Das Smartphone liegt griffbereit auf dem Tisch, während die Aufmerksamkeit eigentlich einer wichtigen Aufgabe gelten sollte. Doch der Blick schweift immer wieder ab, verführt von der Versuchung, nur kurz Instagram zu öffnen oder durch TikTok zu scrollen. Schnell summieren sich diese vermeintlich kurzen Unterbrechungen, und wertvolle Zeit geht verloren. Die ständige Erreichbarkeit sowie der endlose Fluss an Informationen und Unterhaltung fühlen sich oft wie ein Muss an. Immer mehr Menschen suchen daher nach Wegen, dem digitalen Hamsterrad zu entkommen – sei es durch bewussten Medienkonsum, gesetzliche Regelungen oder Digital Detox.
Australien setzt neue Maßstäbe
Mobbing, ein verzerrtes Körperbild und die Verherrlichung von Drogenmissbrauch – laut Experten seien die Risiken für Kinder und Jugendliche in Australien erheblich. Deshalb dürfen demnächst Australiens Jugendliche unter 16 Jahren soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram oder Facebook nur noch mit ausdrücklicher Zustimmung ihrer Eltern nutzen. Ohne diese Zustimmung bleibt der Zugang verboten. Dies entschied der australische Senat Ende November 2024 nachdem zuvor bereits das Repräsentantenhaus dem Gesetz zum Mindestalter für die Nutzung sozialer Medien zustimmte. „Betreiber sozialer Netzwerke tragen auch eine soziale Verantwortung“, betont Australiens Premierminister Anthony Albanese und unterstreicht die Notwendigkeit dieses Vorgehens.
Mit diesem Schritt ist Australien weltweit Vorreiter bei der Regulierung sozialer Medien, um Kinder und Jugendliche besser vor Risiken wie Cybermobbing, falschen Körper-Idealen und Fake News zu schützen. Die Regelungen sollen in zwölf Monaten greifen.
Jugendliche im Bann der Endlosschleife
TikTok hat sich als dominierende Plattform etabliert, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Die kurzen, unterhaltsamen Videos und personalisierten Inhalte fördern einen hohen Konsum bei den Nutzern. Viele verbringen täglich mehrere Stunden auf der Plattform. Laut einer neuen Studie der Postbank geht hervor, dass die Internetzeit von Jugendlichen erstmals nach Corona wieder angestiegen ist. Gemäß der Jugend-Digitalstudie 2024 sind 16- bis 18-Jährige aktuell durchschnittlich 71,5 Stunden pro Woche online – 1,6 Stunden mehr als im Vorjahr.
Dies kann sich negativ auf die Konzentration, das Selbstbild und die mentale Gesundheit auswirken. Michael Manos, klinischer Leiter des Zentrums für Aufmerksamkeit und Lernen in Cleveland, erklärt in einem Interview mit dem Wallstreet Journal, dass es dem Gehirn von Kindern schwerfällt, sich an eine nicht-digitale Aktivität anzupassen, „bei der sich die Dinge nicht ganz so schnell bewegen“, wenn es erst einmal an ständige Veränderungen gewöhnt ist.
Aber nicht nur Kinder und Jugendliche sind zu viel online. Denn die ARD/ZDF-Onlinestudie zeigt, dass die Internetnutzung allgemein seit Jahren ansteigt. Im Jahr 2023 waren 80 Prozent der deutschen Bevölkerung online. Besonders auffällig ist die Dominanz von Social-Media-Plattformen mit Videoinhalten wie beispielsweise TikTok.
Eine übermäßige Nutzung von TikTok kann Gefühle der Überforderung auslösen. Das soziale Netzwerk zieht Nutzer in eine Spirale: Je länger sie die Plattform nutzen, desto präziser werden die Vorhersagen des Algorithmus – und desto attraktiver wird die App. Endlos abgespielte Videos sorgen für Unterhaltung ohne Unterbrechung, was viele in einen „Flow-Zustand“ versetzt, der das Zeitgefühl verblassen lässt. Studien zeigen, dass TikTok als besonders suchterzeugend gilt. Der endlose Scroll-Mechanismus erschwert das Abschalten, während Likes durch Dopamin-Ausschüttungen das Verlangen nach weiterer Nutzung verstärken und exzessiven Konsum fördern.
Wie digitale Medien unser Leben stressiger machen
Die ständige Erreichbarkeit und der intensive Konsum digitaler Medien wirken sich negativ auf die Gesundheit aus. Schlafmangel, Konzentrationsstörungen und Augenbeschwerden sind häufige Folgen. Studien belegen zudem, dass der permanente Vergleich mit anderen auf Social Media Depressionen und Ängste verstärken kann.
Dabei spielt auch „FOMO“, die „Fear of Missing Out“ eine wichtige Rolle. Sie beschreibt die Angst, etwas zu verpassen – sei es ein soziales Ereignis, eine berufliche Gelegenheit oder ein neues Erlebnis. Mehr über FOMO und wie man ihr begegnen kann, erfahren Sie in diesem Artikel.
In einer zunehmend vernetzten Welt, in der soziale Medien einen ständigen Impuls von Highlights und Erfolgsgeschichten liefern, hat FOMO an Intensität gewonnen. Psychologen sehen darin eine treibende Kraft hinter Stress, Unzufriedenheit und impulsiven Entscheidungen, die oft mehr schaden als nützen. Für viele Menschen wird FOMO zu einem ständigen Vergleich mit vermeintlich perfekten Leben anderer – etwa, wenn Influencer auf Instagram ihre Luxusurlaube in exotischen Destinationen teilen. Männer sind häufiger von FOMO betroffen als Frauen: 64 Prozent der Männer geben an, diese Angst zu erleben, während es bei Frauen 33 Prozent sind.
Auch zwischenmenschliche Beziehungen leiden unter der digitalen Dauerpräsenz. Der Fokus auf Smartphones führt dazu, dass persönliche Begegnungen an Tiefe und Bedeutung verlieren. Besonders in Zeiten der digitalen Dauerverfügbarkeit stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft lernen kann, diese Dynamik zu entschärfen.
Digital Detox: Die Lösung für Alles?
Zahlreiche Berichte über digitale Auszeiten stellen „Digital Detox“ als eine umfassende Lösung für diverse Herausforderungen im Umgang mit Social Media dar.
Der Begriff „Digital Detox“ beschreibt eine gezielte, zeitlich begrenzte Auszeit von digitalen Medien und Geräten. Ziel ist es, die eigene Abhängigkeit zu reflektieren, Stress zu reduzieren und das persönliche Wohlbefinden zu steigern. Eine digitale Auszeit kann aus unterschiedlichen Motivationen herausgenommen werden. Für einige steht der Wunsch im Vordergrund, wieder mehr Zeit für Hobbys zu finden. Andere möchten ihre tägliche Bildschirmzeit reduzieren und stattdessen körperliche Aktivitäten in den Fokus rücken. Es gibt auch Menschen, die einfach testen möchten, wie es sich anfühlt, ohne Smartphone zu leben. Dazu finden sich auf Plattformen wie YouTube zahlreiche Selbstexperimente, in denen Menschen ihre Erfahrungen mit digitalem Verzicht dokumentieren und teilen.
„Ich weiß gar nicht mehr, wie man ein Handy abschaltet.
Ich hab das Gefühl, ich schalte es nie ab.“
In ihrem YouTube Video bei ihrem Selbstexperiment für 150 Stunden offline zu sein. Der Verzicht kann unterschiedlich gestaltet sein – von stündlichen Pausen bis hin zu mehrwöchigen Offline-Phasen. Passend dazu gibt es immer mehr Retreats und Urlaubsorte, die gezielt mit Angeboten werben, bei denen der Verzicht auf digitale Geräte im Mittelpunkt steht.
Credits: offline.institute und lindameixner / instagram
Anbieter wie Digital Detox Destination oder The Offline Institut organisieren Reisen, bei denen Teilnehmer bewusst auf soziale Medien verzichten und stattdessen Aktivitäten wie Yoga, Meditation oder Wanderungen genießen können. Diese Angebote versprechen Erholung und Entschleunigung, bleiben jedoch häufig einer privilegierten Zielgruppe vorbehalten – sei es aufgrund der begrenzten Plätze oder der hohen Kosten.
Allerdings können für Menschen mit Handysucht längere Urlaube ohne Smartphone auch eine Herausforderung darstellen. Die klinische Psychologin Andrea Prettenhofer erklärt in der freizeit.at, dass das Smartphone für viele ein Mittel zur Stressbewältigung sei und der Verzicht darauf zusätzlichen Stress auslösen könne. Retreats bieten zwar Ansätze wie Yoga und Meditation, vermitteln jedoch selten, wie man das Bedürfnis nach Ablenkung nachhaltig alternativ stillen kann – ein Prozess, der Zeit erfordert.
Positive Folgen von Digital Detox
Viele Influencer und Social-Media-Nutzer versuchen, durch eine einwöchige Einschränkung ihrer Plattformnutzung positive Effekte zu erzielen. Eine britische Studie, veröffentlicht im Fachjournal „PLOS One“, kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass bereits nach wenigen Tagen die positiven und negativen Auswirkungen in etwa ausgeglichen sind. Entzugserscheinungen traten dabei nicht auf, wie die Forschenden berichten.
Studien zeigen, dass ein Digital Detox eine bessere Schlafqualität, mehr soziale Interaktion und eine gesteigerte Kreativität fördern kann. Auch das Wohlbefinden verbessert sich, da Menschen sich weniger von digitalen Einflüssen belastet fühlen.
Der Schlüssel liegt in der Balance
Die Digitalisierung hat zweifellos viele positive Aspekte, von der Vernetzung über den Zugang zu Informationen bis hin zu neuen Unterhaltungsformen wie TikTok. Dennoch zeigt sich, dass ein unreflektierter Konsum digitaler Medien gesundheitliche und soziale Herausforderungen mit sich bringen kann. Die Lösung liegt in der Balance: Es geht darum, die Vorteile der digitalen Welt zu nutzen, ohne sich von ihr beherrschen zu lassen. Durch bewussten Umgang mit der Bildschirmzeit und achtsames Verhalten können wir die Chancen der Digitalisierung genießen und gleichzeitig die Risiken minimieren.
Das australische Gesetz, das die Nutzung sozialer Netzwerke für Jugendliche reguliert, ist dabei ein möglicher Schritt. Er unterstreicht die Notwendigkeit von Regulierung und individueller Verantwortung, um einen gesunden Umgang mit digitalen Technologien zu fördern. Während Maßnahmen wie Digital Detox Retreats kurzfristig hilfreich sein können, bleibt die Frage, wie dauerhaft und effektiv solche Ansätze sind. Experten betonen, dass strukturelle Veränderungen notwendig seien, um einen nachhaltigeren Medienkonsum zu fördern. Letztlich liegt es an uns, eine gesunde Beziehung zur digitalen Welt zu gestalten.
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