Crossdressing

Provozierend, riskant und der Zeit voraus

von | 7. Mai 2021

Wie Crossdressing auch heutzutage noch Gendergrenzen bricht.

 „Kleider machen Leute“ – Diesen Spruch kennt jeder. Wir Menschen neigen dazu, unsere Persönlichkeit durch das eigene Erscheinungsbild für die Außenwelt sichtbar machen zu wollen. Ob durch das Tragen bestimmter Farben, Marken, Kleidungsschnitte oder Motive. Die Wahl liegt ganz bei uns und doch irgendwie auch nicht.

Ein Teil unserer menschlichen Grundbedürfnisse ist es, soziale Anerkennung zu bekommen. Dabei spielt beim Thema Kleidung, neben dem Persönlichkeitsaspekt, auch ein weiterer Faktor eine bedeutsame Rolle: Die gesellschaftliche Kategorisierung. Schon unsere Vorfahren nutzten Kleidung als Mittel dafür. Dies konnte und kann heute noch enormen sozialen Druck auslösen. Egal ob bei der Farbverteilung der mittelalterlichen Ständeordnung oder der Unterscheidung von Mann und Frau durch Hose und Kleid. Diese Grenzen findet man überall in der Geschichte und sie wurden oftmals durch festgeschriebene Gesetze gestützt. Doch hin und wieder haben mutige Menschen diese Ordnung auf die Probe gestellt.

Der Wunsch nach Freiheit

Sogenannte Crossdresser überschreiten die fein gezogene Linie, mit der wir bis heute die Bevölkerung, sei es bewusst oder unbewusst, in Gruppierungen unterteilen. Der Begriff des Crossdressings, also dem wörtlich übersetzten „Überkreuztragen“, meint: genau die gegensätzliche Kleidung zu tragen, die dem Rollenbild des eigenen Geschlechts zugeordnet wird. Außerdem können dazu auch Make Up, Frisuren oder eine Kombination aus typisch männlicher und weiblicher Kleidung zählen. Etabliert hat sich der Begriff in den 1970er Jahren während der Anfechtung von  Anti-Crossdressing Gesetzen. Diese Vorschriften lassen sich auf Sumptuargesetze zurückverfolgen, welche besagten, wie man sich nach Klasse, Geschlecht oder Abstammung zu kleiden hatte. Da zu diesem Zeitpunkt eine große Transgender-Debatte aufkam, wurde von diesem Begriff auch dort Gebrauch gemacht. Oftmals wird Crossdressing noch immer nur mit der Transidentität verbunden. Jedoch wird das der Vielschichtigkeit dieses Phänomens nicht gerecht, denn die Beweggründe sind sehr unterschiedlich. Crossdresser können trans sein, aber die Transidentität ist noch lange kein Merkmal des Crossdressings. Die Gründe des kreuzens der Kleidung reichen von der Lust am Verkleiden über Flucht vor gesellschaftlicher Ungerechtigkeit, Ausdruck des individuellen Modestils bis hin zum politischen Protest.

Im folgenden Video wird nochmal genauer auf die Illegalität von Crossdressing in früheren Jahren eingegangen.

Leben für die einen, Tod für die anderen

Crossdressing ist so alt wie unsere Kleidung selbst. Eine der ältesten Geschichten stammt aus der skandinavischen Mythologie. In „Die Heimholung des Hammers“, verkleiden sich Thor und Loki als Braut und Brautjungfer für den Riesen Thrymr, da dieser Thors Hammer gestohlen hat. Mit dieser Täuschung schafft er es, seinen Hammer zurückzuerlangen. Doch so einfach das Crossdressing in dieser Geschichte auch klingen mag – das war es nicht. Vor allem Männer hatten offensichtliche Schwierigkeiten. Der Bartwuchs stand ihnen am ehesten im Weg, denn dieser hat die überschrittene Grenze für andere Menschen deutlich sichtbar gemacht. Und sobald diese gefühlte Andersartigkeit dem Umfeld bewusst wurde, konnte schnell ein Urteil gefällt werden. Kein Wunder also, warum Crossdressern oft mit Spott und Misstrauen begegnet wurde.

 

Frauen waren wiederum mit Crossdressing sehr erfolgreich. Sie hatten jedoch auch andere Motive. Drohende Vergewaltigung, geringe Bildungschancen, Zwangsheirat und unzureichender Rechtsschutz sind nur einige der vielen Gründe, weshalb sie Wege finden mussten, sich angenehmere Lebensbedingungen zu schaffen. Crossdressing half ihnen dabei und die Vorteile, welche sie dadurch erlangen konnten, waren fast grenzenlos. Vorausgesetzt sie wurden nicht entdeckt. Vor allem im 15. und 16. Jahrhundert trat das Phänomen in Europa sehr häufig auf. Einige trugen die Kleidung von Männern nur kurzzeitig, um beispielsweise Misshandlungen zu entkommen. Andere wiederum trugen sie dauerhaft, um unabhängig sein zu können und sich ein Leben nach ihren Vorstellungen aufzubauen. Heute sind nur die Fälle bekannt, die auch verurteilt wurden. Da sie nach damaliger Auffassung der „göttlichen Fügung“ zuwiderhandelten, drohte oftmals die Todesstrafe. Mit der Begründung, dass diese Art zu leben eine Gefahr darstelle und sowohl die gesellschaftliche Hierarchie als auch die Funktion der Ehe bedrohe. Rückblickend war die Dunkelziffer wahrscheinlich deutlich höher. Außerdem lässt sich nicht einordnen, ob diese Menschen nach unserer heutigen Auffassung hetero-, homo-, inter- oder transsexuell waren. Dafür gibt es zu wenige Quellen. Außerdem machen die verschiedenen Lebensumstände einen einordnenden Vergleich unmöglich, da sich unsere Zeit zu sehr von den damaligen Verhältnissen unterscheidet.

Egal wie oft versucht wurde Crossdressing als abnormal darzustellen, es verlor niemals an Bedeutung. In einer Fotogalerie, gefördert vom Arts Council England, findet man beispielsweise eine sehr einzigartige Ausstellung des Filmemachers und Fotografen Sébastien Lifshitz. Dieser hat bereits in jungen Jahren damit angefangen, auf Floh- und Trödelmärkten alte Fotografien von Crossdressern zu erwerben. Heute kann man Teile seiner Sammlung bestaunen.

“Everybody thinks that the past is more conservative, more rigid, very strict, but it’s more complex than this. Rebellious spirit has existed always.”

„Jeder denkt, dass die Vergangenheit sehr konservativ, steif und streng war, aber es ist viel komplexer als das. Der rebellische Geist hat schon immer existiert.“

Sébastien Lifshitz

Fotograf

Wir leben in revolutionären Zeiten

Das amerikanische Model Rain Dove bezeichnet sich selbst als Gender-Kapitalistin. Das bedeutet, dass man mit Hilfe der eigenen Wandelbarkeit das Beste aus sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen Rollenbild hervorholt. In einem Vortrag bei TEDx, im Jahr 2017, hat Rain das Konzept des Gender-Kapitalismus angesprochen. Sie beschrieb es, als befände sie sich auf der Titanic: während das Schiff fährt, würde sie die Kleidung eines Mannes wählen, um auf dem Schiff als Matrose arbeiten zu können und mehr Geld zu verdienen als andere weibliche Crew-Mitglieder. Wenn das Schiff jedoch untergeht und es heißen würde „Frauen und Kinder zuerst“, würde sie sich sofort die Kleidung vom Leib reißen und rufen: „Hier! Rettet mich!“. Durch diese Herangehensweise konnte Rain sich im eigenen Leben sehr oft Vorteile verschaffen. Beispielsweise wenn sie einen Club besuchen möchte: Dort kommt sie zu Beginn des Abends möglichst feminin gekleidet an, um Vorteile wie einen schnellen Einlass oder den ein oder anderen spendierten Drink zu genießen. Wenn der Abend jedoch zu Ende geht und sie sich auf den Heimweg begibt, verändert sie ihre Körperhaltung und wirft sich ihre Geheimwaffe über – eine eher maskuline Jacke. Durch die Kombination von Ausdruck und Kleidung, umgeht sie die Gefahr, auf dem Heimweg sexuell belästigt zu werden.

Vor allem auf dem Laufsteg stellt Rain die geschlechtsspezifischen Grenzen tagtäglich in Frage und zeigt somit, was mit Crossdressing möglich ist. So macht sie deutlich, wie fragil die Stereotypen „Mann“ und „Frau“ sein können. 

Mittlerweile ist es normal geworden, dass Frauen Hosen tragen oder bei öffentlichen Anlässen auch hin und wieder in einem Anzug erscheinen. Die geschlechtsspezifischen Stereotypen herrschen jedoch immer noch verstärkt vor, wenn ein Mann einen Rock trägt, sich die Nägel lackiert, die  “Mädchenfarbe” Pink wählt oder sich schminkt. Die klischeehaften Bilder wird man nicht so einfach los, weshalb es umso wichtiger ist, ihnen entgegenzutreten.

“In Russia I got death threats because I was wearing a skirt. The first thing I did when I landed in Moscow was put on a dress and go to Red Square to get a picture.”

„In Russland habe ich Morddrohungen bekommen, weil ich einen Rock trug. Als ich in Moskau gelandet bin, habe ich mir daraufhin als erstes einen Rock angezogen und bin zum roten Platz gegangen, um ein Foto zu schießen.“

Yungblud

Musiker

Der britische Alternative-Punk/Rock Musiker Dominic Harrison, besser bekannt als „Yungblud“, hat mit Hilfe seiner Fans eine ganze Community aufgebaut, welche unter anderem Crossdressing unterstützt. Die Mitglieder des sogenannten Black Hearts Club verfolgen das Motto: Sei du selbst, unterstütze andere, höre zu und schafft gemeinsam einen sicheren Raum. Genau dieser Raum ist essentiell, als ein Zufluchtsort für Menschen, die sich in ihrem tagtäglichen Umfeld nicht sicher fühlen. Als eine Art Leitfigur geht Dominic durch die Welt und motiviert andere Menschen, das zu tun und zu tragen, worauf sie Lust haben. Ob kurzes Kleid, Korsett oder Lippenstift. Hauptsache einzigartig, kreativ und wandelbar, damit die Message ankommt. Auf der Bühne zeigt er wie einfach es sein kann, sich auch als Mann in einem Kleid attraktiv zu fühlen. Durch diese Form des musikalischen und politischen Protests macht er auf all die Menschen aufmerksam, die sich missverstanden, ausgeschlossen, verurteilt oder alleingelassen fühlen. Er verwendet „Yungblud“ außerdem nicht nur als Künstlernamen, sondern auch als einen Namen für genau diese Bewegung, die mit gemeinsamer Kraft etwas in der Welt verändern möchte.

Instagram: Yungblud 2019

Und diese Veränderung wird Stück für Stück spürbarer. Ende letzten Jahres zierte der Sänger Harry Styles das Cover der britischen Vogue. Das Besondere daran: Er trug dabei ein Kleid. Und das in einer Modezeitschrift, welche fast nur Frauen für ihre Cover wählt. Mit dieser Aktion nimmt er eine große Vorbildfunktion ein und verdeutlicht welche Nachteile mit den traditionellen Stereotypen einhergehen. Kleidung ist genauso wandelbar wie die Person, die sie trägt und genau das macht den Unterschied aus. Denn Crossdressing beschränkt sich nicht nur auf die Kleidung. Es ist ein Ausdruck gegen die imaginären Grenzen in unseren Köpfen und eine Form von Freiheit, Kreativität und Individualität.

Text: Valerie Haß, Titelbild: Luzie Carola Rietschel, Bild: Instagram/Yungblud, Videos: YouTube/Origin of Everything,  YouTube/Mashable

<h3>Valerie Haß</h3>

Valerie Haß

studiert im vierten Semester Medienmanagement mit der Vertiefung Production. Sie kommt aus der Bärenstadt Torgau und verbringt ihre Freizeit am liebsten in Kinosälen oder Buchläden.