Ernährung

Das bittersüße Geschäftsmodell

von | 8. Dezember 2021

Erst macht die Zuckerindustrie Menschen abhängig und trägt dann keine Verantwortung. Das rücksichtslose Geschäft mit dem Zucker.

Mehr als die Hälfte der Deutschen sind übergewichtig. Dies ergab eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes 2017. Dieses Jahr wird die Studie wiederholt und die steigende Tendenz der letzten Jahre könnte bestätigt werden. Die Ergebnisse dazu werden nächstes Jahr erwartet. Dieser Anstieg könnte an der zuckerhaltigen Ernährung liegen. Was sagen die Konzerne, Verbände und Politik dazu? Wie viel Zucker essen die Deutschen überhaupt und welchen Einfluss hat das auf den Körper?

In einer Umfrage des Forsa Institutes gaben 39 Prozent der Befragten in Deutschland an, während der Corona-Pandemie zugenommen zu haben. Diese Personen nahmen im Schnitt 5,5 Kilo zu. Besonders auffällig hierbei ist aus welchen Gründen und welche Lebensmittel zu sich genommen werden. Vor allem Personen, die sich von der Pandemie belastet fühlen, gaben häufiger an, mehr zu essen. Gründe sind mehr Zeit, Langeweile oder Belohnung. Dazu kommt der ohnehin hohe Zuckerkonsum in Deutschland. Die Gesellschaft für Ernährung (DGE), die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfehlen 50g Zucker pro Tag. Im deutschen Durchschnitt werden jedoch täglich ca. 92 Gramm Zucker pro Person konsumiert. Das ist fast das Doppelte der empfohlenen Menge. Die World Health Organisation (WHO) geht sogar noch weiter und empfiehlt maximal 25 Gramm freien Zucker. Damit ist Haushaltszucker gemeint, welcher kein natürlich vorkommender Stoff in Lebensmitteln wie Obst oder Milch ist.

Hier wird verbildlicht wie viel Zucker der Durchschnitt in Deutschland konsumiert und wie viel die Verbände empfehlen. Foto: Klara Behner

Brauchen wir Zucker eigentlich? 

Glukose wird im Körper benötigt, um Energie zu gewinnen. Glukose ist aber nicht gleich industrieller Zucker. Sie kann vom Körper selbst hergestellt werden, zum Beispiel aus Stärke. Das bedeutet, wir brauchen keine Süßigkeiten oder Limonaden zum Überleben, sondern Grundnahrungsmittel, zu denen Zucker nicht gehört.  

Dennoch werden viele zuckerhaltige Lebensmittel produziert. Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker e.V. (WVZ) und der Verein der Zuckerindustrie e.V. (VdZ) erklären den Grund dafür so: ,,Zucker ist ein natürlicher Geschmacksverstärker, der viele Aromen, beispielsweise von Früchten oder von Gemüse, erst zur vollen Entfaltung bringt.  […] Ob etwas schmeckt oder nicht, hängt zudem von einer Vielzahl von Eindrücken ab, die über den eigentlichen Geschmackssinn hinausgehen. Dazu gehören unter anderem die Farbe und der Geruch eines Lebensmittels sowie seine physikalische Beschaffenheit – alles Faktoren, zu denen Zucker seinen Beitrag leistet.”

Die Verbraucherzentralen sehen das anders. Sie kritisieren, dass Zucker vor allem verwendet wird, da er günstig ist und viele positive Eigenschaften im Herstellungsprozess besitzt. So mache er zum Beispiel Lebensmittel fülliger, länger haltbar, bindet Wasser und das womöglich Wichtigste: er verstärke den Geschmack. Diese Eigenschaften zu ersetzen wäre teurer und bedürfe neuer Rezepturen. 

Zudem wird bei Zuckerkonsum das Hormon Serotonin ausgeschüttet. Es erzeugt Ausgeglichenheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit. Desweiteren gibt der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) eine beruhigende und die Gedächtnisleistung stimulierende Wirkung an.

In Studien wurde dazu herausgefunden, dass Menschen mit einem hohen Body Mass Index (BMI= Verhältnis von Körpergröße und Gewicht) und zuckerhaltiger Ernährung mehr Schokolade für dasselbe Glücksgefühl essen müssen als Menschen mit einem niedrigeren BMI und einer weniger zuckerhaltigen Ernährung. Es findet also auch ein Gewöhnungseffekt statt, weshalb man später mehr Zucker für den selben Effekt benötigt. 

Doch diese positiven Eigenschaften rechtfertigen aus Sicht der zucker-kritischen Verbände deutschlandweit nicht die verarbeiteten Mengen an Zucker. Denn gesundheitsschädlich wird es vor allem in den großen Mengen, die wir konsumieren. Die WHO warnt vor einer „Fettleibigkeitsepidemie“, sprich dass ein großer Teil der Bevölkerung an Übergewicht und dessen Folgeerkrankungen leiden wird.

Die NGO Foodwatch sieht die Gründe dafür in der Veränderung des Lebensmittelangebotes. Hochkalorische, hochgradig verarbeitete und zuckerreiche Lebensmittel seien im Übermaß verfügbar. Dazu komme laut dem Diabetes Informationsportal ein Mangel an Bewegung. Dem Körper wird mehr Energie zugeführt als er im Alltag verbraucht, daher wird die restliche Energie in Fettzellen gespeichert und man nimmt zu. 

Übergewicht und die Ausmaße

Übergewicht erhöht das Risiko für verschiedene chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, Arthrose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dazu können Schädigungen in den Gelenken auftreten, was zu einer schlechteren Ausdauer und Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit führen kann.

Neben den gesundheitlichen Auswirkungen kommen auch soziale Schwierigkeiten auf übergewichtige Menschen zu. Die Adipositas Gesellschaft beschreibt es als: ,,[…] negative Stigmatisierung und Diskriminierung. Die negative Bewertung übergewichtiger und Personen mit Adipositas ist in westlichen Nationen sehr weit verbreitet.  […] Dabei scheinen Überzeugungen, dass Menschen mit Adipositas aufgrund von Faulheit, Willensschwäche oder Disziplinlosigkeit allein verantwortlich für ihr Gewicht sind, weit verbreitet. Dieses Vorurteil ist abzulehnen, da eine Vielzahl von Faktoren Übergewicht begünstigt.“

Doch gerade die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen führen zu hohen Therapiekosten und demnach zu einer großen Belastung des Gesundheitssystems. In einer Studie aus dem Jahr 2015 werden die Gesamtkosten von Adipositas für das deutsche Gesundheitssystem mit 62,74 Milliarden Euro angegeben. Dabei wurden nicht nur die direkten Kosten der Krankenkassen von Adipositas Behandlungen eingerechnet, sondern auch die indirekten. Damit sind zum Beispiel Arbeits- bzw. Produktivitätsausfälle, Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit sowie vorzeitiges Versterben eingerechnet worden. 

Großes Problem, k(l)eine Konsequenzen?

Die Zuckerlobby weist dabei jegliche Schuld von sich, wie der Bayerische Rundfunk beschreibt. Zucker sei lebensnotwendig und eine Zuckersteuer würde nichts bewirken. Die Geschmackserlebnisse der Produkte seien ohne Zucker nicht herzustellen, so die Website der Wirtschaftsvereinigung. Übergewicht entstehe durch einen Kalorienüberschuss, welcher an falscher Ernährung liege und nicht an überzuckerten Produkten. Dies kritisiert foodwatch, denn Zucker sei in vielen Produkten versteckt und die Verbrauchenden werden bewusst getäuscht. 

Politisch wird die Branche nur von wenigen Regeln beeinflusst. Eine davon ist die Nährwertangabe auf der Rückseite der Produkte. Dabei muss unter anderem angegeben werden, wie viel Zucker pro 100 Gramm in den Produkten enthalten ist. Häufig wird auch noch die freiwillige Angabe der Referenzmenge für die Zufuhr von Energie und ausgewählten Nährstoffen für einen durchschnittlichen Erwachsenen angegeben. Das Problem dabei: 90 Gramm Zucker am Tag ist die Referenzmenge, zur Erinnerung: 50 Gramm ist die empfohlene Referenzmenge der Gesellschaft für Ernährung.  Zudem wird kritisiert, dass Herstellende absichtlich kleine Portionsmengen zusätzlich abdrucken und damit den Verbrauchenden bewusst täuschen. 

Weiterhin gibt es seit November 2020 den freiwilligen Nutriscore, auch Lebensmittelampel genannt, welcher sich auf den Verpackungen befindet. So sieht man, ob das Produkt im Vergleich zu anderen viele oder wenige Nährstoffe enthält. Wenn die Produkte eine rote Kennzeichnung haben, ist viel Zucker und Fett im Vergleich zu ähnliche Produkten enthalten. Doch Foodwatch warnt davor, dass die Richtwerte von dem Lebensmittelverband verwässert werden könnten.

Und was folgt daraus?

Bei der Auseinandersetzung mit Zucker fällt also auf, dass dieser übermäßig viel verarbeitet wird und dabei gesundheitsschädlich sein kann, sollte man mehr als die empfohlene Höchstmenge von 50g pro Tag konsumieren. Zwischen dem erhöhten Zuckerkonsum und dem Übergewicht in Deutschland besteht ein wesentlicher Zusammenhang. 

Die Verbraucherzentralen, der Adipositas Verband, Foodwatch, die Gesellschaft für Ernährung sowie die Deutsche Diabetes Gesellschaft kritisieren das und fordern die Politik auf zu handeln. Einer von zahlreichen Forderungen der Verbände ist die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse. Zudem soll Werbung verboten werden, in der zuckerhaltige Produkte für Kinder gezeigt werden.  

Doch welche Maßnahmen hat die Politik bisher in punkto Zucker ergriffen? Keine. Die bisherige Ernährungsministerin Julia Glöckner hat auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Verbände gesetzt. Verpflichtende Regelungen könnten jetzt mit der neuen Regierung kommen. 

Das Ernährungsministerium wird in der nächsten Legislaturperiode von dem Grünen-Politiker Cem Özdemir geführt. Die Grünen haben sich schon im Wahlkampf für eine Zuckerreduzierung in Lebensmitteln ausgesprochen. Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass keine Werbung an unter 14-jährige Kinder gesendet werden darf, die zum Kauf von Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt anregen soll. Des Weiteren wird angestrebt, den Nutriscore weiterzuentwickeln und auf wissenschaftlich fundierte Reduktionsziele für Zucker, Fette und Salz zu setzen, die auf die Zielgruppe abgestimmt sind. Die neue Regierung hat jetzt bis 2025 Zeit diese Ziele umzusetzen. Aus Sicht von foodwatch, lieber früher als später. 

Text: Klara Behner, Bilder: Klara Behner

<h3>Klara Behner</h3>

Klara Behner

ist 21 Jahre alt und studiert im dritten Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagierte sie sich als Assistentin der Bereichsleitung Campus und leitete das Ressort Gesellschaft. Seit Sommersemester 2022 ist sie als Chefredakteurin tätig.