Kultur ohne Kino

Wie ein Leben ohne Atmen

von | 21. Mai 2021

Sächsische Kinos in der Corona-Pandemie kämpfen um ihr Überleben.

Unsere Kulturzweige haben SEHNSUCHT. Die Corona-Krise verschlingt sie vollkommen. Kinos reihen sich in diese triste Realität ein. Säle sind unbesetzt. Filme werden aufgeschoben, Geistertickets angeboten. Mitarbeiter nach Hause geschickt. Ein absolutes Verlustgeschäft für Kinobetreiber. Wie sieht die aktuelle Lage in Sachsen aus und wie kommen die Kinos da wieder raus? 

ER ZIEHT DIE REIẞLEINE

Der Teppich: weg. Die Stühle: verkauft. Andreas Ronneberger, Kinobetreiber der Filmbühne Mittweida, renoviert derzeit sein Kino. Geld zu verdienen ist für ihn das  Eine, aber er hat sich diesen Job aus purer Leidenschaft ausgesucht.

„Die Beihilfegrenzen sind voll und es kommt keine Unterstützung über diese Grenzen hinaus. Das macht ja auch was mit einem“, resigniert Herr Ronneberger kurz, während er den in die Jahre gekommenen Teppich mit einem Cuttermesser aus seinem Kinosaal reißt. Fördermittel ermöglichen diese Renovierungsarbeiten. Die Hilfen gelten allerdings nur für kleine Kinos in Städten mit bis zu 50.000 Einwohnern. Große Kinoketten wie das Cinestar bekommen sie nicht. Die Überbrückungshilfen decken jedoch weder den  Lohn, noch das Kurzarbeitergeld ab, so Herr Ronneberger.

„Es ist eine ganz beschissene Situation. Letztes Jahr durften wir fünf Monate offen haben. Das  war unser Glück. Jetzt hat alles geschlossen.“ Depressiv zu werden, wäre für ihn das kleinste Übel. „Was helfen würde, wäre eine Perspektive. So kann es auch nicht weitergehen.“ 

Filmbühne Mittweida, Quelle: Andreas Ronneberger

EIN DRAMATISCHER EINBRUCH

So wie Andreas Ronneberger geht es derzeit vielen Kinobetreibern. Allein in Sachsen ist laut der Filmförderungsanstalt (FFA) der Umsatz 2020 um 64,1 Prozent eingebrochen. Einnahmen durch Ticketverkäufe schrumpften von rund 5,2 Millionen Euro auf knapp zwei Millionen Euro. Die Eintrittspreise sind von 8,38 Euro auf 7,91 Euro gesunken.

Dabei kommt Sachsen im bundesweiten Durchschnitt noch „am besten“ weg. In Bremen, Bayern und dem Saarland sieht die Situation mit über 70 Prozent Umsatzverlust deutlich finsterer aus. Ein dramatischer Einbruch für alle.

Statistiken Kinos in der Corona-Pandemie

Umsatzverluste und Eintrittspreisentwicklung in sächsischen Kinos
Quelle: Luzie Carola Rietschel

ZUKUNFTSMUSIK

Innerhalb des Zukunftsprogramms Kino II unterstützt die sächsische Landesregierung zudem ihre Kinos mit insgesamt 1,5 Millionen Euro. Zehn Millionen Euro werden hierbei von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt, um verschiedenste Corona Schutzmaßnahmen umsetzen zu können.

Laut der Bundesregierung soll das Zukunftsprogramm III starten, wenn die Kinos wieder öffnen können und eine gewisse Sicherheit für die längerfristige Planung des Spielbetriebs besteht. Die Kinohilfen unterscheiden sich bundesweit. Folgende Hilfen gibt es innerhalb Sachsens: 

SOFORTHILFE-ZUSCHUSS „HÄRTEFALL KULTUR“

Laut Ilka Hölzel vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) gilt es „über die  Krise hinaus bestehen zu bleiben, laufende Ausgaben bewältigen zu können, um nach der Krise weiter in Sachsen agieren zu können.“

Der Zuschuss soll zum Erhalt künstlerischer Strukturen und der Existenz von Kultureinrichtungen freier Träger in der Breite dienen. Der Zuschuss für Geförderte beträgt bis zu 10.000 Euro, bei höherem Liquiditätsbedarf bis zu 50.000 Euro. Die Förderung läuft zunächst bis Ende Dezember.

DIE GANZE GESELLSCHAFT KRANKT

Rainer Weber steht der Umgangsweise der Regierung mit den Kinos teilweise kritisch gegenüber. Dass es aufgrund der vielen Überprüfungen bedürftiger Kinos zu Problemen kommen kann, versteht er. Doch Unternehmen wie die Cinestar-Gruppe können sich hauptsächlich durch ihre Gesellschafter halten. Die angebotenen Förderhilfen reichen nicht aus. Der Staat unterstützt sie derzeit durch Kurzarbeitergeld.

Sein Alltag besteht zurzeit aus regelmäßigen Wartungen und Kontrolleinheiten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Keiner hat eine Glaskugel und weiß, wie die Pandemie endet. Menschen sind aber auch einfach unbelehrbar. Das ist der Egoismus der Menschen – die ganze Gesellschaft krankt.“

Herr Weber geht davon aus, dass die Folgen der Corona-Pandemie nicht spurlos an der Gesellschaft vorbeigehen werden. „Es kommt darauf an, wie sich die Menschen die Kultur zurückerobern. Wie sie diese Freiheit nutzen.“ Er hofft, dass die Menschen nicht vor dem Fernseher sitzen bleiben, sondern wieder rausgehen und am Leben teilhaben. „Der Hunger wird da sein. Das Kino wurde schon so oft tot gesagt – zum Beispiel bei der Einführung der Videokassette. Das wird nicht passieren. Kino wird sich neu erfinden müssen.“ 

*Disclaimer: Es handelt sich hierbei um die persönliche Meinung Rainer Webers. Diese steht unabhängig zu seiner Position als Theaterleiter und Area Manager D-Ost der Cinestar-Gruppe.

KONFERENZ IM KINOSESSEL

Das Cinestar wird zukünftig Alternativen zum üblichen Kinoprogramm anbieten. Dazu zählen Vermietungen von Kinosälen für entsprechende Veranstaltungen.

„Unsere Kinos sind zum größten Teil in zentraler Innenstadtlage. Wir haben große Säle. Es gibt Möglichkeiten fürs Catering, Smalltalk oder die Nutzung der Kinosäle als Konferenzräume.“ Herrn Weber zufolge werden solche Alternativen immer wichtiger werden. Trotz der vielen Einschränkungen schaut er positiv in die Zukunft.

ICH HABE DAS KINO EINGEFROREN

Videoquelle: Interview mit Bernhard Reuther vom Zentralkino Dresden (Stand: 9.3.2021)
Thumbnail: Fotomontage – Bernhard Reuther und Vorhang

MAN HAT NICHT MEHR VIELE MÖGLICHKEITEN ALS ZUSCHAUER

Videoquelle: Interview mit Beate Frech-Döring, Maret Wolff und Egmont Elschner (Stand: 25.3.2021)
Thumbnail: Fotomontage – Maret Wolff und Vorhang

WIR VERLERNEN, DASS MAN ETWAS GEMEINSAM TUN KANN

Im letzten Jahr konnte das Internationale Filmfestival Schlingel unter gegebenen Hygienemaßnahmen stattfinden.

„Wir hatten das große Glück, dass ein Festival wirklich die Möglichkeit schafft die gemeinschaftliche Begegnung im Kino umzusetzen“, berichtet Michael Harbauer, Direktor des Internationalen Filmfestivals. Kino macht für ihn Nähe und Konzentration aus. Ohne Kinos gäbe es keine Festivals wie dieses.

Wer an lokale Marken glaubt, wird diese auch zukünftig unterstützen. Für dieses Jahr ist das Festival für den Zeitraum vom 9. bis 16. Oktober geplant.

THE SHOW MUST GO ON

„Die Corona-Pandemie wird massive und anhaltende Auswirkungen auf die gesamte  Wertschöpfungskette der Kultur- und Kreativwirtschaft haben“, heißt es in der von Ernst &  Young (EY) erstellten Studie „Rebuilding Europe“. Drei Herausforderungen gehen aus  dieser Studie hervor:

„Finanzieren"

„Stärken"

„Als Multiplikator nutzen".

GEMEINSAM SIND WIR STÄRKER

Videoquelle: Pavel Danilyuk

Kinobetreiber – wie unter anderem Maret Wolff – brauchen Unterstützung seitens der  Regierung, Gesellschafter, Förderer und Gäste. Tickets und Gutscheine kaufen,  Spenden geben und Crowdfunding Aktionen wie die des Metropols sind einige der aktuellsten Hilfsmöglichkeiten. 

Loge oder Parkett? Popcorn: süß oder salzig? Doch lieber Nachos? Der flauschige  Kinosessel lädt zum Versinken in eine völlig andere Welt ein.  Letztendlich bleibt allen Hoffnung: In nicht allzu ferner Zukunft die Kinokultur  leibhaftig, mit allen Sinnen und in ihrer schillernden Vielfalt vor Ort wieder erblühen zu  lassen.

HIER KÖNNT IHR DIE PROTAGONIST*INNEN UNTERSTÜTZEN

Collage Kino Protagonist:innen

Andreas Ronneberger
Filmbühne Mittweida

Rainer Weber
Theatre Manager Leipzig
Area Manager D-Ost

Bernhard Reuther
Zentralkino Dresden

Maret Wolff
Metropol Chemnitz

Beate Frech-Döring
Referentin
Stadt Chemnitz Dezernat 1

Egmont Elschner
Kulturexperte
Vorsitzender des Kulturbeirats Chemnitz

Michael Harbauer
Direktor des Internationalen Filmfestivals für Kinder und junges Publikum SCHLINGEL

Text: Luzie Carola Rietschel, Titelbild: Popcorn, Videos: Luzie Carola Rietschel

*Jedes der verwendeten Interviews wurde aus qualitativen, technischen und zeitlichen Gründen geschnitten. 

 

<h3>Luzie Carola Rietschel</h3>

Luzie Carola Rietschel

studiert im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Sie ist eine passionierte Künstlerin, Leiterin der Bildredaktion für medienMITTWEIDA und arbeitet zurzeit als Werkstudentin in einer Werbeagentur.