World Wide Web War – Bürgerjournalismus im Kriegsgebiet

von | 16. Dezember 2013

Krieg ist ein Thema, über das niemand gern spricht. Nachrichten von Gefechtshandlungen kennen die meisten von uns nur aus den Nachrichten und Bilder davon werden wohldosiert verbreitet. Nicht zuletzt durch […]

Krieg ist ein Thema, über das niemand gern spricht. Nachrichten von Gefechtshandlungen kennen die meisten von uns nur aus den Nachrichten und Bilder davon werden wohldosiert verbreitet. Nicht zuletzt durch die sich auch in Nachrichtensendungen häufende Angabe „Quelle: Internet“ wird immer stärker deutlich, dass Krieg dort angekommen ist, wo die Digital Natives sind: Im World Wide Web.

Das Internet kennt keine Tabu-Themen – warum also sollte es kriegerische Handlungen ausschließen? Zumal junge Soldatinnen und Soldaten mit privaten Profilen auf sozialen Netzwerken vertreten sind und mit dem gleichen Selbstverständnis, mit dem andere ihr Essen fotografieren und hochladen, Außenstehende an ihrer Lebenswelt teilhaben lassen. Dabei zeichnen sie dort gern ein bestimmtes Bild von sich: Cool, risikofreudig und ganz und gar nicht in Gefahr. Dass sich dieses Bild von der offiziellen Darstellung seitens des Militärs unterscheidet, ist klar.

„We go to war so you don’t have to.“

Sascha Stoltenow und Thomas Wiegold sind Experten auf dem Gebiet der Kriegsberichterstattung. Wiegold, bekennender Kriegsdienstverweigerer und freiberuflicher Journalist, betreibt das Blog augengeradeaus.net, auf welchem er sich mit nationaler und internationaler Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auseinandersetzt. Stoltenow ist ehemaliger Fallschirmjäger, war selber in Kriegsgebieten, ist nun Kommunikationsberater und bloggt auf bendler-blog.de über Sicherheitspolitik und Mediengeschehen. Beide beobachten die Entwicklung im Internet und im Besonderen in den sozialen Netzwerken seit langem und weisen auf die Ambivalenz hin, die sie mit sich bringt.

Auf der einen Seite stehen Journalisten, die über den Krieg berichten. Da ist beispielsweise Simone Schlindwein, eine deutsche Journalistin, die im Kongo Staatstruppen bei der Misshandlung von Leichen fotografierte, dieses Foto per Twitter in die Welt schickte und daraufhin den Kongo verlassen musste – aus Gründen ihrer eigenen Sicherheit. Oder David Axe. Der Journalist und Blogger begleitet Soldaten in Kriegsgebieten mit seiner Kamera. „Ich bin in die Welt gezogen, um bewusst Gewalt von Menschen gegen Menschen zu suchen – und ich habe sie gefunden“, sagt er, und zeigt unter dem Motto „Wo go to war so you don’t have to“ mit eindrücklichen Bildern den Alltag an der Front.

Berichterstattung vom Sofa

Neben denen, die von den Orten des Geschehens berichten und zum Teil ihr Leben aufs Spiel setzen, gibt es auch die, die Kriegsberichterstattung vom heimischen Sofa aus betreiben. So zum Beispiel Eliot Higgins. Er ist Waffenexperte – auf Grund von YouTube-Videos. Auf dem von ihm gegründeten Brown Moses Blog analysiert er Videos, vornehmlich von Kampfgeschehnissen in Syrien, hinsichtlich der verwendeten Waffen. So war er es, der nachweisen konnte, dass die syrische Regierung verbotene Streubomben einsetzte. Auch ein saudi-arabischer Waffendeal mit Kroatien konnte dank seiner akribischen Arbeit nachgewiesen werden. Als Citizen-Reporter ist Higgins damit zu einem der wichtigsten Analysten des syrischen Krieges geworden – nur durch die Aufbereitung von Beiträgen in sozialen Netzwerken. Diese Aufbereitung ist wichtig und wird zunehmend an Brisanz gewinnen. Gerade Drohnenangriffe sind Angriffe, von denen es keine Bilder gibt. Ihre Registrierung geschieht häufig nur über Meldungen in sozialen Netzwerken.

It’s a beautiful war

Auf der anderen Seite dient das Netz natürlich auch anderen Kriegsparteien: Mit schön gestalteten Infografiken lässt sich leicht eine Ästhetisierung von Kriegsgeschehen erreichen, ja sogar eine Verharmlosung. „It’s a beautiful war“, sagen Wiegold und Stoltenow dazu, und weisen auf die regelrechte Popkultur der massenkompatiblen Kriegsdarstellung hin.

Auch die Darstellung in sozialen Netzwerken ist nicht immer frei von Ideologie. Als Teil einer operativen Kriegsstrategie werden da schon mal exklusive Informationen veröffentlicht, um sie gezielt von Anderen aufgreifen zu lassen. Denn klar ist: „Die Guten“, sofern es sie gibt, sind nicht die einzigen, die schöne Bilder machen können. Die Bildsprache des Westens wird unter anderem von den Taliban übernommen und für eigene Propaganda-Zwecke genutzt. Thomas Wiegold führt hierfür exemplarisch ein Video an, das Training, Planung und Durchführung eines Taliban-Angriffes auf erschreckende Weise zeigt und bei dem die professionelle Erstellung auffällt. Man merkt schnell: Das ist ein strategisch geplanter und gezielt erstellter Teil einer Kampagne.

Eine Frage der richtigen Schlüsse

Was bleibt, ist die Frage, wie man damit umgeht. Denn eins ist klar: Man hat keine Einsicht mehr, was alles über das social Web verbreitet wird; das zu reglementieren, wird nicht gelingen. Wie wichtig die Berichterstattung, professionell oder über Netzwerke wie Facebook und Twitter, wirklich ist, zeigen nicht zuletzt die vielen Beispiele aus dem arabischen Raum. Außerdem verdeutlichen die Bilder auch, was es bedeutet, im Einsatz zu sein – ein Aspekt, der häufig vergessen wird. Gleichzeitig werden Leute wie Stoltenow, Wiegold, Higgins und Schlindwein immer wichtiger: Menschen, die, egal von wo, genau hinschauen und die richtigen, unabhängigen Schlüsse ziehen.

Text: Theres Grieger, Grafik: Carolin Fritzsche

<h3>Theres Grieger</h3>

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