WG mit „YEAH!“
Es ist ein verregneter Sonntagnachmittag, als ich über die Rochlitzer Straße in Richtung Markt laufe. Die Straße ist wie leer gefegt. Die kleinen Läden haben ihre Schaufenster verbarrikadiert und sehen wenig einladend aus. Geschäfte stehen leer. Das nasskalte Dezemberwetter und Mittweida wirken trostlos. Ich bin auf der Suche nach einem Ort, der dem 15.000-Einwohner-Städtchen Leben einhaucht. Bei meiner Suche stoße ich auf die Yeah-WG.
Ein Beitrag von
Heide Seemann
Fotos: Yeah-WG
Wie eigentlich jeder Student in Mittweida, kenne ich die Geschichten, die man sich über diese WG erzählt. Aufgenommen zu werden ist schwer. Man muss dazu vor allem trinkfest sein und ein Partytier. Jedes Jahr im Dezember veranstalten die WG-Mitglieder eine legendäre Party: die „YEAH!“. Die Letzte liegt erst eine Woche zurück. Viele Studenten freuen sich das ganze Jahr darauf. Ich selbst war allerdings noch nie dort.
Die Haustür steht offen, also trete ich ein. Im Flur hängen noch die goldenen Überbleibsel der letzten „YEAH!“ – und die zehn Gebote: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Bier, Kirsch, Pfeffi, Wodka.“ , „Du sollst nicht erbrechen.“ oder: „Du sollst ehren Eikes Mom.“ …
Als ich eintrete, befinde ich mich direkt im Herzstück der WG, der Küche. Die Einrichtung ist alt, bunt zusammengewürfelt und gemütlich. Hier wurde länger nicht renoviert, aber dafür liebevoll dekoriert. Weiter hinten befindet sich eine Sofaecke, über der in bunt leuchtenden Buchstaben das Wort „YEAH“ angebracht ist. Ein Mädchen mit Dreads kommt mir entgegen. Sie heißt Anneke und wohnt derzeit bei ihrem Freund in der WG. Sie bietet mir einen Tee an. Das heiße Getränk tut gut bei dem kalten Winterwetter. Wir setzen uns an den Tisch und quatschen.
Die Yeah-WG sind eigentlich zwei WGs, erfahre ich – eine oben und eine unten. Nach und nach trudeln die anderen WG-Mitglieder ein und setzen sich dazu. Tobi, der Medieninformatik studiert; Linda, Immobilien und Facility Management; Florian, Biotechnologie und Nils aus dem Studiengang Digitale Forensik. Der Stammesälteste ist Erik, er wohnt seit 5 Jahren in der WG. Insgesamt sind sie neun. Heute sind nicht alle da.
Die WG-Mitglieder zur „The Golden Age“ Party
Ziemlich schnell kommen wir auf die Party zu sprechen. Dieses Jahr fand das 10-jährige Jubiläum der „YEAH!“ statt. Motto war „The Golden Ages“.
„Wie ist es denn Teil einer WG zu sein, die so ein riesen Event organisiert?“, will ich wissen und nippe an meinem Tee. „Das Coole ist, dass man von den Leuten darauf angesprochen wird. Das macht einen schon ein bisschen fame in Mittweida.“ erzählt Tobi. Kurz bevor die Party stattfindet spekulieren die Leute über das Datum. Es wird immer viel gejodelt. Für feinste Beats sorgt jedes Jahr das Chemnitzer DJ-Duo „Brothers Incognito“. Die beiden Jungs sind schon seit der ersten Party mit dabei. Mittlerweile sind sie international unterwegs. Aber der „YEAH!“ halten sie nach wie vor die Treue. Entlohnt werden sie dafür mit reichlich DJ-Getränken.
Tobi wusste, dass eine „kleine“ Party stattfindet.
Erik ist Stammesältester der WG.
Richard (links) hat die Einlassbändchen designed.
Ich frage, wie sich die Party finanziert. „Nur über Getränke!“, sagt Anneke und zeigt auf den Kühlschrank, der mit bunten Stickern vollgeklebt ist. Der wird ins Bad gestellt, und dann wird da eine Bar aufgebaut. Longdrinks kosten 2 Euro , Shots 50 Cent. „Wir wollen dabei ja nichts verdienen, sondern nur unsere Kosten decken.“ Für das Barpersonal gibt es einen richtigen Schichtplan, jeder der Mitbewohner muss eine Stunde ran. Außer Linda, die ist wegen ihrer zwei Vornamen doppelt eingetragen.
„Wussten die Bewohner von der Party, als sie hier eingezogen sind?“, will ich wissen. „Also ich wusste schon, dass es eine kleine Party gibt, aber die Ausmaße waren mir nicht so ganz bewusst.“ erzählt Tobi und grinst dabei. „Ausmaße“, das bedeutet jedes Jahr zur „YEAH!“ mindestens 200 Gäste auf ca. 300 Quadratmetern WG-Fläche. Wegen diesen Dimensionen ist eine der Mitbewohnerinnen sogar vorbestraft. Sie hatte sich letztes Jahr als Verantwortliche für „YEAH!“ gemeldet. Die Party war in diesem Jahr besonders voll. Als es ihr trotz mehrmaliger Aufforderung der Polizei nicht gelang die Party zu räumen, gab es eine Eintragung ins Führungszeugnis. Sie selbst sieht das allerdings entspannt: „Das verfällt ja nach ein paar Jahren wieder. Guck mal wie die Zeit fliegt!“, sagt sie.
Über so viel Gelassenheit kann ich nur staunen.
Um ähnliche Vorkommnisse zu vermeiden, gab es in diesem Jahr erstmals Einlassbändchen. Die Zahl der Gäste wurde auf 200 beschränkt. Ich bekomme nachträglich ein Bändchen geschenkt – übrig von letzten der Party. Ich freue mich. Es sieht süß aus, in türkis und gelb. Einer der Mitbewohner hat es selbst designed.
Linda Nina musste wegen ihrer zwei Vornamen als Barkeeperin zwei Mal ran.
Was macht denn die WG, wenn sie nicht gerade Parties veranstaltet?
„Abends ein Bierchen, quatschen und Fernsehn an.“ Es gibt Singstar-Abende. Oft wird gebruncht oder die ganze WG geht zusammen nochmal in den Club. „Je nachdem ob das Weinchen schon offen ist oder nicht.“, sagt Anneke. Das klingt für mich sympathisch. Wie eine ganz normale WG.
Ich frage in die Runde, was die Yeah-WG aus Sicht der Bewohner so besonders macht. „Die Menge der Leute.“, sind sich alle schnell einig. „Es ist halt wirklich immer jemand da, mit dem man Zeit verbringen kann. Freunde kommen halt einfach hier rein, setzen sich zu uns in die Küche und gucken ob wer da ist. „Schließlich wird mir der zehnte Mitbewohner vorgestellt. Tobi verschwindet kurz und stellt wenig später eine etwas bekifft guckende Büste auf den Tisch: „Das ist Bente“. Bente die Büste wurde vom Sperrmüll gerettet und ist seitdem das geliebte WG-Maskottchen. Weil nicht ganz klar ist, ob sie eigentlich männlich oder weiblich ist, wurde ein geschlechtsneutraler Name gewählt. Das Wichtigste was man über sie wissen muss ist, dass sie wie eine Trophäe gerne von den einzelnen WG’s geklaut und dann dekoriert wird. Die obere WG konkurriert dabei mit der Unteren.
Heute trägt Bente ein gelbes Cappy.
Am Kühlschrank hängen Liebesbriefe an die Büste. Nils liest mir einen davon vor:
Gestatten? Bente die Büste. Ist weder männlich noch weiblich.
Liebstes Bente,
ich stehe gänzlich nackt vor dir,
so nackt, dass ich langsam erfrier.
Alles was ich hatte gab ich dir,
doch du wandtest dich ab von mir.
Titel: Kalt und hart
So normal ist die Yeah!-WG also doch wieder nicht. Als ich frage, woher der Name „Yeah-WG“ eigentlich kommt, stoße ich auf Mutmaßungen: „Vielleicht war es das Motto der allerersten Party?“ So richtig scheint hier jedenfalls niemand bescheid zu wissen. Auch der Gründer ist unbekannt. Fest steht aber: Ursprünglich war die Yeah-WG eine Arztpraxis. Daher kommt auch noch die althergebrachte, geschlechtergetrennte Toilettenaufteilung. Es gibt 3 Damentoiletten und 3 Herrentoiletten.
Zum Schluss interessiert mich noch Eines: „Wie schwer ist es tatsächlich in der WG aufgenommen zu werden?“ „Wir legen Wert darauf, dass möglichst viele Studiengänge vertreten sind.“, erzählt Anneke. Es werden auch immer neue Erstis aufgenommen. Aber ein Zimmer zu bekommen ist tatsächlich nicht ganz so einfach. „Auf mein Zimmer waren zum Beispiel 20 Bewerbungen.“, erzählt Linda. Sie wohnt in der unteren WG. Dort ist die Auswahl härter als Oben. „Es kommt halt wirklich nicht jeder rein. Wir gucken schon, dass die Person zu uns passt. Das sind halt echte Freundschaften die hier entstehen. Das merkt man auch, Mitbewohner, die nicht mehr da sind haben noch einen starken Kontakt. “So stark, dass jedes Jahr Ehemalige zur YEAH!-Party kommen. Denn die YEAH! ist auch für Alumni der Hochschule immer ein willkommener Grund Mittweida einen Besuch abzustatten. Auch dieses Jahr waren wieder fünf ehemalige Mitbewohner dabei.“
Mein Tee ist mittlerweile lauwarm. Ich nehme einen letzten Schluck. Der nasse Teebeutel klebt am Tassenrand. Ich stelle meine Tasse auf die Spüle und bedanke mich bei allen für das nette Gespräch. Mit einem warmen Gefühl im Bauch verlasse ich das Haus. Irgendwie glücklich und inspiriert von so viel Zusammenhalt und Kreativität mache ich mich auf den Heimweg. Die Yeah-WG ist wirklich ein besonderer Ort.