Extinction Rebellion

Wie ticken die Klimakleber?

von | 12. Januar 2024

Zwei Tage unter den Aktivisten. XR blockiert Dresden - wir mittendrin.

Eine Bewegung aus England, die die letzten Jahre immer mehr nach Deutschland übergeschwappt ist – Extinction Rebellion, kurz XR. Sie beschreiben sich selbst als Ziviler Ungehorsam für eine radikale Klimapolitik, gewaltlos und kreativ. Aber wie ticken die Leute hinter der Klima-Protest-Bewegung? Und wie wird man selbst Teil der Bewegung? Wir waren beim Aktivisten-Einstiegsabend und einer Straßen-Blockade in Dresden, bei der uns ein bekanntes Gesicht begrüßte. 

Digitales Onboarding: Die ersten Schritte in den Aktivismus

Unsere Bildschirme flimmern und auch wir sind schon angespannt. Mit der Frage, was uns gleich erwarten möge, starren wir auf ein Online-Konferenz-Tool. Big-Blue-Button, hier soll heute ein Einstiegsabend von Extinction Rebellion abgehalten werden. Einer von etlichen, die wir online gefunden haben. „Onboarding“ nennen sie das auch. Erinnert uns eher an den überrannten Check-In am Flughafen.

Überrannt ist hier aber nichts. Es ist kurz vor 18 Uhr. Nur wir und der Meeting-Host selbst sind da. Irgendwie enttäuschend, aber auch verständlich, wenn wöchentlich solche Meetings stattfinden. Der Leiter, ein 51-jähriger Mann, erzählt uns von seiner „Klimaangst“. Daher möchte er selbst etwas tun. Mehr als zwei Jahre ist der Aktivist nun schon bei XR tätig. Für ihn sei das Gefühl „wirksam zu sein“ ganz besonders wichtig. Gleichzeitig erzählt er bedrückt von gesunkenen Teilnehmerzahlen an den Events.

Mittlerweile ist es schon kurz nach 18 Uhr. Es haben sich noch zwei neue Leute dazugeschaltet. Eine davon weiblich, kommt aus Hamburg und ist 21 Jahre alt. Zugeschaltet ist sie ohne Mikrofon. Die Kommunikation führt sie über den Chat. Der Andere ist wohl selbst schon bei XR aktiv. Er begrüßt den Leiter und stellt sich vor. Die beiden kennen sich nicht, haben nur etwas voneinander über die Arbeit bei XR gehört. Wie sich herausstellt, ist er seit Anfang des Jahres bei der Bewegung aktiv, hatte sich vorher schon bei Fridays for Future engagiert. Er kommt aus Berlin und ist deutlich jünger als der Meeting-Leiter, Mitte 20 schätzen wir.

XR setzt auf gewaltfreien Protest. Ihre Grundwerte sind auf den Plakaten festgehalten © Extinction Rebellion Global Media Ressource

Ungefähr zehn Minuten verspätet starten wir nun endlich in die Präsentation. Der jüngere der beiden Aktivisten ergreift das Wort. Auf der Agenda stehen Punkte wie Werte, Prinzipien und Forderungen der XR. Die ersten Folien sind dabei jedoch gespickt mit Aufforderungen und den stereotypischen Plakat-Sprüchen, begleitet von Zeichnungen und Karikaturen: „Sagt die Wahrheit“ oder „Handelt jetzt! Jeder Tag zählt!“ Außerdem ergänzt der andere Leiter, dass nur jene, die nach den Grundwerten von XR handeln, auch als vollwertiges Mitglied anerkannt werden. Als Ziel der Organisation nennen die beiden die Bereitstellung von Bürgerräten in Deutschland. Dies soll so funktionieren, dass willkürlich Leute aus der Bundesrepublik ausgelost werden, die dann Klima-Vorschläge an die Regierung bringen, welche unbedingt ausgeführt werden müssen. Sie wollen damit „gegen Lobbyarbeit vorgehen“ und sehen „die Demokratie als gestärkt“ an.

Dreiklang XR: Legalität, Ungehorsam und Engagement

Nachdem nun die Organisation vorgestellt ist, kommen wir gegen 19 Uhr zu einem der wichtigsten Punkte des Abends, den Aktionsbereichen. Uns wird erklärt, dass es insgesamt vier Abstufungen der Risikobereitschaft gibt, um an Events von Extinction Rebellion teilzunehmen. Wir sind plötzlich aufgeregt, denn darauf hatten wir den ganzen Abend gewartet. Der sogenannte Aktionsbereich null ist dabei alles, was legal und angemeldet stattfindet. Auch logistische Beschäftigungen zählen dazu. Aktionsbereich eins umfasst dann bereits unangemeldete Demos, die aber bei der Aufforderung der Polizei aufgelöst werden.

Ab Aktionsbereich zwei befände man sich aber schon innerhalb der Ordnungswidrigkeiten und sei bereit, in Gewahrsam genommen zu werden. „Ich hatte das auch schon mal, durfte dann aber nach zehn Minuten wieder auf freien Fuß“, erzählt der jüngere Leiter. Zu Aktionsbereich drei zählen dann „alle außergewöhnlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams“, erklärt der ältere Leiter. Alles, was es der Polizei besonders schwierig macht, die Versammlung aufzulösen und Aktivisten zu entfernen. Darunter zählen, sich selbst mit Fahrradschlössern um den Hals anzuketten oder mit Sekundenkleber an allen möglichen Oberflächen festzukleben.

Aktionsbereich drei zeichnet sich durch außergewöhnlichen, teils auch kreativen, zivilen Ungehorsam aus. © Extinction Rebellion Global Media Ressource 

Beide Gruppenleiter unterbrechen die Präsentation mit der Frage, in welchem Aktionsbereich wir uns selbst einbringen würden. Ein Teilnehmer, der vor wenigen Minuten noch dazugekommen ist, schreibt im Chat, dass er die Bereiche mit der höchsten Risikobereitschaft vorzieht. Einer der Leiter betont auch hier, dass die Organisation für mögliche Kautionen für die Freilassung aufkommt. Daraufhin fragen wir nach, ob ein solches Engagement sich negativ auf die eigene Karriere auswirken kann. Der Leiter antwortet darauf, dass „nur schwerere Vergehen in das Führungszeugnis aufgenommen werden. Hauptsächlich also Sachen aus Aktionsbereich drei.“ Der jüngere der beiden ergänzt zudem, dass man sich auch an die juristische Arbeitsgruppe wenden könne, um solche Fragen zu klären.

Arbeiten für Extinction Rebellion

Insgesamt gibt es bei XR 16 solcher Arbeitsgruppen. Unter anderem für Finanzen, Presse oder Training. Die beiden Leiter befinden sich in einer Arbeitsgruppe, die sich um die Akquise neuer Mitglieder sorgt. Das leuchtet uns ein. Die beiden wirken sehr routiniert in ihrer Sache und machen das heute definitiv nicht zum ersten Mal. „Die Stellen sind dabei alle ehrenamtlich“, erklärt der ältere Leiter. Um sich mit Leuten aus seinem Umfeld zu vernetzen, gibt es zusätzlich noch die sogenannten „Ortsgruppen“. Der Gast, der sich auch für den Aktionsbereich drei gemeldet hatte, fragt nach, ob es mal „Interesse an einer politischen AG“ gegeben hat. Die Leiter antworten darauf, dass ja grundsätzlich alles politisch ist, was bei XR abläuft. Sie ergänzen aber, dass neue Ortsgruppen gern und von jedem Mitglied eröffnet werden können. Das Beteiligen an einer Arbeitsgruppe sei zudem sehr einfach. Eine Einstiegshürde gäbe es nicht wirklich. Jeder mit Interesse dürfe sich bewerben und „wird auch eigentlich immer genommen“, erklärt der 51-jährige Leiter.

Es ist mittlerweile kurz vor 20 Uhr und der Einstiegsabend neigt sich langsam dem Ende zu. Die beiden anderen Gäste scheinen sehr überzeugt zu sein. Die 21-jährige Hamburgerin hat bereits ihre Kontaktdaten weitergegeben, um in den Telegram-Chat ihrer Ortsgruppe aufgenommen zu werden. Und auch der risikobereite Anwärter zeigt sich sehr zufrieden mit der Veranstaltung und vernetzt sich über den Leiter des Meetings. Die beiden schreiben auch, dass sie sich schon eine Arbeitsgruppe ausgesucht haben, an der sie teilnehmen wollen. Von uns abgesehen hat das Treffen 100 Prozent der Beteiligten überzeugt. Das hätten wir nicht erwartet. 

Einer der Leiter verweist auf den zweiten Teil des Onboardings. Dieser findet dann aber in den jeweiligen Ortsgruppen in Präsenz statt. Dort gäbe es dann auch tiefere Informationen und auch erste Trainings, als Vorbereitung auf die XR-Aktionen. Neben den extravaganten Aktionen wie dem Färben der Kanäle in Venedig oder dem Anzünden von Weihnachtsbäumen unternimmt XR auch Straßenblockaden oder Demonstrationen. Diese finden regelmäßig unter anderem in Dresden statt. Am Donnerstag, dem siebenten Dezember, waren wir bei solch einer Straßenblockade live dabei.

Treffpunkt Goldene Pforte

Wir treffen uns pünktlich sechs Uhr in Mittweida. Zum Frühstück gibt’s was auf der Autofahrt Richtung Dresden bei der Tanke. Am Pirnaischen Platz angekommen, lösen wir unser Parkticket. Wir bezahlen bis dreiviertel zehn, wer weiß, was heute noch passiert. Geplant ist die Blockade von 8:15 Uhr bis 9 Uhr. Ungefähr 7:45 kommen wir eine halbe Stunde zu früh am Treffpunkt an. Gähnende Leere. Nur ganz viel kalter Wind, zwei Grad sind es heute gerade mal. Von den Aktivisten ist weit und breit keine Spur. Das ändert sich jedoch kurz vor acht Uhr, als die ersten vier Leute – überwiegend ältere – eintreffen. Einen von ihnen erkennen wir sofort. Lange, graue Haare. Zur Absicherung googeln wir noch einmal. Es ist tatsächlich Christian Bläul, der als Vollzeitaktivist über Dresden hinaus bekannt ist und dafür auch schon hinter schwedischen Gardinen saß.

Ein Polizeiwagen kommt kurz nach acht angefahren, Polizisten steigen aus. Die Beamten gehen mit den Aktivisten eine Belehrung durch. Mittlerweile trudeln auch immer mehr Leute am Treffpunkt ein. Die meisten kommen zu Fuß und ein paar mit dem Fahrrad. Nun ist es viertel nach acht und die Gruppe zählt 18 Personen. Sie gehen nochmal ihre Handzeichen durch. Die ersten Aktivisten schauen in Richtung der angestrebten Kreuzung. Es geht los, die Gruppe setzt sich gemeinsam in Bewegung zum Aktionsort. Auch wenn wir uns vorher schon bei Bläul für die Veranstaltung angemeldet hatten, folgen wir erstmal mit Abstand.

Die Handzeichen sind unter den Aktivisten bereits bekannt. © Extinction Rebellion Global Media Ressource 

Mit Bonbons und Flyern gegen den Klimawandel

An der Kreuzung Pirnaischer Platz angekommen, erwartet uns ein überraschend großes Aufgebot von Polizisten, wir zählen sieben Beamte. Wie ein Begleitschutz positionieren sich jeweils an der Front und am Ende der Gruppe Beamte und gehen gemeinsam auf die erste Straßenseite. Die Fußgängerampel schaltet bereits auf Rot um, die ersten Schilder werden sichtbar vorgehalten und ein Globus wird in der Straßenmitte platziert. Einer der Aktivisten erzählt uns, dass der Globus für die globalen Grenzen steht und „dass es ja nur einen Planeten gäbe“. Also ein Denkanstoß. Christian Bläul verteilt derweil mit einem weiteren Aktionsteilnehmer Flyer und Bonbons an die im Stau stehenden Autofahrer.

Bonbons und Flyer des Protesttages gab es nicht mehr. Aber Christian Bläul hatte noch einen ähnlichen Flyer dabei. © Benjamin Pohl

Drei Ampelphasen später löst die Gruppe den Stau auf. Sie gehen 20 Meter weiter zur nächsten Ampel. Hier wieder das gleiche Spiel. Die Fußgängerampel wird grün, die Straße wird blockiert, die Autofahrer werden angesprochen. Diese bleiben alle aber ziemlich ruhig, als würden sie das Prozedere schon kennen. Nur ein paar wenige beschweren sich mit Rufen wie „Habt ihr denn keine Arbeit?“ Reagiert wird darauf mit einem Schmunzeln und einem einfachen „Doch.“ Die meisten Teilnehmer haben Berufe mit flexiblen Arbeitszeiten, erzählt uns einer der Aktivisten. Einige sind Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, ein anderer arbeitet bei der Stadt Dresden.

Die Polizei unterbricht die zweite Blockade und gibt eindeutige Zeichen, weiterzuziehen. Ein paar Sekunden nach der Auflösung ist ein Martinshorn zu hören. Ein Krankenwagen in der Ferne bahnt sich den Weg durch den dreispurig verursachten Stau. Wenn auch etwas schleppend, schafft er es über die Kreuzung. Wir fragen uns, was eine Minute früher passiert wäre.

Die letzten zwei Blockaden werden angepeilt. Neben ein bis zwei Beschwerden seitens der Autofahrer bleibt der Verlauf ähnlich. Einer steigt aber sogar aus seinem Wagen aus und geht den Weg bis vor an die Kreuzung, um lautstark seine Meinung zu manifestieren. Neben vereinzeltem Gehupe zeigen die Fahrer auch überraschend viel Verständnis. Wie uns Bläul später erzählt, kam er mit vielen Autofahrern ins Gespräch. Nach der Blockade reden die Aktivisten noch untereinander. Wir gesellen uns zu ihnen. Viele reden über kommende Aktionen oder gemeinsame Treffen. Eine Studentin spricht mit uns über ihre mehr als 100 Seiten umfassende Bachelorarbeit über das weltweite Klima-Problem. 

„Blumenstrauß als Aktionsformat“

Mit der Zeit verschwinden einige, sie müssen zur Arbeit. Christian Bläul hat noch etwas Zeit für uns. Seinen Job als Software-Entwickler hat er für den Aktivismus gekündigt. Er habe schon viele Arten des Protests in seiner Zeit bei XR ausprobiert. „Eigentlich wollen wir ja nicht stören“, erzählt er uns der geborene Dresdner zu den Straßenblockaden, „Der Autofahrer selbst kann ja nichts wirklich dafür.“ Vor allem das politische „gehört werden“ soll durch den öffentlichen Auftritt gesteigert werden. Das Nicht-Ankleben und die Drei-Ampelphasen-Blockade seien ein Kompromiss mit dem Gesetz. „Das, was wir hier in Dresden machen, ist ja so gesehen der Blumenstrauß als Aktionsformat“, erzählt der 41-Jährige lächelnd. Alles, was freundlich ist und nicht die Leute stört, würde nicht gehört werden, erklärt er uns.

Er will auch nicht mit erhobenem Zeigefinger vorausgehen: „Nach dem Motto, ihr macht das falsch und das hier ist richtig. Wir wollen, dass sich politisch was ändert.“ Für ihn sei Klima eine „Gerechtigkeitsfrage“ und wer will, kann sich mit ihm und den Bewegungen solidarisieren. Auch so macht Bläul auf uns einen vernünftigen Eindruck als Person. Seine Ernsthaftigkeit und Bereitschaft gegenüber den Aktionen beweist er mit seiner Abwägung, auch wieder ins Gefängnis kommen zu können. Das solle zeigen, wie viel er bereit ist einzugehen. Wir verabschieden uns von Christian Bläul und gehen flott Richtung Parkplatz, denn wir haben unsere extra Parkzeit nun voll ausgeschöpft.

Allgemein haben uns die Menschen vor Ort überrascht. Zum einen die doch sehr ruhigen und kooperativen Autofahrer, als auch die Aktivisten selbst. Machten sie doch eigentlich alle einen überwiegend vernünftigen Eindruck im Gespräch. Unterstützen können wir ihre Maßnahmen deshalb trotzdem nicht wirklich. Auch die Lösung mit den Bürgerräten finden wir nur schwer umsetzbar. Wir machen uns auf den Heimweg und steigen ins Auto. Jetzt wo der Verkehr wieder rollt, sind wir auch ruck zuck wieder zu Hause. 

Text: Michéle Jasmin Kunze, Benjamin Pohl

Titelbild: Extinction Rebellion

<h3>Benjamin Pohl</h3>

Benjamin Pohl

ist 21 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Seit dem Wintersemester 2023/2024 engagiert er sich wieder als Redakteur und Lektor bei medienMITTWEIDA.