„Man verbessert die Welt nur, wenn man etwas tut. Deshalb ist Weltwärts so ein wunderbares Programm. Weil Menschen selber erleben – wie sie durch ihr Handeln, durch ihre Tätigkeit wirklich einen Beitrag leisten können.“ sagt Edelgard Bulmahn, ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, zum Publikum. Sie selbst hat einen Freiwilligendienst 1972/73 auf eigene Initiative durchgeführt, da es damals noch keine staatlichen Strukturen auf diesem Gebiet gab. „Dieses Jahr hat mich ungemein geprägt“, reflektiert sie in den Kreis der anderen Redner, die um sie herum auf dem Podium sitzen. In der Diskussion geht es um das Thema: Motivation finden, sich zu engagieren. Der Freiwilligendienst „Weltwärts“ wird hier oft als Beispiel genannt.
Der Freiwilligendienst Weltwärts
Zu Beginn: Ein Freiwilligendienst wird definiert als: „aus freiem Willen geleistete, oft etwa einjährige ehrenamtliche Tätigkeit für das Allgemeinwohl, meist im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich…” Einige der bekanntesten Freiwilligendienste in Deutschland sind der Bundesfreiwilligendienst (BFD), das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) und der genannte Weltwärts-Freiwilligendienst. Gemeinsam haben alle, dass sie durch den Bund gefördert werden. Bis auf den BFD sind sie mit einer Altersgrenze nach oben versehen und somit an junge Menschen bis 27 oder 28 Jahre gerichtet. Weltwärts hat den großen Unterschied, dass die Einsatzstellen für die Freiwilligen nicht im Inland liegen, sondern global verteilt sind. Am häufigsten wurden dabei Südafrika und Indien gewählt, es folgen Peru, Bolivien und Tansania. Seit dem Beginn des Programms 2008 sind rund 44.500 Freiwillige ausgereist.
Weltwärts als Chance
Zurück zur Podiumsdiskussion – Gegenüber von Frau Bulmahn sitzt Jannes Umlauf, Referent bei „Bildung trifft Entwicklung”. Eine Organisation, die nach eigenen Angaben Referenten:innen über das Thema „Globales Lernen” qualifiziert und an Bildungsveranstaltungen vermittelt. Er kritisiert, wie der Freiwilligendienst oft gesehen wird: Nicht das Narrativ „Ich gehe dahin und helfe” sei richtig, sondern „Ich gehe dahin, lerne, werde inspiriert und denke kritisch über mein Leben, Sozialisation und Privilegien nach.”
Sein Kollege Dr. Keith Hamaimbo sitzt neben ihm und hört ihm aufmerksam zu. Trotz der Kritik am weltwärts-Freiwilligendienst, ist er optimistisch eingestellt: „Der Grund, warum ich weltwärts so toll finde, ist, dass viele junge Leute zum ersten Mal die Chance erhalten, die Welt anders zu sehen.“ Er ist ebenfalls Referent bei „Bildung trifft Entwicklung”.
Das Bildungsprogramm wird von „Engagement Global” unterstützt. Ein öffentliches Unternehmen, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert und unterstützt wird. Es hat das Ziel, die „Entwicklungszusammenarbeit und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit sowie das bürgerschaftliche und kommunale Engagement“ zu fördern. „Engagement Global” war auch an der Organisation des Festivals beteiligt, auf dem die Podiumsdiskussion stattfand.
Dr. Keith Hamaimbo(links) und Jannes Umlauf(rechts) während der Podiumsdiskussion, Foto: Nicolas Lieback
Geburtstag in der Mitte Deutschlands
Anfang des Jahres 2023 bekam ich eine Einladung. Im Jahnstadion bei Göttingen feierte der Weltwärts-Freiwilligendienst sein 15-jähriges Bestehen. Auf dem Programmplan standen Sportangebote, Musik und Workshops. Für den Zeitraum vom 31. Mai bis zum 4. Juni waren aktuelle und ehemalige Teilnehmende des Freiwilligendienstes eingeladen. Ich war nach meinem Abitur 2020 in dem Programm angemeldet. Mein Jahrgang war eine Ausnahme, da die Covid-19 Pandemie die Ausreise verhinderte. Doch wie ist es normalerweise, an Weltwärts teilzunehmen?
Das Festivalgelände am Samstagnachmittag, Foto: Nicolas Lieback
Ein erfolgreicher Nord-Süd-Austausch
Nachdem die Podiumsdiskussion beendet ist, treffe ich Aileen vor dem Festzelt. Sie war, wie ich auch, Freiwillige bei Weltwärts gewesen. Im Gegensatz zu mir hat sie es aber aus Deutschland geschafft und war 2020 in Kolumbien. Während hinter uns umgebaut wird, erzählt mir Aileen über ihre Erfahrungen aus dem Jahr.
Was hat sie daraus mitgenommen? Zum einen persönliche Beziehungen zu Freunden aus Kolumbien. Zum anderen hat es ihr gezeigt, dass ihre Handlungen – auch wenn sie die Konsequenzen nicht direkt sehe, im globalen Kontext eine Bedeutung hätten. Dieses Verständnis für globale Zusammenhänge erleben viele ehemalige Teilnehmer. In einer Freiwilligen-Befragung aus dem Jahr 2020 gaben 95 Prozent der Teilnehmer an, dass sie einen positiven Einfluss auf ihr globales Verständnis bemerkten.
Aktuell engagiert sich Aileen auch weiterhin in Deutschland: „Ich arbeite bis heute bei meiner Trägerorganisation und habe ein Praktikum in einer Partnerorganisation gemacht. Weil ich da Mentoren hatte, bei denen ich mich wohlgefühlt habe, bei denen ich gemerkt habe, dass meine Stimme relevant ist.“ Dass Freiwillige sich nach der Rückkehr in Deutschland engagieren, ist Ziel des Programms. In den Wirkungsannahmen des Programms steht: „[Weltwärts] stärkt das persönliche, gesellschaftliche und berufliche Engagement der (ehemaligen) Freiwilligen für eine sozial-ökologische Transformation im Sinne der Agenda 2030.“ Engagement Global und das BMZ gehen also davon aus, dass sich die Ehemaligen langfristig in der Gesellschaft engagieren.
Ich frage Aileen, wie sie damals darauf aufmerksam geworden ist: „Ich habe in den Sommerferien vor dem letzten Schuljahr recherchiert, wie ich nach Südamerika kommen kann, ohne 15.000 Euro für einen Highschool-Austausch zu bezahlen. Dabei bin ich über die Übersicht von staatlich geförderten Freiwilligendiensten auf das Weltwärts-Programm gestoßen. Über die Website habe ich mir Projekte herausgesucht und bemerkte, dass ich mich erst bei verschiedenen Trägerorganisationen bewerben muss. In einer Organisation habe ich später ein Projekt gefunden, das mir gefallen hat.“ Nach der Schule ins Ausland zu gehen, ist der Normalfall. Der Anteil an Freiwilligen, die direkt nach dem Ende ihrer Schulzeit am Weltwärts-Programm teilgenommen haben, liegt bei 83 Prozent im Jahr 2020.
Agenda 2023
2015 verabschiedeten alle UN-Mitgliedsstaaten einen Plan für eine nachhaltige Entwicklung bis zum Jahr 2030. Dieser hat 17 Hauptziele, auch sustainable development goals (SDGs) genannt.
Jugendliche als Helfer
Einige Stunden später sitze ich mit vielen Menschen in einem der weißen Festzelte. Von draußen tönt Musik durch die Wände, der Soundcheck auf der Hauptbühne ist in vollem Gange. Drinnen wird gegen die Musik angesprochen, das Thema ist dabei: „Sind Freiwilligendienste noch zeitgemäß?“
Die Diskussion landet häufig bei der Qualifikation und Reife der Freiwilligen. Viele Menschen im Workshop sehen ihr Jahr kritisch. Es sei absurd, dass man in den Globalen Süden für Entwicklungshilfe geht, obwohl man selber gerade mal 18 ist. “Eigentlich hilft man sich selbst bei der Entwicklung“, meint eine Ehemalige. Außerdem seien die Freiwilligen unqualifiziert und verdienen ähnlich viel wie die Fachkräfte in ihren Einsatzstellen vor Ort. Währenddessen sei das Selbstbild des Helfers weit verbreitet. Dabei wäre die eigentliche Motivation oft: Reisen, Feiern gehen oder neue Sprachen lernen. Teilweise entspricht das auch der Wirklichkeit. Rund zwölf Prozent der Freiwilligen haben einen Abschluss außerhalb des Schulabschlusses, alle anderen kommen direkt aus der Schule. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 19 und 20 Jahren.
Eine Teilnehmerin schlägt vor, ältere Personen mit mehr Lebenserfahrung und Reife zu entsenden. Einem anderen ist es wichtig, dass für jeden Freiwilligen, der aus Deutschland in den Globalen Süden geht, einer aus dem Globalen Süden nach Deutschland kommt. Damit wäre der interkulturelle Austausch ausgewogener.
Globaler Süden
Beruht auf einem vielschichtigen Konzept, das die Welt in den Globalen Norden und Süden unterteilt. Der Begriff Globaler Süden soll zum einen den Begriff Dritte Welt ablösen. Denn in dieser Theorie gab es ab den 1990ern, durch den Kollaps der Sowjetunion, keine Zweite Welt mehr. Zum Zweiten beschreibt der Begriff wirtschaftlich benachteiligte Menschen, Regionen oder Länder. Zum Dritten beschreibt es Länder, die ehemalige Kolonien waren und aktuell durch die Globalisierung benachteiligt werden.
Blick aus dem Workshop-Zelt, Foto: Nicolas Lieback
Austausch auf Augenhöhe?
Tatsächlich gibt es ein Programm dieser Art bereits seit 2014. Damals ging der erste Jahrgang internationaler Freiwilliger nach Deutschland. Der sogenannte Süd-Nord-Austausch ermöglicht es Menschen aus Ländern, die in der DAC-Liste enthalten sind, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu machen. DAC steht auf Deutsch für den Ausschuss für Entwicklungshilfe, dieser gehört zur internationalen Organisation OECD. Die Liste enthält aktuelle „Entwicklungsländer und -gebiete“.
Leider sind auch nach fast zehn Jahren des Süd-Nord-Austauschs die Teilnehmerzahlen deutlich unter denen des Nord-Süd. Im Jahr 2022 entsandte Deutschland 2500 Menschen, nur 606 kamen mit dem Süd-Nord-Austausch nach Deutschland. Auch ist die Zahl der Organisationen, die einen Austausch in beide Richtungen ermöglichen, noch niedrig.
Von Uganda nach Deutschland
Auf der Bühne begrüßen die Veranstalter den 4000. Freiwilligen aus dem Süd-Nord Austausch. Sein Name ist Kenneth Tuhairwe, er lebte zuvor in Uganda. Nach dem Festakt setzen wir uns in Zwei der Liegestühle, die auf dem Rasen verteilt sind. In Uganda arbeitete er ehrenamtlich bei der Uganda Pioneers Association (APU). Seine Einsatzstelle in Deutschland, die Bahnhofsmission, unterscheidet sich davon wenig. Beide helfen Menschen, die in Not und auf der Straße leben.
Mit der APU in Uganda möchte er Kinder und Jugendliche von der Straße und weg von Drogen bringen. Er beschreibt seine Methode: „Giving words of hope and preach to them: There’s a life better than this.“ Die Jugendlichen sollen neue Fähigkeiten lernen und sich weiterentwickeln. „There is a saying in english: An idle mind is the devil’s workshop“, erzählt er begeistert.
Er meint, er könne viel aus dem Weltwärts-Jahr in Deutschland mitnehmen. Das will er dann bei seiner Organisation in Uganda einbringen. Auch über die Freiwilligen aus Deutschland freut er sich: „It’s amazing that people from Germany come to Uganda to help.” Er spricht auch viel darüber, wie dankbar er den verschiedenen Organisationen ist, die den Austausch für ihn und andere möglich machen. “I want to send my shoutouts to the weltwärts – it’s really really amazing.“ Wir verabschieden uns und bemerken dann, dass wir in die gleiche Richtung müssen.
Kenneth Tuhairwe – Freiwilliger bei Weltwärts, Foto: Nicolas Lieback
Zukunft des Programms
Es waren interessante und erlebnisreiche Tage in Göttingen. Mein Telefon ist um einige Kontakte voller geworden. Denn auch das gehört zu Weltwärts: Menschen aus Teilen Deutschlands kennenlernen, in denen man selbst nicht war. Gespräche über die noch immer noch vorhandenen Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern sind, nach meiner Erfahrung, Teil jeder Weltwärts-Veranstaltung. Ebenso die verschiedenen Lebensrealitäten in der Stadt und auf dem Land. Und so zeigen sich auch innerhalb des Landes bereits verschiedene Perspektiven. Trotz dessen, dass die Menschen selbst oft gar nicht so verschieden sind.
Denn auch das ist mir aufgefallen: Wie ähnlich sich viele Teilnehmer des Festivals waren. Ich habe selten so viele Medizinstudenten in einer Woche getroffen. Der Organisation “Engagement Global” ist das bewusst, auf dem Festival stellten sie ihre neue Engagementstrategie vor, darin wird auch der durchschnittliche Weltwärts-Freiwillige beschrieben: weiblich, Abitur, wählt ein sozialwissenschaftliches Studium, ist nicht-migrantisch und ist in den alten Bundesländern aufgewachsen. Jetzt sollen Maßnahmen entwickelt werden, um Weltwärts gesellschaftlich breiter aufzustellen. Hoffen wir auf eine gute Umsetzung und einen ebenso spannenden, aber vielfältigeren nächsten Geburtstag des Programms.
Text/Titelbild/Foto- Nicolas Lieback