Check: Netzpolitik der Wahlprogramme 2013

von | 19. September 2013

„Internet der Dinge“, „Big Data“ und Digitalisierung: Am kommenden Sonntag ist Bundestagswahl. Doch wie fit sind die Parteien in Sachen Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, Netzneutralität und Co.? Die Wahlprogramme auf dem Medienprüfstand. […]

Netzpolitik im Wahlkampf 2013: Welche Partei vertritt welche Ansätze?

Netzpolitik im Wahlkampf 2013: Welche Partei vertritt welche Ansätze?

„Internet der Dinge“, „Big Data“ und Digitalisierung: Am kommenden Sonntag ist Bundestagswahl. Doch wie fit sind die Parteien in Sachen Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, Netzneutralität und Co.? Die Wahlprogramme auf dem Medienprüfstand.

Während es im Wahljahr 2009 noch keine Debatten um ACTA und Drosselkom gab, sind Online-Petitionen, Occupy-Bewegungen und Shitstorms 2013 allgegenwärtig. Das Internet als virtueller Ort ist inzwischen ein Raum für reale Diskussionen und Meinungsbildung.

Ein moderner Staat braucht eine Politik, die sich mit der fortschreitenden Digitalisierung wandelt.  Doch welchen Standpunkt vertritt dabei die CDU/CSU in punkto Datenschutz? Wie kann nach der SPD die Netzneutralität gesetzlich verankert werden? Und warum soll nach den LINKEN das Filesharing offiziell erlaubt werden? Ein Überblick in Sachen Netzpolitik zeigt, wie die Parteien mit dem „Neuland“ in der nächsten Legislaturperiode umgehen wollen.

Privatsphäre im Netz?

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden wird das Thema „Datenschutz“ stark in den Medien und  in der Gesellschaft diskutiert. Die Bundesregierung hat offiziell vom skrupellosen Abhören durch NSU und Co. nichts gewusst und blieb tatenlos, erklärte die Debatte gar kurzerhand für beendet.

Zur Wahl setzt die CDU/CSU jetzt auf den Ansatz eines „zeitgemäßen Datenschutzes“, der sich laut Partei an die Anforderung des digitalen Wandels anpassen soll. „Wir unterstützen eine Neuregelung auf europäischer Ebene, wie sie mit der EU-Datenschutzverordnung angestrebt wird“, erklärt Michael Kretschmer, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Arbeitskreises CDU-Netzpolitik.

Auch die SPD und FDP setzten neben einer Reform der EU-Datenschutzverordnung vor allem auf einen Schutz der Persönlichkeitsrechte im Netz. „In sozialen Netzwerke sollten datenschutzfreundliche Grundeinstellungen (Privacy by Default) gesetzlich vorgeschrieben sein“, meint Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Für eine effektive Umsetzung eines starken Schutzes von Privatsphäre und eigenen Daten fordern die Grünen, DIE LINKE und die Piratenpartei den Einsatz von datenschutzfreundlicher und datensparsamer Technik in sozialen Netzwerken. Möglichst wenige Daten sollen ohne die bewusste Zustimmung des Users von ihm in Umlauf geraten. „Die Forderungen nach ‚Privacy by Default’ und ‚Privacy by Design’ müssen aus unserer Sicht in der aktuellen Neufassung der EU-Datenschutzbestimmungen umgesetzt werden“, so Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piratenpartei.

Datenhamstern auf Vorrat

Vorratsdatenspeicherung anlasslos, nur noch begründet oder komplett verbieten? Beim Umgang mit der Speicherung von Verbindungsdaten gehen die Ansichten der Parteien weit auseinander. Die CDU/CSU besteht auf eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, um im Netz eine möglichst weitreichende Strafverfolgung zu bewirken. „Dabei halten wir die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform anerkannte Frist von sechs Monaten für angemessen und gleichzeitig auch als unerlässlich“, so Kretschmer von der CDU/CSU. Die SPD fordert hingegen in ihrem Wahlprogramm eine Speicherung ausschließlich bei Verfolgung schwerster Straftaten. Stellt sich nur noch die Frage, wie diese Schwere objektiv gemessen werden kann. „Ob es sich um eine ‚schwerste’ Straftat handelt, also insbesondere um Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung, ist in der Strafprozessordnung geregelt“, erklärt der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil.

Die Grünen sind beim Thema Vorratsdatenspeicherung komplett anderer Meinung: „In Richtung CDU/CSU, aber auch Teilen der SPD sagen wir deutlich: Wir werden es nicht zulassen, dass unter dem Deckmantel der sogenannten Cybersicherheit der Abbau eines freien und offenen Internets weiter vorangetrieben wird“, entgegnet Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Auch die Parteien FDP, DIE LINKE, sowie die Piratenpartei lehnen eine Speicherung von Verbindungsdaten ab. „Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung stellt jeden Bürger unter Generalverdacht und greift erheblich in die Grundrechte ein“, meint der Bundestagsabgeordnete Sebastian Blumenthal, Vorsitzender des Unterausschusses Neue Medien der FDP.

Pro Netzneutralität

Voraussetzung für ein freies Internet ist die Gewährleistung von Netzneutralität: Es gilt die unmittelbare Gleichbehandlung aller Datenpakete, die nicht aufgrund von Herkunft oder Inhalt abgegriffen und verändert werden dürfen. Keine Drosselung, keine Benachteiligung von Daten. „Im Rahmen der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) hat die schwarz-gelbe Bundesregierung den Grundsatz zur Gewährleistung der Netzneutralität festgeschrieben“, erklärt Blumenthal von der FDP. Die derzeitige Bundesregierung vertraut somit lediglich auf bereits eigene festgesetzte Regelungen. „Sollte sich hingegen herausstellen, dass das TKG an neue EU-Vorgaben oder technische Entwicklungen angepasst werden muss, werden wir mit einer entsprechenden Verordnung oder gesetzlichen Neuregelung reagieren“, so der Vorsitzender des Arbeitskreises CDU-Netzpolitik, Michael Kretschmer.

Die Parteien SPD, die Grünen und die Piraten fordern hingegen eine eigenständig gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. „Wir setzen uns im Sinne der Internetnutzer für eine durchsetzungsstarke gesetzliche Regelung ein“, so Schlömer von den Piraten. Wie diese gesetzliche Regelung am Ende aussehen soll, scheint noch unbekannt. DIE LINKEN fordern für eine Sicherung der Netzneutralität einen demokratischen Zusammenhalt in der Netzgemeinde: „Ein gemeinwirtschaftlich betriebenes Netz unter demokratischer Kontrolle der Nutzer − zum Beispiel in Genossenschaften − bietet diesen die Möglichkeit, über die Ausgestaltung und den Betrieb des Netzes mitzuentscheiden“, so Sebastian Koch, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik der LINKEN.

Netzpolitische Ziele der Parteien im Vergleich.

Netzpolitische Ziele der Parteien im Vergleich.

Internet für alle!

Das Motto aller Parteien in diesem netzpolitischen Wahlkampf ist definitiv „flächendeckender Breitbandausbau“ für alle. „Ziel ist es, in den nächsten Jahren eine lückenlose Breit­bandversorgung in der EU zu gewährleisten“, so Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piraten. Die FDP und die Grünen unterstützen ebenfalls diese Forderung. Ansatz aller Parteien ist es, den flächendeckenden Ausbau der Anschlüsse und Netze nicht nur in Großstädten, sondern vor allem auch in ländlichen Räumen vorzunehmen.

DIE LINKE spricht bereits von Breitband-Internetanschlüssen als gesetzlicher Universaldienst und fordert eine Mindestbandbreite von zehn Mbit/s gesetzlich festzuschreiben. Auch die SPD unterstützt schnelles Internet im Sinne einer Universaldienstverpflichtung. „Doch vor der gesetzlichen Festlegung einer konkreten Bandbreite muss zunächst ermittelt werden, welche Bandbreiten von einer Nutzermehrheit verwendet werden“, meint der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil.

Die CDU/CSU hat sich für einen schnellen Breitbandausbau nur scheinbar konkrete Ziele gesetzt: „Die Breitbandstrategie der Bundesregierung verfolgt das Ziel, dass bis Ende 2014 für 75 Prozent der deutschen Bevölkerung Hochgeschwindigkeitsinternet nutzbar sein wird und bis 2018 eine Flächendeckung mit mindestens 50 Mbit/s erreicht wird“, erklärt Michael Kretschmer. Die Schnelligkeit des zukünftigen „Hochgeschwindigkeitsinternets“ ist allerdings noch unbekannt, auch das „Wie“ bleibt im Dunkeln.

Das Urheberrecht im digitalen Wandel

Klar ist: Das Urheberrecht analoger Werke kann nicht unmittelbar auf digitale Werke im Netz angepasst werden. So dominiert das Stichwort „Modernisierung“ nahezu alle Parteiprogramme. Lediglich die CDU/CSU spricht von einer „Weiterentwicklung“ des Urheberrechts bezüglich Privatkopie, Umgang mit Rechtsverstößen der Nutzer und digitaler Verwertung. Ziel aller Parteien ist es, einen Interessensausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertungsgesellschaften im Internet zu schaffen. „Wir streben außerdem Maßnahmen zur Verbesserung der Lizensierung von urheberrechtlich geschützten Inhalten auf Internetplattformen an“, sagt  Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Urheber und Nutzer sollen somit gleichermaßen Online-Angebote und virtuelle Geschäftsmodelle im Internet fördern.

Auch DIE LINKE setzt neben einer Reform der Verwertungsgesellschaften auf neue Lizenz- und Vergütungsmodelle im Netz, wie zum Beispiel Creative Commons oder Crowdfunding. Daneben soll auch das Filesharing legalisiert werden: „Der angebliche Schaden durch nichtkommerzielles Filesharing ist deutlich geringer, als es uns die Medienkonzerne gerne glauben machen wollen. Vielmehr hat sich in den letzten Jahren daraus eine riesige Abmahnindustrie entwickelt“, meint Sebastian Koch, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik der LINKEN. Auch die Grünen wollen das Abmahnwesen beenden und die „digitale Privatkopie“ ermöglichen. Die Piratenpartei plant eine enorme Reform des Urheberrechts: Das Recht auf Privatkopie und die Erstellung von Remixes und Mashups wird erleichtert, Kopierschutzmaßnahmen abgeschafft und die Nutzung von Tauschbörsen legalisiert. Die FDP hingegen lehnt sich an bisher bestehende Strukturen im Urheberrecht an: „Für uns Liberale gilt allerdings weiterhin: Wer urheberrechtlich geschützte Werke verwenden will, muss eben den jeweiligen Rechtsinhaber fragen“, so Sebastian Blumenthal.

Netzpolitik zur Wahl

Die Volksparteien CDU/CSU und SPD setzen beim Thema Netzpolitik eher auf „Weiterentwicklung“ und „Unterstützung“ bisheriger Vorhaben. Konkrete Forderungen und gesetzliche Regelungen werden nicht überstürzt festgelegt. Auch die FDP beharrt beim Thema Urheberrecht und Netzneutralität gerne auf alte, bisherige Strukturen. Im Gegensatz dazu stellen die Grüne klare Forderungen beim Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung und Netzneutralität. Die konkretesten Forderungen zur Netzpolitik finden sich bei den Piraten und den LINKEN wieder, jedoch mit jeweils unterschiedlichen, politischen Ansätzen: Die Piratenpartei definiert sich vor allem über ihre Vorstellung einer digitalen und modernen Gesellschaft. DIE LINKE hingegen verbindet Netzpolitik mit ihrem sozialen Ansatz.

Text: Annika Hauke. Grafiken: Susann Kreßner & Clemens Sebastian Arnold.

<h3>Annika Hauke</h3>

Annika Hauke

Chefredakteurin