Die DSLR-Revolution – Wie Spiegelreflexkameras den Videomarkt erobert haben

von | 16. Dezember 2013

Spiegelreflexkameras sind aus der modernen Videoproduktion nicht mehr wegzudenken. Wie kommt es, dass Fotokameras unter Filmemachern derartig populär sind, und welche Rolle haben dabei Hacker aus der Community gespielt? Am […]

Spiegelreflexkameras sind aus der modernen Videoproduktion nicht mehr wegzudenken. Wie kommt es, dass Fotokameras unter Filmemachern derartig populär sind, und welche Rolle haben dabei Hacker aus der Community gespielt?

Am Anfang stand eine Spiegelreflexkamera der Marke Canon. Weil Fotojournalisten den japanischen Kamerahersteller um die Möglichkeit gebeten hatten, im Einsatz auch kurze Clips aufnehmen zu können, wurde im September 2008 die EOS 5D Mark II als erste ihrer Art mit einem Videomodus angekündigt. Schnell wurde klar, dass es sich dabei um mehr als nur ein Nischenfeature handelte. Als der Filmemacher Vincent Laforet im Oktober 2008 seinen Kurzfilm Reverie veröffentlichte, wollte niemand so recht glauben, dass derart filmische Bilder aus einer so kompakten Kamera kommen konnten. Das Video wurde in der ersten Woche nach Release mehr als zwei Millionen Mal angeklickt.

Suchanfragen zum Thema Video DSLR zeigen ein stetig wachsendes Interesse am Filmemachen mit Spiegelreflexkameras. Bemerkenswert ist der starke Anstieg im Oktober 2008, kurz nach Veröffentlichung des Kurzfilms „Reverie“. (Google Trends)

Spiegelreflexkameras mit Videofunktion werden von Profis und Hobbyfilmern für ihre hohe Auflösung und gute Farbwiedergabe geschätzt. Weil die Größe des Bildsensors ungefähr den Maßen von 35mm-Zelluloidfilm entspricht, kann der Look von sehr teuren Filmkameras kostengünstig imitiert werden. Auch millionenschwere Fernseh- und Kinoproduktionen verwenden deshalb regelmäßig DSLRs als Zweit- oder Actionkameras. Die Produktionshäuser hinter „Dr. House“, „Act of Valor“ oder auch „The Avengers“ verschneiden Videomaterial aus DSLRs mit dem von Profikameras, die das 10- oder 20-fache kosten. Der Zuschauer merkt davon meistens nichts.

… und jetzt?

Die Canon 5D Mark II avancierte in nur wenigen Monaten zum Goldstandard für ambitionierte Amateurfilmer. Nachdem sich der erste Hype gelegt hatte, wurde in der Szene aber auch Unmut laut: Viele professionelle Features fehlten, Kritik und Feedback durch die Nutzer wurden weitestgehend ignoriert. Canon hat bis heute kaum nennenswerte Veränderungen am Videomodus der eigenen Spiegelreflexkameras vorgenommen – wohl auch, um nicht den Marktanteil der eigenen Profikameras zu kannibalisieren.

Einige Fans nahmen die Sache deshalb selbst in die Hand und veröffentlichten im Sommer 2009 die kostenlose Firmware-Erweiterung Magic Lantern. Das erste Release enthielt bereits Dutzende Features, die bis dato nur deutlich teureren Kameras vorbehalten waren. Wer das Programm auf seiner Speicherkarte installierte, hatte volle Kontrolle über den Audiopegel und Zugriff auf professionelle Belichtungshilfen wie „Zebra“ oder „False Color“. In den folgenden Jahren wurde das Programm für weitere Kameras von Canon optimiert. Durch neue Funktionen wie HDR-Video, Zeitraffer-Automation und höhere Datenraten ist das Tool für Spiegelreflex-Filmer essentiell.

„Keine Canon-DSLR hat Sinn ohne dieses Programm. Es bringt die Qualität, die Möglichkeiten und Arbeitsweisen auf eines deutlich höheres Niveau“, so der Student und Filmemacher Tom Fröhlich, der sein aktuelles Projekt „Paradies – Irgendwo in Brandenburg“ auf einer Canon 5D Mark III realisieren lässt. „Wenn man dann mal eine DSLR ohne Magic Lantern in der Hand hält, merkt man schnell wieder, was man da eigentlich alles so für 0 Euro geboten bekommt. ”

Canon toleriert diese Entwicklungen – Magic Lantern hat die Position des DSLR-Marktführers nur weiter gefestigt. Einzig Veränderungen an der EOS 1D, der teuersten Spiegelreflexkamera des Herstellers, wurde den Programmierern unter Androhung rechtlicher Konsequenzen untersagt.

Kinoqualität für 400 Euro

Die wohl bedeutendste Leistung des Magic Lantern-Teams ist aber noch recht jung. Im Frühjahr 2013 fanden die Entwickler eine Möglichkeit, den Inhalt eines kamerainternen Zwischenspeichers auf die Speicherkarte zu kopieren. Das Ergebnis: unkomprimiertes Videomaterial, sogenanntes „Raw“, kann direkt vom Bildsensor abgegriffen werden.

Vergleichsbild - Raw vs. h.264

Qualitätsvergleich zwischen Standard- und Raw-Video.

Der neue Aufnahmemodus, der bei Profikameras bereits seit einigen Jahren Standard ist, bietet eine hohe Bildschärfe und Farbdynamik. Für Profis war die geringe Farbtiefe der DSLRs lange Zeit ein großer Kritikpunkt, durch Magic Lantern können nun 16.384 (14 Bit) statt 256 (8 Bit) mögliche Farbschattierungen pro Pixel gespeichert werden. Im Videovergleich ist eine gehackte Canon EOS 5D Mark III kaum von einer RED Scarlet zu unterscheiden, kostet aber rund 17.000 Euro weniger. Eine Canon EOS 50D, die günstigste Kamera, die das neue Aufnahmeformat in Full HD-Auflösung unterstützt, kann man gebraucht sogar für unter 400 Euro erwerben.

Die Konkurrenz

Auch Kameras anderer Hersteller wurden von Hackern modifiziert. Das Programm pTool verbessert beispielsweise die Videoqualität einiger Systemkameras von Panasonic. Bei einem subjektivem Blindtest des Equipmentherstellers Zacuto stellten Branchengrößen wie Francis Ford Coppola (Regie: „Der Pate“) eine so gehackte Panasonic GH2 (600 Euro) auf eine Stufe mit RED Epic, Sony F65 und Arri Alexa (50.000 Euro, 65.000 Euro, 60.000 Euro). „Upstream Color“, der zweite Langfilm des renommierten Indie-Regisseurs Shane Carruth („Primer“), wurde sogar vollständig mit einer GH2 gefilmt.

Trailer zu Shane Carruths „Upstream Color“, gedreht auf einer gehackten Panasonic Lumix GH2.

Mittlerweile werben auch kommerzielle Anbieter mit fairen Preisen und professionellen Features um die Zielgruppe der Spiegelreflex-Filmer. „Blackmagic Cinema Camera“, „Apertus Axiom“ und „KineRaw Mini“ sind das Ergebnis des Umschwungs, den Canon und Magic Lantern vor vier Jahren in Gang gesetzt haben.

Fazit

Tom Fröhlich fasst den Reiz von DSLRs so zusammen: „Spiegelreflexkameras sind für viele wahrscheinlich erstmal überhaupt eine Möglichkeit, einen Look zu bekommen, für den man sonst lange, lange sparen müsste“. Produktionen mit eingeschränkten Mitteln müssen beim Bild nicht länger Abstriche machen, „Kino-Qualität“ ist heute erschwinglicher als je zuvor. Letztendlich entscheiden natürlich nicht Bildsensor und Raw-Video, sondern die Menschen vor und hinter der Kamera über den Erfolg eines Films. Der „DSLR-Revolution“ ist es jedoch zu verdanken, dass man „Upstream Color“ oder „Paradies“ ihr geringes Budget kaum noch ansieht.

Text: Clemens Müller, Grafik: Lydia Ullrich

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Redakteur