmlos. Während die Bewegungsprofile aus den Verbindungsdaten laut Polizei bei der Verbrechensbekämpfung helfen würde, hält der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Speicherzeit für zu kurz. Zudem sei der Straftatenkatalog zu straff. Man erhoffte sich die Nutzung der Daten nämlich auch bei leichten Straftaten.

Das Gesetz stellt keinen zufrieden, weder die Befürworter der Polizei noch die Gegner. Es ist ein halber Kompromiss zwischen dem Rande der Legalität und dessen Nutzen, effektiv bei der Verbrechensaufklärung zu helfen. Wer trotz der vergangenen Urteile gegen eine flächendeckende Überwachung einen weiteren Versuch startet, genau diese abermals durchzusetzen, der ignoriert die Grundsätze der Verfassung. Es sollte nicht die Maxime der Regierung sein, Gesetze zu verfassen, welche am Rande der Illegalität sind. Verfassungswidrige Gesetze sollte man aufgeben, nicht wiederbeleben und modifizieren, sodass sie um Haaresbreite das nächste Verfassungsurteil bestehen.

Gerade in Zeiten, in denen die große Mehrzahl der Deutschen im Internet unterwegs ist und ein Smartphone besitzt, wird es jeden Einzelnen betreffen. Das Vorratsdatenspeicherungsgesetz verstößt gegen die Grundrechte. Wer meint, er habe sowieso nichts zu verbergen, vergisst, dass das Recht auf Privatsphäre ein Menschenrecht ist. Der Whistleblower Edward Snowden erklärte in Hinsicht zu dieser Problematik: „Zu sagen, mich interessiert das Recht auf Privatsphäre nicht, denn ich habe nichts zu verbergen, ist nicht anders als zu behaupten, mich interessiert die Meinungsfreiheit nicht, denn ich habe nichts zu sagen.“

Text & Beitragsbild: Tan Trung Le. Bearbeitung: Christin Sperling.

<h3>Trung Le</h3>

Trung Le

Redakteur bei medienMittweida Student für Medienmanagement an der Hochschule Mittweida