Zukunft des Theaters

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage

von | 27. Januar 2023

Schick ins Theater gehen oder doch lieber Netflix? Warum man den Live-Moment nicht auf der Couch findet.

Von der Antike, über die Renaissance bis in die Gegenwart: das Theater zählt zu den ältesten Formen der menschlichen Darstellungskunst. Im Laufe dieser Zeit musste es sich immer wieder an neue Veränderungen anpassen, hat dabei viele verschiedene Genres entwickelt und bis zur heutigen Zeit überlebt. Mit der zunehmenden Schnelllebigkeit im Alltag, der Digitalisierung und dem problemlosen Zugang zu unterhaltenden Medieninhalten, stehen dem Theater neue Herausforderer gegenüber. Wie Theater in der heutigen Zeit funktionieren kann, warum es so wichtig ist und was es einzigartig macht, haben Christian Kühn, Intendant der Comödie Dresden, und Schauspieler Philipp Richter im Interview mit medienMITTWEIDA verraten.

Was macht das Theater für dich einzigartig?

Christian Kühn: Der wichtigste Grund, der das Theater einzigartig macht, ist natürlich das Live-Erlebnis. Selbst bei einer Live-Übertragung, die man sich im Fernsehen ansieht, ist es nie wirklich gegeben, dass man sich am selben Ort befindet und die Schauspieler nahezu schon riechen kann. Dieser Live-Moment ist so besonders, da jede Vorstellung anders sein und das Publikum auch seinen Teil dazu beitragen kann. Das heißt, das Publikum nimmt im Prinzip die Rolle des zweiten Schauspielers ein.

Philipp Richter: Theater ist meines Erachtens ein Medium, das eine sehr lange und alte Geschichte hat. Besonders daran ist, dass man sich zwei Stunden lang wirklich nur auf eine Sache konzentrieren und einlassen muss. Man kann während einer Theatervorstellung nicht auf einen Pausen-Button drücken, vor- oder zurückspulen, sondern man erlebt den Moment mit den Schauspielern in einem Raum zusammen und ist Teil davon.

Warum ist das Theater deiner Meinung nach für die Gesellschaft relevant?

Christian Kühn: Gerade die letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass Theater zum einen Unterhaltung bietet, aber auch Ablenkung. Wenn ich mich jetzt speziell auf unser Genre des Unterhaltungstheaters beziehe, ist es besonders wichtig, dass man als Zuschauer auch mal abschalten kann. Genau das wird auch häufig von den Zuschauern als Feedback an mich herangetragen. Dass es so schön ist, die Alltagssorgen mal zu vergessen. Viele sagen auch, dass sie so herzlich gelacht haben, wie schon lange nicht mehr. Besonders in schwierigen Zeiten ist es wichtig, positive Energie in die Welt hinauszutragen und genau diese positive Energie kann das Theater bieten.

Philipp Richter: Das klassische Theater ist ein Abbild der Gesellschaft. Es transportiert Geschichten, übt Kritik und zeigt die Entwicklung bestimmter Figuren zum Positiven oder Negativen und damit auch die Entwicklung der Gesellschaft. Shakespeare beispielsweise zeigt die Menschlichkeit, aber auch die menschlichen Abgründe, also praktisch all das, was wir tagtäglich erleben. Das kann einerseits verzaubern, andererseits aber auch zum Nachdenken anregen, sodass man es schafft, seine Umwelt aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen.

Siehst du Streaming-Angebote als Konkurrenten des Theaters?

Christian Kühn: Streaming-Angebote sehe ich nicht als direkte Konkurrenz, weil das ein wenig so ist, als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Das genannte Live-Erlebnis kann eben durch kein Streaming-Angebot in der gleichen Art und Weise wie im Theater geboten werden. Es ist auch bewiesen, dass Leute ins Theater gehen, um mal rauszukommen, sich zu zeigen und soziale Kontakte zu pflegen. Oft geht es also darum, zu sehen und gesehen zu werden. Genau deswegen verstehe ich Streaming-Angebote nicht als Konkurrenz, weil Theater viel sozialer und unmittelbarer ist. Der einzige Konkurrenz-Aspekt, den ich zu Streaming-Angeboten sehe, wäre der finanzielle. Gerade in Zeiten, in denen man lieber spart, ist es wahrscheinlich so, dass man sich eher für Inhalte aus dem bereits bezahlten Netflix-Abo entscheidet und nicht für eine Theaterkarte, die man erst noch bezahlen muss. Hinzu kommt, dass Theater auch nicht günstiger werden kann, da auch für uns die Energiekosten und die Gagen steigen.

Kann man sich seinen Lebensunterhalt allein durch die Schauspiel-Tätigkeit problemlos finanzieren?

Philipp Richter: Das kommt immer ganz darauf an. Der Schauspielerei wird ja immer nachgesagt, dass es ein unsicherer Beruf und schwierig sei. All das habe ich mir am Anfang auch anhören müssen und habe gedacht, dass es nicht leicht wird. An einer Schauspielschule bewerben sich bis zu 1000 Leute und nur 10 bis 30 Studenten werden schlussendlich ausgewählt, wodurch es schon schwierig ist, dort reinzukommen. Ich glaube jedoch, dass man es mit viel Fleiß, einem gewissen Talent und der nötigen sozialen Kompetenz locker schaffen kann, mit der Schauspielerei an Theatern, beim Film usw. durchweg Arbeit zu haben. Und wenn es Krisen geben sollte, dann muss man sich eben nach alternativen Möglichkeiten umsehen, aber man sollte keine Angst vor diesem Beruf haben. In anderen Berufen ist das ja genauso, dass man in Krisenzeiten kreativ werden muss, was die eigene Tätigkeit betrifft.

Bist du neben deinem Beruf als Schauspieler auch noch anders tätig?

Philipp Richter: Der Beruf des Schauspielers kann ja sehr vielseitig sein und ich bin gerne sehr flexibel in meiner Tätigkeit. Daher bin ich auch als Synchronsprecher, Radio-Moderator, DJ, Sänger und Moderator für Galas unterwegs. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es für viele Schauspieler, die nur im klassischen Theater- oder Filmbereich gearbeitet haben, schwierig war. Sie mussten sich in dieser Zeit neu orientieren. Da ich jedoch schon immer breiter aufgestellt war in meinem Beruf, durch meine Hobbys und Leidenschaften, blieb mir das zum Glück erspart. Das Schauspiel ist sozusagen ein Teil meiner Tätigkeit, der Hauptteil, aber eben nicht alles.

Die Comödie Dresden ist ein Boulevardtheater, welches sich im World Trade Center Dresden befindet. Mit rund 640 Sitzplätzen ist es das größte Privattheater in Sachsen. Christian Kühn war der jüngste Intendant Deutschlands, als er diese Position im Alter von 29 Jahren übernahm. Bild: Anna Lisa Kießlich

Was für Gründe würdest du einer jüngeren Generation nennen, um ins Theater zu gehen?

Christian Kühn: Erstmal ist es wichtig zu wissen, dass Theater nicht gleich Theater ist. Natürlich trägt das klassische Theater eine gewisse Bildungsverantwortung. Aus Sicht des Unterhaltungstheaters kann ich sagen, dass wir mit dem Unterhaltungsgedanken werben, der auch für ein jüngeres Publikum im Vordergrund steht. Wir versuchen, die Personen auf die Bühne zu bringen, die die jungen Leute kennen und die Themen inhaltlich zu verarbeiten, die junge Leute ansprechen. Ich denke, dass man bei den meisten jungen Menschen nicht mit Bildungsargumenten punkten kann. Im Prinzip unterscheiden sich die Argumente, um ins Theater zu gehen, nicht vom Alter. Sowohl junge als auch alte Menschen versuchen wir mit dem Unterhaltungsgedanken zu überzeugen.

Philipp Richter: Meiner Meinung nach ist es für junge Menschen besonders wichtig, sich in verschiedene Richtungen zu orientieren. Gerade wenn man noch keine Berührungspunkte mit Theater hatte, das beginnt ja oft erst in der Schule, sollte man trotzdem offen dafür bleiben. Ich habe zum Beispiel als junger Erwachsener ein Stück im Schauspielhaus gesehen, das mir überhaupt nicht gefallen hat und trotzdem bin ich Schauspieler geworden. Das lag daran, dass ich natürlich nochmal ein anderes Stück gesehen habe, das mir besser gefallen hat, aber auch weil ich mir dachte, dass ich das irgendwie besser machen kann. Außerdem gibt es eine sehr große Bandbreite an Genre im Theater, vom Musical-Theater über das klassische Theater bis hin zu Komödien, dass man sich eigentlich gar nicht langweilen kann. Man erlebt die Emotionen der Schauspieler hautnah und schafft es dadurch, die Leute zu begeistern, mit Sicherheit auch junge Leute. Das Theater ist also, genau wie das Lesen von Büchern, ein Konzentrationstraining, was besonders für junge Erwachsene wichtig ist, um nicht nur schnell Inhalte zu konsumieren, ohne richtig darüber nachzudenken.

Wie genau wird der Spielplan eines Theaters zusammengestellt? Danach, welches Stück zum jeweiligen Theater passt oder danach, was die Leute sehen wollen?

Christian Kühn: Eigentlich ist es die Mischung, die man versucht. Für ein Privattheater ist natürlich das Bewährte auch sehr wichtig, da es von seinen Erfolgen im Spielplan leben muss. Außerdem gibt es im Spielplan immer ein paar Farben, die man versucht beizubehalten. Ich versuche da facettenreich zu bleiben und darauf zu achten, dass sich die Stücke inhaltlich und auch vom Aufbau unterscheiden. Da ist es auch gut, wenn mal eine Uraufführung dabei ist oder man ein Stück selber schreibt, was ich auch tue. Dabei kann ich das Stück natürlich besonders gut an die Spielstätte anpassen. Teilweise schaut man auch, welche Stücke an anderen Boulevardtheatern gerade gut laufen und versucht, diese nach Dresden zu holen. Beim Erstellen eines Spielplans gibt es also viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Besonders wichtig ist aber, darauf zu achten, dass man die gesamte Bandbreite des, in unserem Fall, Boulevard abdeckt.

Hast du Veränderungen am Theater seit Beginn deiner Karriere, im Vergleich zu heute, feststellen können?

Christian Kühn: Ja, es gibt natürlich Veränderungen. Das ist auch das Großartige am Theater, dass man mit Veränderungen mitgehen muss und dass sich Sehgewohnheiten ändern. Gerade, wenn man sich mit älteren Stücken befasst, fällt auf, dass man diese heute nicht mehr so machen könnte. Das Erzähltempo ist ein ganz anderes und die Themen sind ganz anders. Heute ist alles viel schnelllebiger geworden, der Humor ist einerseits deftiger und andererseits politisch korrekter. Allein vor fünf Jahren fielen da noch Witze auf der Bühne, die man heute nicht mehr so machen würde. Es ändert sich natürlich auch die Arbeit am Theater, gerade weil das Finanzielle in den Vordergrund rücken muss, was eine klassische Privattheater-Sorge ist. Wir müssen als Privattheater ohne festes Ensemble immer schauen, wo wir die Leute herbekommen. Da hat die Pandemie die Branche verändert, da viele Leute den Beruf gewechselt haben bzw. andere Erwartungen an den Beruf haben. Das Theater verändert sich also immer, da es versucht, wenn es ein gutes Theater ist, sich auf aktuelle Umstände einzulassen. Es verändert sich auch mit den politischen Ereignissen, denn Komödien hatten in der Geschichte immer dann ihre Höhepunkte, wenn es Krisen gab. Wir würden also nicht die Sorgen der Menschen im Theater nochmal zusätzlich thematisieren, sondern versuchen dagegen zu gehen, wohingegen die Stadttheater aus bildungstechnischen Gründen diese Themen natürlich aufgreifen müssen.

Philipp Richter: Was die Arbeit am Theater betrifft, so ist diese moderner geworden. Früher war es noch so, dass besonders die alten, weisen Männer und Frauen in gehobeneren Positionen gearbeitet haben, aber heutzutage ist das ganz anders. Christian Kühn, Intendant der Comödie Dresden, zum Beispiel war der jüngste Intendant Deutschlands und das sind Veränderungen, die es so am Theater noch nicht gegeben hat. Damit meine ich, dass jetzt auch jüngere Leute, die die Energie und die Vision mitbringen, um das Theater zu reformieren, in höheren Positionen arbeiten. Da ist es dann auch nicht so schlimm, dass diese Leute noch nicht so viel Erfahrung am Theater sammeln konnten, wie ihre älteren Kollegen.

Wie finanziert sich ein Privattheater im Vergleich zu staatlichen Schauspielhäusern? Und welche Freiheiten hat es dadurch?

Christian Kühn: Ein Privattheater lebt hauptsächlich von den Ticketeinnahmen. Es gibt auch noch Einnahmequellen, wie die Gastro, die nebensächlich dazu kommen. Diese Einnahmen müssen dann im Verhältnis stehen zur Miete, zu den Gagen, den Produktionskosten, den Gehältern der Festangestellten, bis hin zum Strom. All diese Kosten muss so ein Ticket decken können, während die städtischen Theater Subventionen erhalten und weniger auf die Eintrittsgelder angewiesen sind. Dafür haben die städtischen Häuser einen gewissen Bildungsauftrag, den Privattheater eher nicht haben. Trotzdem können und müssen wir als Privattheater auch eine politische Haltung haben und zeigen, wie ich meine. Mehr Freiheiten als ein staatliches Schauspielhaus haben wir definitiv. Dort sind beispielsweise Personalien auch oft politische Entscheidungen. Verschiedene Abgeordnete entscheiden zum Beispiel über die Position des Intendanten oder des Oberspielleiters, während das am Privattheater der Geschäftsführer entscheiden kann. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Spielplan, das ist am Stadttheater nicht ganz so einfach.

Was müsste sich in Zukunft ändern, um die Attraktivität des Theaters zu bewahren?

Philipp Richter: Ich denke, dass die klassischen Theaterstücke weiter aufgeführt werden sollten, sich aber verändern müssen. Sei es, dass sie musikalisch gestaltet oder dass ausgewählte Medieninhalte eingearbeitet werden und einfach offen für Neues sind. Die klassischen Stücke müssen sozusagen auch mit der Zeit gehen. Das ist auch meine Vision von Theater, dass man es schafft, sowohl jung als auch alt da wieder reinzuholen. Nicht nur eine Zielgruppe oder das klassische Abo-Publikum anzusprechen, sondern die Mischung aus beidem. Das Theater muss die Leute abholen und darf nicht elitär sein.

Text, Titelbild, Beitragsbild: Anna Lisa Kießlich

<h3>Anna Lisa Kießlich</h3>

Anna Lisa Kießlich

Anna Lisa Kießlich ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Redakteurin seit dem Wintersemester 2022/23.