Schlafstörungen, Essstörungen, Depressionen, versuchter Selbstmord, Selbstmord. Es sind schreckliche Worte, die schwarz auf weiß auf dem Laptopbildschirm erscheinen. Worte, die sich niemand für seine Bekannten, für seine Verwandten oder für seine Freunde wünscht, die aber dennoch so allgegenwärtig sind. Und sie alle stehen dort aus dem selben Grund: Mobbing.
Emily* schaut auf ihr Handydisplay und sieht mehrere eingehende Nachrichten von ihrer besten Freundin. „Schau dir an, was die hier über uns schreiben“, steht in dem grünen Chatfenster. Emily folgt dem Link. Sie landet auf einer Website, auf der User anonym Fragen stellen können, welche der Account-Inhaber dann beantwortet. „Was hältst du von dieser Emily aus deiner Schule? Die ist viel zu fett für die Outfits, die sie immer trägt. Und dann noch so viel Schminke in der Fresse, das sieht so scheiße aus!“. Emily stockt der Atem.
Laut der JIM-Studie (Jugend, Information, Media) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest, haben 37% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren schon einmal Formen von Cybermobbing im Bekanntenkreis mitbekommen. Jeder fünfte Jugendliche bestätigt, dass schon einmal falsche oder beleidigende Inhalte über seine Person im Netz bzw. über das Handy verbreitet wurden. Durch die immer stärker an Bedeutung gewinnenden Social-Media-Kanäle kann von einer steigenden Tendenz ausgegangen werden.
Im August 2016 berichtet Focus Online über den 13-jährigen Daniel, der sich das Leben nahm, nachdem ihn Kinder aus seiner Klasse über soziale Medien gehänselt und ihn dann auch körperlich angegriffen haben. Im Februar 2017 veröffentlicht die Berliner Morgenpost einen Artikel über den 15-jährigen Jungen Onur. Er stürzte sich von einem Hausdach, als er bei Instagram ein Nacktfoto von sich entdeckte. Im Oktober 2017 geht die Geschichte einer 14-jährigen Australierin durch die Medien, die im Internet mit Hassnachrichten bombardiert wurde und ihren Selbstmord geplant hat.
Immer mal wieder und besonders nach schockierenden Einzelfällen ist das Thema in den Medien wie TV, Radio und Zeitung präsent. Mobbing allerdings passiert täglich oft abseits des Blicks der Öffentlichkeit. Doch wann können wir überhaupt von diesem Begriff Gebrauch machen? Das Wort Mobbing wird von dem englischen Verb „to mob“ abgeleitet, was übersetzt so viel wie belästigen oder anpöbeln heißt. Nach dem Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Christoph Seydl sprechen wir erst ab einem längeren Zeitraum, ungefähr ab einem Jahr, und einer Regelmäßigkeit der Angriffe, ca. einmal pro Woche, wirklich von Mobbing. Außerdem muss ein Stärkeunterschied zwischen den beiden Parteien vorherrschen. Andere Formen sind (meistens eher) Hänseleien oder Pöbeleien. In der Wissenschaft finden sich die unterschiedlichsten Definitionen. Das Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik beschreibt Mobbing wie folgt: „Es ist eine spezielle Form der Aggression, die dadurch charakterisiert ist, dass das Opfer wiederholt und systematisch aggressiven Akten eines oder mehrerer Täter ausgesetzt ist.“ Eine andere Definition, von der Internetseite Mobbing in Schulen, lautet: „Mobbing sind Handlungen negativer Art, die vorsätzlich durch einen oder mehrere Personen gegen eine Mitschülerin oder einen Mitschüler gerichtet sind.“
Doch egal, wie man es nun nennen mag, das Ausschlaggebende sind die gravierenden Auswirkungen. Und dass die Lästereien, die Emily da grade im Internet gelesen hat, Auswirkungen auf sie haben, sieht man direkt.
Mobbing kommt in jeder Generation und jeder gesellschaftlichen Schicht vor
Wer heute noch davon ausgeht, Mobbing wäre ein Problem von pubertierenden Jugendlichen, der schießt gewaltig an der Realität vorbei. Erwachsene können da längst mithalten, vor allem am Arbeitsplatz. Laut dem Mobbing-Report von Meschkutat, Stackelbeck und Langenhoff, einer Sammlung von Zahlen und Fakten rund um das Thema Mobbing, sind rund eine Millionen der Erwerbstätigen von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen. Aus der Studie geht hervor, dass knapp jeder vierte Betroffene täglich und annähernd jeder Dritte mehrmals in der Woche gemobbt wird. Das bedeutet, dass weit mehr als die Hälfte der Betroffenen (56,1 %) häufig bis sehr häufig mit mindestens einer der Mobbinghandlungen konfrontiert wird. Gut ein Viertel der Betroffenen ist mehrmals im Monat und gut jeder Sechste seltener als mehrmals im Monat dem Mobbing ausgesetzt. Die Geschehnisse reichen von der Verbreitung von Gerüchten, über Ausgrenzung bis hin zu Beleidigungen. Mobbing passiert überall, in jeder sozialen Schicht und in jeder Altersgruppe.
Egal ob zwischen Schülern an einer Hauptschule, an einer Realschule oder an einem Gymnasium, egal ob zwischen Kollegen in einer Arztpraxis oder einem Taxiunternehmen, egal ob zwischen Studenten oder zwischen Professoren an einer Hochschule. „Menschen sind einfach unterschiedlich, daher ist das Konfliktpotential immer da. Vor allem in großen Betrieben, wo viele Menschen aufeinandertreffen.“, erklärt Steve Sokol, Anti-Mobbing-Beauftragter der Hochschule Mittweida. „Auffällig ist aber, dass Mobbing fast immer zwischen Personen auf der gleichen Ebene stattfindet. Das heißt, Chef gegen Chef oder Mitarbeiter gegen Mitarbeiter“, erzählt er weiter. Zwischen zwei Personen auf der gleichen Ebene sind die Rahmenbedingungen die gleichen, hier kann es eher zu Auseinandersetzungen kommen. Einer hat das Gefühl, dem Kollegen hinterher arbeiten zu müssen oder ständig Fehler ausbessern zu müssen. Oder einer bekommt angenehmere Arbeitszeiten zugeteilt oder mehr Urlaubsanträge bewilligt. Da wären wir beim Faktor Neid.
„Menschen sind einfach unterschiedlich, daher ist das Konfliktpotential immer da“, erklärt Steve Sokol. Er ist der Anti-Mobbing-Beauftragte an der Hochschule Mittweida. Foto: Kathrin Hoyer
Oft wird davon ausgegangen, dass es meist die Schwächeren trifft. Die, die als Einzelgänger gelten und nicht viele Freunde haben, die nicht wirklich beliebt sind. Oder die, die schüchtern sind und sich in ihren eigenen Gedanken verstecken. Oder die, die anders aussehen. Die vielleicht abstehende Ohren oder eine schiefe Nase haben. „Ich habe mich nie wie ein typisches Opfer von Hänseleien und Mobbing gefühlt“ erzählt Emily. Kein Wunder, denn in dieses Raster scheint sie überhaupt nicht zu passen. Sie hat einen großen Freundeskreis, ist aufgeschlossen und kontaktfreudig. Sie macht sich gerne zurecht, gilt für viele von ihren Freunden als stylisch und trendbewusst. Dennoch wird sie im Internet mit Hassbotschaften konfrontiert. Doch gerade das, dieses scheinbare Selbstbewusstsein, scheint besonders viel Angriffsfläche zu bieten. „In diesen Situationen kann es um Neid gehen. Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, aber Neid ist eine Möglichkeit.“, erklärt Steve Sokol. Das kann sich auch Emily vorstellen. „Manchmal glaube ich auch, die Leute suchen sich ein Opfer wie mich, weil sie denken es würde mich nicht treffen, weil ich so stark und selbstsicher rüberkomme“. Emily wirkt immer bedrückter. Sie muss es nicht aussprechen, jeder sieht was in ihr vorgeht. Es trifft sie. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt, auch wenn sie weiterhin mit einem Lächeln durch die Welt läuft. Auf irgendeine Art und Weise trifft es sie. So wie Mobbing viele betrifft.
*Name geändert
Text: Pauline Rosa Maier