Kreuzpflicht

Bayern – Auf dem Weg zum Gottesstaat?

von | 27. Januar 2019

Viel Wirbel und noch mehr Kritik gab es für die Kreuzpflicht in Bayern. Was genau macht diesen Beschluss so konfliktträchtig?

„Wir werden von so vielen Kulturen überrannt, da ist ein Kreuz in Behörden genau das Richtige“, sagt mein Onkel. Mein Cousin erwidert: „Aber wieso muss es denn unbedingt ein Kreuz sein, ist doch jedem selbst überlassen, an was er glaubt.“ „In Bayern ist der Großteil aber nun mal katholisch“, sagt mein Onkel unbeirrbar. Seit Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, die Kreuzpflicht in Behörden in Bayern eingeführt hat, ist dies das Hauptthema bei unseren Familientreffen. Es wird heftig diskutiert, ob es richtig oder falsch ist, dass in jeder Amtsstube in Bayern ein Kreuz hängen muss. Die Meinungen der Familienmitglieder am Esstisch sind verschieden. Und mir stellt sich die Frage: Kann ich jemals wieder in mein geliebtes Bayern zurückziehen?

Ich wuchs in einem beschaulichen 900-Seelen-Dorf im Allgäu auf. Als Kind gab es im Sommer nichts Schöneres, als draußen auf den endlosen Wiesen zu spielen oder im See zu baden, der mit dem Fahrrad in fünf Minuten zu erreichen ist. Wir aßen unser Eis beim Geruch von frisch gemähtem Gras der Weiden. Und im Winter fuhren wir auf dem Hügel direkt hinter dem Haus Schlitten. Ich liebte meine Heimat und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich Bayern jemals verlassen würde. Wir lebten Traditionen, auf die ich sehr stolz war. Wir gingen fast jeden Sonntag in den Gottesdienst und nahmen an kirchlichen Festen teil. Doch als Kind war es mir nicht bewusst, was es bedeutet, in einem Bundesland aufzuwachsen, in dem eine Religion so stark dominiert.

In die Religion hineingeboren

Ich wurde wie fast jedes Kind in unserem Dorf in der katholischen Kirche „St. Alexander und Georg“ getauft. Damals hatte ich keine Wahl. Meine Eltern haben für mich entschieden. In der dritten Klasse hätte ich dann zum ersten Mal öffentlich vor vielen Menschen entscheiden können, ob ich in der Kirche bleiben oder austreten möchte. Ich kam zu diesem Zeitpunkt zur Erstkommunion. Am Sonntag nach Ostern stand ich mit rund 20 anderen Kindern im Kreis um den Altar in der Kirche und bekam zum ersten Mal eine gesegnete Hostie. Die Kirche war voll mit Menschen und wir feierten ein richtiges Fest.

Bei diesem Fest, wie auch bei der Taufe, wird man als Kirchenmitglied gestärkt. Man wird Teil einer Gemeinschaft. Doch bevor wir die Hostie bekamen, fragte der Pfarrer jeden von uns, ob wir in der Kirche bleiben möchten. Als achtjähriges Mädchen in einer Kirche voller Menschen habe ich mich allerdings nicht getraut, mit „Nein“ zu antworten. Außerdem hätte mir das sowieso nichts gebracht. Ich war unter 14 Jahre alt und somit nicht religionsmündig. Einfach gesagt, ohne die Erlaubnis meiner Eltern, hätte ich nicht aus der Kirche austreten dürfen. Das ist rechtlich so vorgeschrieben. Eltern können ihre Kinder dazu zwingen, in der Kirche zu bleiben.

Aber zugegebenermaßen wollte ich auch gar nicht aus der Kirche austreten. Denn ich durfte endlich Ministrantin werden. Ich war demnach eine Messdienerin. Ich brachte dem Pfarrer während des Gottesdienstes zum Beispiel den Wein oder hielt die Leuchter bei der Lesung. Ministrant sein heißt, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Mit zwölf Jahren kam ich dann zur Firmung, ein ähnliches Fest wie die Erstkommunion. In den folgenden Jahren blieb ich der Kirche treu und war weiterhin Ministrantin und besuchte regelmäßig die Gottesdienste.

Neue Erfahrung – Ein Leben ohne Religion

Als ich 20 Jahre alt war, entschied ich mich, meine Heimat zu verlassen. Nicht weil ich dort nicht mehr leben wollte, sondern weil ich nach meinem Abitur einen Studienplatz in Sachsen bekam. Schnell spürte ich, dass es dort in meinem Freundeskreis egal ist, welcher Religion man angehört. Dieses Thema kam in den zwei Jahren, in denen ich nun dort lebe, so gut wie nie zur Sprache. Hier ist es in Ordnung, wenn man Atheist ist oder noch nie einen Gottesdienst besucht hat. Das war neu für mich, aber ich genieße es. Denn ich habe beschlossen, in naher Zukunft aus der Kirche auszutreten. Ich fühle mich dem katholischen Glauben nicht mehr so nahe wie früher und möchte nichts unterstützen, hinter dem ich nicht voll und ganz stehe.

Seitdem ich nicht mehr auf dem Dorf wohne, bin ich weltoffener geworden. Dass Homosexuelle im 21. Jahrhundet von der katholischen Kirche immer noch nicht aktzeptiert werden, finde ich erschreckend. Ein weiteres Problem ist für mich, dass Frauen das Amt des katholischen Pfarrers nicht übernehmen dürfen. Diese Regelung ist für mich als Diskriminierung anzusehen. Die katholische Kirche steht für Gerechtigkeit und Gemeinschaft, doch diese wird hier ausgeblendet. Trotzdem war es immer mein Plan, nach meinem Studium wieder ins Allgäu zu ziehen. Schließlich lebt dort meine Familie und soweit das Auge reicht, sind dort Berge und Seen. Wie sagt man so schön: Dort wohnen, wo andere Urlaub machen.

Am Kreuz scheiden sich die Geister

Als ich am 1. Juni 2018 die Nachrichten las, änderte sich meine Meinung schlagartig. An diesem Tag trat die Kreuzpflicht in Kraft. In allen Dienstgebäuden des Freistaates Bayern muss künftig auf Anordnung von Ministerpräsident Söder ein Kreuz im Eingang hängen. Ich persönlich finde, dass jeder selbst entscheiden können sollte, was in einer Amtsstube an der Wand hängt. Söder selbst hing in der Eingangshalle der Staatskanzlei in München ein Kreuz an die Wand. Ausgenommen von den Verpflichtungen sind nur Hochschulen, Theater und Museen.

Auch bei hochrangigen Vertretern ist die Kreuzpflicht auf harte Kritik gestoßen. Sie warnten mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst vor einer Instrumentalisierung des Kreuzes für politische Zwecke. Denn die Mehrheit der bayerischen Wähler unterstützt die Kreuzpflicht – 56 Prozent befürworten die Entscheidung, 38 Prozent lehnen sie ab. Das ergab eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des Bayerischen Rundfunks.  Doch nicht nur wegen der Wahl erntet Söder Kritik.

Der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse sagte im RBB, das Kreuz als das zentrale Symbol christlichen Glaubens dürfe nicht Gegenstand staatlicher Verordnung werden. „Der Staat des Grundgesetzes ist weltanschaulich religiös neutral, das heißt, er ist offen für alle Bekenntnisse“, betonte Thierse. Söder wies die Kritik an den Kreuzplänen in den tagesthemen zurück. Das Kreuz sei zwar in erster Linie ein religiöses Symbol, gehöre „aber auch zu den Grundfesten des Staates“. Es habe eine „identitätsstiftende, prägende Wirkung“ für die Gesellschaft und sei auch „ein Stück Selbstvergewisserung unserer kulturellen, gesellschaftlichen und immateriellen Werte.“

Ich frage mich allerdings, ob gesellschaftliche Werte nicht unabhängig von einer Religion sein sollten. Meiner Meinung nach sollte es selbstverständlich sein, seinen Nächsten zu lieben und andere zu tolerieren. Wieso dann ausgerechnet ein Kreuz?

„Das Kreuz lässt sich nicht verordnen“, äußerte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Durch die Verordnung, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angeregt hatte, sei „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ entstanden. Es stehe dem Staat nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeute, kritisierte Marx weiter. Und auch in Söders eigenen Reihen gibt es Zweifel.

CSU Wissenschaftsministerin Marion Kiechle sagte in der Talkshow „3 nach 9 von radiobremen“, es gebe Menschen, die sich nicht vorschreiben lassen wollten, „da irgendetwas aufzuhängen“.

Das Kreuz als Segen

Doch natürlich gibt es auch Anhänger der Kreuzpflicht. Denn gerade die Werte, für die das Kreuz stehe, führt der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zur Verteidigung der neuen Regelung ins Feld. Das Kreuz sei ein Zeichen der Versöhnung, des Friedens und der Solidarität, sagte Schick dem Bayerischen Rundfunk. „Alle Menschen, die das Kreuz anschauen, verpflichten sich, das zu leben und voranzubringen.“

Mittlerweile verbinde ich das Kreuz nicht mehr mit Solidarität und Frieden, da in der katholischen Kirche keine Gerechtigkeit herrscht. Somit wird mir durch die Kreuzpflicht etwas aufgedrängt, was ich mit dem Negativen verbinde. Rudolf Voderholzer, Bischof von Regensburg teilte der Deutschen Welle mit, dass seiner Meinung nach das Kreuz niemanden ausschließe, vom Kreuz gehe Segen aus, im Kreuz sei Leben, im Kreuz sei Heil, im Kreuz sei Zukunft.

Ein Land ohne Zwang

Für mich ist Bayern – das Allgäu – immer noch meine Heimat und wird es auch immer bleiben. Ein Leben kann ich mir im Moment allerdings in Bayern nicht mehr vorstellen. Ich möchte in einem Staat und in einem Land leben, in dem ich frei entscheiden darf, woran ich glaube und woran ich nicht glaube. Welche Werte für mich wichtig sind und mit welchem Symbol ich mich identifizieren kann. Denn 14 Jahre lang konnte ich das nicht selbst entscheiden und auch danach ist es schwierig, wenn man in einem kleinen katholischen Dorf wohnt, einfach so aus der Kirche auszutreten. Ich genoss die Freiheit.

Doch von einem Tag auf den anderen wurde sie zunichte gemacht. Solange in Bayern die Kreuzpflicht herrscht und mir somit etwas aufgezwungen wird, wofür es auch immer stehen mag, beantworte ich die Frage, ob ich jemals wieder in mein geliebtes Bayern zurückziehen kann, mit einem klaren „Nein“.

Text: Annalena Fink; Foto: Benjamin Agsten, Laura Fischer
<h3>Elisa Raßmus</h3>

Elisa Raßmus

ist 24 Jahre alt. Sie studiert im 5. Semester Medienmanagement mit der Vertiefung Journalismus. Seit 2016 arbeitet sie nebenbei in der Onlineredaktion bei der Freien Presse in Chemnitz. Außerdem hat sie sich für ein Volontariat bei der Mitteldeutschen Journalistenschule entschieden. Dieses läuft seit dem Sommersemester 2018 parallel zum regulären Studium. Seit April 2018 betreut sie das Ressort Story als Ressortleiterin bei medienMITTWEIDA.