Freitagnachmittag, 15 Uhr, an der Ecke Gießerstraße und Uhlandstraße auf dem Sonnenberg in Chemnitz. Ich betrete das „Raguzzi“ – den neu eröffneten Kulturraum, der hier auf dem Sonnenberg ein Treffpunkt und kreatives Zentrum werden soll. Zwei Personen unterhalten sich mit Katha, meiner Interviewpartnerin und Mitgründerin des Vereins „Gute Zieten e.V.“.
Nach einem kurzen Gespräch verabschieden sich die beiden. Jetzt sind Katha und ich allein. Während sie in der Küche Tee zubereitet, nutze ich die Gelegenheit, mich im „Raguzzi“ genauer umzusehen. Der Raum wirkt gemütlich und einladend – fast wie ein Wohnzimmer. An der Decke ist eine große Sonne zu sehen, das Logo des Vereins. Lichterketten an den Fenstern sorgen für sanftes Licht und die braunen Möbel im Retro-Stil verstärken die wohnliche Atmosphäre. Die Wände sind mit Bildern von Kühen in den Bergen dekoriert und die Theke ist mit einem Stoff geschmückt, der von der Decke hängt. Katha und ihre Freund*innen haben sich sichtbar Mühe gegeben, dem Raum eine persönliche, unverwechselbare Note zu verleihen.
Katha ist Mitgründerin des „Gute Zieten“-Vereins. Quelle: privat
Als sie mir eine Tasse Tee reicht und wir uns setzen, beginnt sie zu erzählen. „Wir waren eigentlich eine Gruppe von Menschen, die hier auf dem Sonnenberg in verschiedenen Projekten aktiv waren“, berichtet sie und spricht dabei von der Anfangszeit des Vereins. „Der damalige Späti und der Stadtteilgarten Zietenaugust waren unsere Anlaufpunkte. Ende 2019 haben wir angefangen, uns kennenzulernen – also die Menschen, die den Garten gemacht haben, und wir vom Späti.“ Katha beschreibt, wie sich diese Projekte allmählich zu einem Freundeskreis formten und schließlich den Wunsch weckten, etwas Größeres zu schaffen. „Es ist eine sehr schöne Dynamik entstanden und wir haben gemerkt, dass wir uns mit unseren Projekten weiterentwickeln wollten und beschlossen, zusammen einen Verein zu gründen.“ Dass sie sich „Gute Zieten e.V.“ nennen, sei eine humorvolle Anspielung an GZSZ und auf die Adresse Zietenstraße.
Der Verein hat sich mit dem „Raguzzi“ ein klares Ziel gesetzt: ein möglichst unkommerzieller Raum im Stadtteil. Es soll ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen, zusammen kreativ sein oder einfach entspannen können – ein „dritter Ort“, wie Katha es nennt. „Ein Ort abseits der Arbeit oder dem Zuhause“, erklärt sie. Das „Raguzzi“ sei aus einem tiefen Bedürfnis heraus entstanden. Denn der vorherige Treffpunkt (der Späti) musste leider aufgegeben werden, nachdem die Zusammenarbeit mit den Eigentümern nicht weiter möglich war. „Wir waren ein Jahr lang auf der Suche nach einem neuen Raum. Es gibt super viele Flächen, aber wenn es darum geht, einen Raum für junge Erwachsene zu schaffen, dann herrscht eine gewisse Skepsis“, sagt Katha. „In Chemnitz gibt es nicht wirklich Vertrauen in die jungen Leute. Viele wollen lieber, dass in die leerstehenden Gewerbeflächen ein Friseursalon oder eine Arztpraxis einzieht.“
Die Eröffnungsfeier des „Raguzzi“-Raums am 24. August 2024. Quelle: privat.
Die Herausforderung, einen bezahlbaren Raum zu finden, war nicht die einzige Hürde, die dem „Gute Zieten e.V.“ gegenüberstand. „Ich persönlich hätte eigentlich lieber einen größeren Raum gehabt, um flexibler zu sein. Da hätte man zum Beispiel auch mal einen Yoga-Kurs machen können. Aber das wäre einfach zu teuer geworden“, erklärt Katha. „Die Förderlandschaft in Chemnitz sieht nicht so gut aus. Wenn man schaut, welche Parteien im Stadtrat sitzen und welche Projekte nicht mehr gefördert werden, machen wir uns keine großen Hoffnungen.“ Deshalb setzt der Verein vor allem auf Eigeninitiative und Spenden. Damit sieht sie die Organisation gut aufgestellt für die Zukunft.
„Wir haben beim Kosmos-Festival letztes Jahr einen Barwagen geschmissen und dabei ist relativ viel Geld zusammengekommen“, erzählt Katha stolz. Dieses Startkapital und kleinere Förderungen, wie die Unterstützung durch die Stadt Chemnitz für die Eröffnung, haben es möglich gemacht, das „Raguzzi“ zu renovieren und einzurichten. Auch die Mitgliedsbeiträge werden flexibel gestaltet, sodass jede*r zahlt, was möglich ist. „So trägt es sich eigentlich gerade sehr gut“, berichtet sie.
„Raguzzi“ ist eine Anlehnung an das italienische „ragazzi“, was so viel wie „gute Freund*innen“ oder „junge Erwachsene“ bedeutet – ein passender Name für einen Ort, der Menschen zusammenbringen soll. „Der neue Raum soll genau das sein: ein Raum für Kultur von und für junge Menschen; für solche, die sich ausprobieren wollen, die Ideen haben und eine Fläche brauchen, um diese umzusetzen“, erzählt Katha begeistert. Besonders wichtig ist dem Verein dabei eine klare Haltung gegen Diskriminierung. „Wir sind kein Ort, wo Diskriminierungsformen jeglicher Art geduldet werden. Das hat hier nichts zu suchen und dagegen gehen wir auch vor.“
Während wir über die Bedeutung und die Ziele des „Raguzzi“ sprechen, geht die Tür auf und Clara, eine Freundin von Katha, kommt herein. Sie hat bei der letzten Halloween-Party aufgelegt und ihre Kopfhörer vergessen. Clara setzt sich zu uns und erzählt lebhaft von ihrem Kostüm – sie war als Eiskunstläuferin Tonya Harding verkleidet. Es wird gelacht und die beiden schwelgen förmlich in Erinnerungen an den Abend. Nach einer Viertelstunde verabschiedet sich Clara. „Im Späti war es damals so, dass viele Projekte und Aktivitäten wie zum Beispiel eine Theaterreihe oder Konzerte stattgefunden haben“, erzählt Katha. Der Bedarf sei groß und das „Raguzzi“ nun so gestaltet, dass es vielseitig genutzt werden kann – so auch für kleine Partys.
Ein Begegnungsort und Veranstaltungsraum. Quelle: privat
Doch der neue Kulturort ist nicht für alle Menschen im Viertel Normalität. „Die größte Herausforderung ist erstmal, Verständnis dafür aufzubauen, dass es so etwas in der Nachbarschaft gibt“, erzählt Katha. An Straßenlärm und Konflikte seien die Menschen im Viertel gewohnt — aber ein neuer Ort, der bis spätabends Menschen anzieht, sei noch gewöhnungsbedürftig. „Wenn abends Menschen draußen stehen und es dadurch ein bisschen lauter ist, ist das für viele Leute noch nicht normal. Ich denke aber, wir haben als junge Menschen ein gutes Recht darauf, mal lauter zu sein oder abends draußen zu stehen. Die Straßen gehören allen.“
Dass der Sonnenberg auch weiterhin soziale Probleme zu bewältigen hat, ist kein Geheimnis. Katha selbst hat in den letzten Jahren auf der Zietenstraße viel erlebt: „In den drei Jahren, in denen wir den Späti hatten, haben wir viele Situationen erlebt – mit Menschen, die ein offensichtliches Thema mit Drogen haben, Leute, die sehr gewaltvoll miteinander umgegangen sind oder einem Einbruch.“ Trotzdem sieht sie eine positive Entwicklung. „Der Sonnenberg wird sich so langsam zurückerobert“, sagt sie und verweist darauf, dass der Stadtteil bei jungen Leuten immer beliebter wird. „Der Sonnenberg gilt vor allem bei jungen Menschen nicht mehr als ‚No-Go-Area‘. Immer mehr von ihnen ziehen hierher und nutzen die günstigen Mietpreise.“
Für die Zukunft des „Raguzzi“ hat Katha klare Vorstellungen: „Wir hoffen, dass der Raum von möglichst vielen Menschen angenommen wird, dass sie sich trauen, den Raum zu nutzen und möglichst keine Barrieren wahrnehmen, den Ort mitzugestalten.“ Das „Raguzzi“ solle wie ein offenes Wohnzimmer wirken — ein sicherer Raum, in dem sich alle willkommen fühlen können.
Mit Blick auf das bevorstehende Kulturhauptstadtjahr 2025 hofft Katha, dass sich Chemnitz nicht nur für seine Hochkultur einen Namen macht, sondern auch die vielfältige Subkultur wahrgenommen wird. „Ich hätte richtig Bock auf ein paar kleine Kneipenabende mit Besucher*innen, bei denen man ins Gespräch kommt und die eigene Sicht auf die Stadt teilt.“ Katha hofft, dass diese Begegnungen den Menschen zeigen, welches Potenzial die Stadt hat.
Schließlich verabschiede ich mich und trete mit einem breiten Lächeln aus der Tür. Noch lange bleibt mir das Bild dieses Ortes im Kopf: das „Raguzzi“ als lebendige Begegnungsstätte und ein Symbol für Gemeinschaft.
Text: Emma-Leonie Kmoch, Bilder: privat