Fussball Weltmeisterschaft

Katar! Katar! Katar! FIFA! FIFA! FIFA!

von | 18. November 2022

Am Sonntag ist es so weit: Die WM beginnt. Wieso eigentlich Qatar und sollte man die WM boykottieren? – Ein Kommentar

An den letzten Bundesligaspieltagen waren vor fast jeder Kurve „Boycott Qatar“ Banner zu sehen. Die Meinung der Ultrafangruppierungen ist also klar. Aber wieso sind eigentlich alle so negativ? FIFA-Chef Gianni Infantino hat doch die schönste, beste und tollste Weltmeisterschaft ausgerufen. Bei den meisten ist die gute alte WM-Stimmung irgendwie noch gar nicht angekommen. Könnte natürlich an der schwierigen Vorgeschichte der Veranstaltung liegen, aber wir lassen uns diese WM nicht kaputtreden, oder? Wenn Gianni sagt, es wird toll, dann wird es das auch!

Katar im Winter – was viel mehr nach Influencer-Urlaub klingt, ist in diesem Jahr die traurige Realität der Fußball-Weltmeisterschaft. Glühwein statt Bierchen. Anorak statt oberkörperfrei. Kohle statt Menschenrechte. So lässt sich die ganze Nummer vielleicht doch kurz zusammenfassen. Aber wie kommt man eigentlich darauf, eine Fußball-WM in Katar auszurichten? Einem Staat mit knapp 12.000 Quadratkilometern, ohne auch nur einen Hauch fußballerischer Tradition. Die Antwort: Geld.

Der Anfang vom Ende

Am 02. Dezember 2010 erfolgte die Doppelvergabe der WM 2018 und der WM 2022. Warum Doppelvergabe? Das weiß keiner so wirklich, eigentlich wird immer jede WM einzeln vergeben. Diesmal dachte sich die FIFA aber etwas Neues aus und vergab erst die 18er-WM nach Russland und danach die 22er an Katar. Verantwortlich für die Vergabe ist das sogenannte FIFA-Exekutivkomitee, bestehend aus 24 Sportfunktionären aus aller Welt. So weit, so gut. Problematisch ist dabei nur, dass der ein oder andere sich hin und wieder doch etwas empfänglich zeigt für einen kleinen Obolus, seine Stimme dann doch nicht ganz gewissenhaft zu vergeben. Ein Beispiel dafür sind zum Beispiel die Mitglieder Amos Adamu (Nigeria) und Reynald Temarii (Tahiti), beide wurden von britischen Journalisten der Zeitung „The Sunday Times“ überführt. Mit versteckter Kamera gaben sich die Journalisten als Lobbyisten für den Mitbewerber aus den USA aus und klopften so die Preisansprüche der beiden ab. Beide zeigten sich durchaus empfänglich für Zahlungen, vor allem Temarii plaudert dabei aus dem Nähkästchen: „Wenn ich ihr Angebot, mit dem der anderen vergleiche, dann ist das nichts. Nichts. Bei manchen reden wir von zehn bis zwölf Millionen Dollar.“ Bei solchen Summen kann man natürlich schon mal schwach werden. Auch wenn Temarii hier seinen eigenen Marktwert wohl leicht überschätzt. Laut Phaedra Almajid – damals Mitarbeiterin der Presseabteilung des Katarischen Bewerbungskomitees – waren den Katari die Stimmen „nur“ eine bis anderthalb Milliönchen wert. Die läppischen Sümmchen reichten am Ende aber trotzdem aus. Katar setzte sich – trotz von der FIFA selbst, aufgrund der fehlenden Infrastruktur vor Ort, dem Klima und der nicht vorhandenen Fußballtradition, als „schlechteste Bewerbung“ eingestuft – im vierten Wahlgang mit 14 von 22 Stimmen gegen die Mitbewerber aus den USA, Südkorea, Japan und Australien durch. Temarii und Adamu durften nicht abstimmen und wurden für ein Jahr (Temarri) bzw. drei Jahre (Adamu) gesperrt. Adamu sagte auf einem späteren Kongress, bei dem er im Übrigen wieder in führender Position war: „Das ist wie eine Rote Karte. Ich war gesperrt und jetzt bin ich wieder da.“ Die anderen FIFA-Funktionäre haben sicherlich alle ein absolut reines Gewissen, leider gibt es für Korruption noch keine Haaranalysen.

Konsequenzen? Nicht bei der FIFA

Am 27. Mai 2015 kam es dann in der Schweiz zu zahlreichen Verhaftungen. Ermittlungen aus den USA kamen dabei offiziell zum Schluss: Die WM in Katar war tatsächlich gekauft. Wirklich verurteilt wurde keiner. Pseudo-Rücktritte mit ordentlichen Abfindungen waren die einzige Folge. Bis heute bestreitet Katar sämtliche Vorwürfe. Trotzdem lassen die Worte von Mohammed bin Hammam, Mitglied des Exekutivkomitees aus Katar, direkt nach der Vergabe hellhörig werden: „Ich widerspreche allem. Aber wenn da etwas ist, dann beschweren Sie sich nicht bei Katar. Schuld ist das System, dass zwei Weltmeisterschaften am gleichen Tag entschieden werden.“Voll ins Schwarze getroffen, denn das System, welches meint, dass Korruption in der FIFA zum guten Ton gehört, ist mittlerweile  bekannt. Stichwort: Sommermärchen. Wer sollte dort auch den Finger heben? Der damalige FIFA-Chef Sepp Platter mit seiner Chefetage, die selbst Millionen eingestrichen haben? Michael Garcia, ehemaliger US-Bundesanwalt, wurde von der FIFA selbst beauftragt, den 02. Dezember 2010 aufzuarbeiten. Zwar brachte er einen Bericht hervor, dieser bleibt aber unter Verschluss. Der Versuch der kompletten Aufarbeitung wird nach zwei Jahren abgebrochen –  laut Garcia, weil keiner mit ihm sprechen wollte. Fühlt sich ja fast nach Vertuschung an, aber zum Glück gibt es zwischen FIFA und Katar keine weiteren Beziehungen. Also außer vielleicht, dass FIFA-Präsident Gianni Infantino mittlerweile in Doha, der Hauptstadt Katars, wohnt. Ein Schuft, wer dabei Böses denkt.

Gastarbeiter ohne Würde und Anerkennung

Allem Protest zum Trotz wird die WM stattfinden, denn was die FIFA will, ist Gesetz. Dass in Katar Menschenrechte auf der Agenda ganz unten stehen, ist bekannt. Keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durch das vorherrschende Patriarchat. Die Unterdrückung der freien Entfaltung des Menschen durch unter anderem dem Verbot von Homosexualität. Oder auch die Einschränkung grundlegender Freiheitsrechte wie die Religions-, Presse- bzw. Meinungsfreiheit sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Von zwölf geplanten WM-Stadien, die für diese WM in Katar gebaut werden sollten, sind es am Ende doch nur acht geworden. Da war wohl weniger für die Schmiergelder eingeplant. Sechs dieser acht Stadien sind im Zuge der WM neu gebaut worden. Was damit nach vier Wochen Fußball-WM passiert, weiß noch keiner. Die Arbeiten dort haben vor allem Gastarbeiter aus ärmeren Nachbarländern verrichtet. Ihr Ziel: In Katar verhältnismäßig gutes Geld verdienen, damit es die Familie zu Hause besser hat und man irgendwann zurückkehren kann. Bei 50 Grad in der Mittagssonne auf den Gerüsten herum klettern zu müssen, zählte für die Gastarbeiter zum Arbeitsalltag. Amnesty International kritisiert dabei vor allem die menschenunwürdigen Arbeits- und Unterbringungsbedingungen sowie den erheblichen Mangel an Arbeitsschutz. Ihren Recherchen zufolge sind beim Bau der Stadien circa 15.000 Menschen ums Leben gekommen. Katar und die FIFA selbst sprechen von drei Toten auf den Baustellen sowie 37 „Non-Work-Related Deaths“, also Menschen, die beispielsweise mit Herzversagen in der Nacht ums Leben gekommen sind. Der englische Guardian berichtet wiederum von circa 6500 Gastarbeitern, die bei den Arbeiten ums Leben gekommen sind. Zahlen, die nachdenklich stimmen, vor allem, weil eine so große Diskrepanz zwischen ihnen liegt. Aber glücklicherweise hat „Kaiser“ Franz bei seinen Reisen ins Emirat nie einen Sklaven gesehen. Und wenn Franz sagt: „die laufen auch alle noch frei rum”, – dann brauchen wir uns keine Gedanken über die Menschenrechtsverletzungen zu machen. 

Zum Glück müssen dank dieser WM auch keine afrikanischen Flüchtlinge mehr über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Wieso? Weil Gianni das sagt! Man würde ihnen so Würde und Anerkennung schenken. Würde und Anerkennung eben, so wie bei den Gastarbeitern.

So schlimm ist es hier doch gar nicht?

Bis jetzt konnten die Katari viele Informationen verschleiern, aber wie läuft das eigentlich, wenn das Brennglas der Weltöffentlichkeit auf dem Land liegt? Die Frage ist also: Wie steuert man Journalisten, die es sonst gewohnt sind, frei arbeiten zu können? Die Sportschau hat mit ihrer Doku-Reihe „WM der Schande“ einen guten Grundstein gelegt, wie die Berichterstattung während der WM aussehen kann. Wer vor Ort drehen will, der muss einem strengen Regelkatalog zustimmen. In privaten Räumen, also beispielsweise den Unterkünften der Gastarbeiter, darf nicht gedreht werden. Ebenso untersagt sind zum Beispiel Videoaufnahmen in Regierungsgebäuden, Universitäten, Krankenhäusern oder auch privaten Unternehmen. Dabei will sich Katar doch von seiner besten weltoffenen Seite zeigen und das wird ihnen gelingen. In den Tagen der WM wird weder ein homosexueller noch ein biertrinkender Fan eingesperrt. Vielleicht ist es das Ziel der Regierung, dass zu Hause alle erzählen: „So schlimm ist es hier gar nicht.“ Bei der deutschen Prominenz hat das bis jetzt zumindest gut geklappt. Man muss ja auch nicht immer alles schlechtreden, da hat Schweinsteiger schon recht und auch das mit den Menschenrechtsverletzungen, die gibt’s ja laut Thomas Müller sowieso überall.

“Fast” CO₂-frei

Aber zum Glück ist die WM in Katar endlich die erste CO₂-neutrale WM. Also so wurde uns das zumindest 2016 versprochen. Der tatsächliche Verbrauch liegt jetzt Schätzungen zufolge bei circa 3,6 Millionen Tonnen CO₂, für 29 Tage Fußball. Die Stadien beispielsweise müssen per Lüftung runtergekühlt werden, denn auch Mitte November ist es dort etwas warm für Profisport. Aber das erfolgt doch sicherlich mit erneuerbarer, grüner Energie, oder? Natürlich, also zumindest ein bisschen. Ungefähr 0,26 % der aufgewendeten Energie sind nachhaltig. Der Rest? 99,74 % fossile Brennstoffe. Dazu kommen auch noch die Vielzahl der Shuttle-Flüge zu den Spielen. In Katar ist nämlich gar kein Platz für die ganzen Fußballfans, deshalb fliegt der Fanclub Nationalmannschaft zu jedem Spiel mit dem Charter-Flieger nach Katar und danach wieder zurück ins Camp nach Dubai. Klingt alles nach „Climate Neutral now“ – oder eben auch nicht.

Und jetzt?

Eigentlich spricht alles für einen Boykott. Für mich persönlich gibt es da nur ein kleines Problem. Die Liebe zum Fußball. Eine Weltmeisterschaft nicht verfolgen? Fällt mir schwer und die Verantwortung dieser WM auf Fans abzuwälzen, die die Spiele schauen, oder sich über Tore freuen, ist mir zu einfach. Das Ganze als moralisch verwerflich hinzustellen, geht mir zu weit – zu wenig hatte jeder einzelne Einfluss auf diese WM. Wichtig ist aber, dass wir den Weg zum Turnier, mit Korruption und getöteten Gastarbeitern, nicht vergessen. Dazu müssen wir dafür sorgen, dass eine Vergabe wie diese nie wieder geschieht und wir das Exekutivkomitee so in Zukunft mit Argusaugen beobachten. Hinsehen und aufmerksam machen ist mehr wert, als Augen zukneifen und schweigen.

Die FIFA versucht zwar gerade Katarpositives Klatschpappen-Publikum einzuladen und die Verbände von Kritik am Ausrichter abzubringen, aber davon lassen wir uns nicht beeinflussen. Außer Gianni Infantino heizt so richtig ein!

Und jetzt alle: Katar! Katar! Katar! FIFA! FIFA! FIFA!

 

Text, Titelbild : Dennis Hambeck

<h3>Dennis Hambeck</h3>

Dennis Hambeck

ist 20 Jahre alt und studiert im fünften Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMittweida engagiert er sich als Leitung des Social-Media Team.