Zykluspower

Das Potenzial hinter dem Menstruationszyklus

von | 3. Juni 2022

Die vier Zyklusphasen richtig zu nutzen, kann lebensverändernd sein. Doch was steckt hinter den „Zyklus-Superkräften“ und wie wendet man sie an?

Der Menstruationszyklus gilt vielleicht als das alltäglichste Tabu der Welt, dennoch beeinflusst er das Leben der meisten Frauen. Doch hinter dem Zyklus steckt viel mehr als die monatliche Blutung.  Die Phasen haben einen direkten Einfluss auf die Stimmung und die Energie — und so auch auf das Liebesleben, den Alltag und auf das Wohlbefinden.

Monat für Monat durchleben Menschen mit einem Uterus die vier Zyklusphasen mit ihren treuen Begleitern: den Hormonen. Der Zyklus startet mit dem ersten Tag der Menstruation und endet am letzten Tag, bevor die nächste Blutung beginnt. In der Regel hat er eine Länge von 28 Tagen, wobei am 14. Tag der Eisprung stattfindet. 

Wie der natürliche hormonelle Zyklus abläuft, wird in diesem Video von „DAK-Gesundheit“ von Frauenärztin Dr. Sheila De Liz erklärt.

Diese hormonellen Veränderungen zu kennen, ist wichtig, um ein Bewusstsein für den eigenen Zyklus zu entwickeln. Wie Frauen dieses Wissen für sich nutzen können und wie auch Männer davon profitieren, hat Zyklus-Expertin Vanessa Kinder gegenüber medienMITTWEIDA in einem Interview erklärt. 

Vanessa Kinder, Bild: Vanessa Kinder

Zyklusbewusstsein soll Frauen helfen, mehr Potenzial aus Menstruation und dem Zyklus zu schöpfen. Was bedeutet es, zyklusorientiert zu leben?

Vanessa: Zyklusbewusst zu leben, bedeutet, im Einklang mit sich selbst und dem Körper zu sein. Es gibt verschiedene Zyklusphasen und auch nicht jeder Tag ist gleich. Wir sind keine linearen Wesen, die immer die gleiche Power und die gleiche Hormonzusammensetzung haben und das sollten wir akzeptieren und annehmen. Man sollte ehrlich mit sich sein und auch mal anstatt „Ich muss mich da jetzt durchquälen“, sagen, „okay, ich habe jetzt mal nicht so viel Energie und mir geht es nicht so gut.“ Und dann heißt es, liebevoll mit sich selbst umzugehen und sich Fragen zu stellen wie: Was kann ich heute machen? Was geht heute vielleicht nicht? Was geht besser? Unterschiedliche Phasen bedeuten auch unterschiedliche Energieniveaus.

Jede Zyklusphase wird von unterschiedlichen Hormonen beeinflusst, die sich auf die Psyche und den Körper auswirken. Durch welche typischen Merkmale zeichnen sich die einzelnen Phasen aus?

Vanessa: Es gibt die erste und die zweite Zyklushälfte. Aber ich rede gerne über die vier Phasen. Man kann sie mit Jahreszeiten vergleichen. Es gibt den inneren Winter, Herbst, Frühling und Sommer. Wie lang jede Zyklusphase ist, ist ganz individuell. Man orientiert sich meistens an dem 28-Tage-Zyklus. 

Der innere Winter beschreibt die Menstruationszeit. Das ist die erste Phase, in der wir vor allem in den Rückzug und in Entspannung gehen — wo einfach die Energie eher im Inneren gebraucht wird und die Dinge, die im Außen passieren, abgeschaltet werden dürfen. Ich ziehe mich zurück, ich mache langsam, ich gehe meine To-do-Liste durch und streiche einige Dinge. Dazu gehört auch, bewusst Zeit für mich zu nehmen. Es geht ums Herunterkommen, Spüren, Fühlen und Reflektieren. In dieser Phase können auch viele Dinge hochkommen und wir hinterfragen viel.

Die nächste Phase beschreibt den inneren Frühling. Bei der Menstruation ist dies der fünfte, sechste oder siebte Tag. Jetzt steigt die Energie wieder und auch der Drang nach draußen zu gehen. Im Frühling möchte ich mich wieder zeigen, möchte mich präsentieren, vielleicht auch mal einfach herumspringen wie ein junges Mädchen. Es geht ums Genießen und darum, die Leichtigkeit ins Leben einladen. Das ist diese Phase, in der man sich nicht so viele Gedanken machen muss und trotzdem alles läuft.

Nun kommt der innere Sommer — die Phase rund um den Eisprung. Bei mir ist der Eisprung zum Beispiel zwischen dem 13. und 16. Tag. Die Zeitspanne kann hier relativ groß sein. Die Energie des inneren Sommers hat eine ganz intensive Power. In dieser Zeit kann man richtig tolle Projekte vorantreiben und Vollgas geben.

Als Nächstes kommt der innere Herbst — die Zeit nach dem Eisprung und vor der Menstruation. Das ist die Phase, die viele kritisch sehen. Ich sage aber immer, das ist die Phase der Innenschau. In dieser Zeit hat man die Möglichkeit, sich Schritt für Schritt zurückzuziehen und ins Reflektieren hereinzukommen. Wie war denn der Zyklus? Habe ich meine Projekte so umsetzen können, wie ich wollte? Die Energie sinkt wieder, bis wir dann wieder bei der Menstruation sind. In dieser Feedback-Phase kann man sich fragen, wie es einem geht. Hat man beispielsweise Probleme mit dem prämenstruellen Syndrom, sollte man noch einmal genauer hinschauen und nach den Gründen suchen. Habe ich mir nicht genug Zeit gegeben? Habe ich vielleicht zu viel Stress? Wie war denn meine Ernährung? Habe ich mich gut behandelt? 

Was unterscheidet den inneren Sommer vom inneren Frühling?

Vanessa: Im Sommer bin ich näher bei mir. Die Energie ist zwar kraftvoll, aber meistens ist sie so, dass ich sie ganz tief in mir spüre und sie auch gut in eine Richtung lenken kann. Und im Frühling ist es meist so, dass ich sprunghafter bin und vor Energie übersprudele. 

Im Frühling sollte man nicht zu viel auf einmal vornehmen und das, was man während der Menstruation reflektiert hat, in den Plänen mit einfließen lassen.

Wie kann man die Energie des inneren Frühlings für sich nutzen?

Vanessa: Den inneren Frühling darf man nutzen, um Pläne zu schmieden. Man sollte aber auch im Hinterkopf behalten, dass auch der Herbst wieder kommen wird. Es lohnt sich also, Projekte schon vor dem Herbst abzuschließen, damit man sich dann nur noch um die Feinarbeiten kümmern muss. 

Die Zeit kurz vor der Menstruation wird durch Gefühlsachterbahnen, spannende Brüste und anderen PMS-Symptomen oft als „dunkle Phase“ gesehen. Treten diese Beschwerden bei einem zyklusorientierten Leben nicht mehr auf? 

Vanessa: Ich würde sagen, Zyklusbewusstsein hilft, die Beschwerden von PMS zu lindern. In jedem Zyklus gehe ich anders mit mir um und bin anders aktiv. Und ich merke sofort, wenn ich mich schlechter behandelt habe oder mir zu viel Druck mache — dann bekomme ich Brustspannen oder Kopfschmerzen. Wenn ich aber gut zu mir war oder den Druck herausnehme, dann geht es mir gut, auch im Herzen. Dann habe ich auch in dieser Phase eine wahnsinnig tolle Zeit. Und vor allem habe ich viel Energie für mich. 

 

Gibt es Dinge, die Frauen während ihrer Menstruation nicht tun sollten?

Vanessa: Manche Sachen kann man natürlich nicht verschieben, aber wenn es möglich ist, würde ich im inneren Herbst und Winter keine Termine legen, bei denen man etwas nach außen präsentieren muss. Das können Vorstellungsgespräche, Gehaltsverhandlungen, Videodrehs oder Präsentationen sein. In dieser Zeit ist man etwas kritischer mit sich und kommt doch auch gerne mal an den Rand der Verzweiflung. Also, wenn es geht, sollte man diese Termine in die Phase des inneren Frühlings oder Sommers legen.

Kann das Bewusstsein für den eigenen Zyklus Beziehungen beeinflussen?

Vanessa: Ja, ich würde schon sagen, dass Zyklusbewusstsein Beziehungen stark verändern kann. Die Beziehung zu meinem Partner hat sich dadurch vertieft. Ich muss aber auch gestehen, dass ich meinen Partner damals ins kalte Wasser geworfen habe. Ich würde anderen raten, den Partner behutsam an das Thema heranzuführen und ihn nicht mit den Informationen zu überrumpeln. Eine schonendere Art und Weise ist es, häppchenweise über die eigenen Gefühle zu sprechen und nach und nach über die Phasen aufzuklären.

Mein Partner weiß mittlerweile auch, in welcher Phase ich mich befinde. Dadurch habe ich das Gefühl, dass ich mich öffnen kann und verstanden werde. Das gibt mir ein gutes Gefühl und auch meinem Partner.

Dadurch, dass mein Partner meinen Zyklus kennt, kommunizieren wir anders und auf einer anderen Ebene miteinander.

Können auch Männer von Zyklusbewusstsein profitieren, wenn sie sich selbstständig mit dem Thema beschäftigen?

Vanessa: Ich glaube schon. Ehrlich gesagt, kenne ich keinen Mann, der sich von sich aus mit dem Zyklus auseinandersetzt, aber ich kann mir vorstellen, dass Männer dadurch Frauen besser verstehen könnten. Männer würden mit Frauen anders kommunizieren können und sie vielleicht mit anderen Augen sehen. Auch Vorurteile könnten wegfallen, wie: Bist du in deiner Menstruation oder hast du deine Tage? Ich glaube, dass es Männer etwas sensibel dafür machen würde.

Gibt es einen Tipp, den du Frauen mitgeben möchtest, die bisher noch wenig Berührungspunkte mit dem Thema Zyklusbewusstsein hatten?

Vanessa: Gleich einmal vorweg: Wenn ich mit Hormonen verhüte, habe ich keinen natürlichen Zyklus. Um den eigenen Zyklus richtig zu beobachten, muss ich hormonfrei verhüten. Alles andere ist von außen verfälscht. Das ist der erste Tipp: Wenn ich meinen Körper besser kennenlernen will, nehme ich alles, was mich von außen beeinflusst, erst einmal weg.

Ebenso ist es wichtig, sich auch mit der biologischen Ebene zu beschäftigen. Ich habe mir damals ein Buch gekauft, um die Vorgänge im Körper zu verstehen, die während des Zyklus ablaufen.  

Der nächste Tipp von mir wäre, eine Art Tagebuch zu führen, bestenfalls fünf Monate lang. In diesem beantwortet man sich jeden Tag Fragen wie: Wie fühle ich mich heute? Was hat mir gutgetan? Was hat mich genervt? Wie fühlt sich mein Körper heute an? Auch Träume kann man darin aufschreiben. Man kann ganz entspannt damit anfangen und schauen, was mit und in einem passiert, ohne in die Wertung zu gehen.

So hat man am Ende einen groben Überblick und sieht, in welcher Phase man sich wie fühlt und verhält. Das ist ein guter Schritt, um ein erstes Gefühl für den eigenen Zyklus zu bekommen. Dann kann man anfangen, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen.

Text und Titelbild: Mikayla Weiland, Bild im Beitrag: Vanessa Kinder

<h3>Mikayla Weiland</h3>

Mikayla Weiland

ist 22 Jahre alt und studiert derzeit im 5. Semester Medienmanagement an der Hochschule Mittweida. Bei medienMITTWEIDA engagiert sie sich als Lektoratsleiterin seit dem Sommersemester 2022.